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temperamentvollen Szenen“, wie die „Neue Freie Presse“ schrieb”,
oder zu „sehr erregten Szenen“, wie das „Neue Wiener Tagblatt“
berichtete.®° „Mehr als einmal musste die Versammlung unter¬
brochen werden, um der allgemeinen Nervosität eine ‚Lüftungs¬
pause‘ zu gewähren,“ teilte „Der Wiener Tag“ mit.®! Dann stellte
Kreutz seine Resolution vor, die er „in schlichten, eindringlichen
Worten begründete“. Diese Rede findet sich im Nachlass von
Kreutz*’; sie lautete:

»Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, dass ich zu un¬
serem Antrag noch einige Worte sage. Wir sind der Meinung, dass
innerhalb des deutschen Kulturraums heute nur noch Osterreich
die Méglichkeit besitzt, zu Ereignissen Stellung zu nehmen, die
die Freiheit des geistigen Menschen in noch nie dagewesenem
Maße bedrohen. (...) Wir glauben ferner, dass Menschlichkeit,
dass Vorurteilslosigkeit in konfessionellen Dingen allen Erlässen
zum Trotz nicht zu diskreditieren sind. Sie müssen sein und sie
werden sein, wenn anders sich der deutsche Kulturkreis nicht dem
Chaos gleichschalten soll. (...) Wir österreichischen Schriftsteller
müssen uns heute mehr denn je der Sendung bewusst werden,
die uns, uns allein von einem schweren Schicksal auferlegt ist:
aufrechte und durch nichts beirrbare Kämpfer für die geistige
Freiheit und die Unantastbarkeit der Menschenrechte zu sein
und zu bleiben.“

Diese Begründung von Kreutz wurde auch in der „Wiener
Allgemeinen Zeitung“ vom 29. Juni 1933 erwähnt.°* Nach langer
Debatte wurde die Resolution in der „stürmischen“ Sitzung mit
25 gegen 15 Stimmen angenommen.® Urbanitzky berichtete in
einem Brief über die Sitzung: „Die Generalversammlung war aber
wirklich kein Spaß, denn am Präsidiumstisch zu sitzen und in
hassverzerrte Gesichter von achtzig Schweinehunden (...) hineinzu¬
sprechen, war wirklich allerhand.“*° Dass Urbanitzky von „achtzig
Schweinehunden“ sprach, zeigt, dass schr viele Sitzungsteilnehmer
gegen sie waren. Nur weil sich ja auch so viele Schriftsteller der
Stimme enthielten, also nicht gegen die Resolution stimmten,
konnte sie überhaupt angenommen werden.

Rocek nennt die Resolution von Kreutz ein ,,legendares Doku¬
ment“.” In dieser Resolution grüßte der österreichische PE.N. die
„im heutigen Deutschland unterdrückten, ihrer Freiheit beraubten
Manner und Frauen des Geisteslebens“.** Der PE.N. gedenke
jener, „die ihr Eintreten für die Geistesfreiheit mit Gefängnis oder
Emigration zu bezahlen haben“. Und weiter heißt es: „Der öster¬
reichische Penklub erhebt entschieden im Namen der deutschen
Freiheit und der übernationalen Grundsätze des Penklubs Ein¬
spruch gegen die geistige Unterdrückung des Individuums.“ Neben
Kreutz und den erwähnten „unzufriedenen“ PE.N.-Mitgliedern
Fontana, Neumann, Jacob, Schalit und Schreier unterschrieben
die folgenden Schriftstellerinnen und Schriftsteller: Raoul Au¬
ernheimer, Franz Theodor Csokor, Paul Frischauer und Alma
Wittlin-Frischauer, Hugo Glaser, Heinrich Gliicksmann, Oskar
Jellinek, Gina Kaus, Ernst Lissauer, die Brüder Ernst Lothar und
Hans Müller, Rudolf Lothar, Emil Ludwig, Moritz Scheyer, Paul
Stefan, Friedrich Torberg und Auguste Wilbrandt-Baudius. Unter
den 25 Unterzeichnern waren auch die PE.N.-Mitglieder David
Bach und Fritz Brügel®, die — wie schon erwähnt — zugleich der
Vereinigung sozialistischer Schriftsteller angehörten. Franz Wer¬
fel hingegen hat nicht unterschrieben.” Salten, der auch nicht
unterzeichnet hat, war noch während der Sitzung von seinem
Amt als Ehrenpräsident des österreichischen PE.N. zurückge¬
treten.”' Zwar hatte Salten gesagt, es gebe kein PE.N.-Mitglied,

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das „von Arthur Schnitzlers Anfängen an bis ganz zuletzt so nahe
an seiner Seite stand“ wie er. Anwesend war jedoch auch Raoul
Auernheimer”, und dieser, nicht Salten, war von 1923 bis 1927
erster Präsident des österreichischen PE.N. gewesen - unter dem
Ehrenpräsidenten Schnitzler.” Erst als Auernheimer zurücktrat
und Wildgans, von Schnitzler gefragt, den Vorsitz ablehnte, wurde
Salten 1927 Präsident.

Sofort nach Verabschiedung dieser Resolution - einer richtungs¬
weisenden Entscheidung - verließ „eine kleine Gruppe national
eingestellter Wiener Schriftsteller“ den Saal und erklärte ihren
Austritt aus dem PE.N.-Club”; dies waren Robert Hohlbaum,
Egon Corti, Franz Spunda, Wladimir Hartlieb und Mirko Jelu¬
sich”, die Klaus Amann als „Nazi-Sympathisanten“ bezeichnet.”
Kurz darauf, am 7. Juli 1933, erklärten weitere sieben Autoren,
darunter Urbanitzky und Hans Hammerstein, ihren Austritt: Die
Tatsache, dass „jüdische und jüdisch orientierte Mitglieder“ des
PE.N. die Resolution verabschiedet hätten, sei „unerträglich“.”
Und Amann nennt noch die Namen zehn weiterer Schriftsteller,
unter ihnen Karl Ginzkey und Max Mell, die bis Dezember 1933
aus dem PE.N. austraten.? Der PE.N. bestand aber weiter, und
Kreutz wurde — zusammen mit Raoul Auernheimer, Leon Schalit
und anderen — auf der Generalversammlung am 4. Dezember 1933
in den Vorstand gewählt.'” Bolbecher und Kaiser sprechen von
einem „nach dem Konflikt um den Kongreß von Ragusa neu for¬
mierten, antinazistisch orientierten österreichischen PEN-Club“.!°'

Robert Neumann schrieb 1970 zu diesen Austritten und ihrer
Vorgeschichte, dass „auch Österreicher“ in Dubrovnik protestiert
hätten: „Das aber löste nachher in Wien eine Protestaktion ge¬
gen die Protestierer“ aus - im Zuge dieser Protestaktion hätten
viele Schriftsteller, „darunter die Austro-Nazis“, den österreichi¬
schen PE.N. verlassen.'” Aber nicht in Dubrovnik protestierte
der österreichische PE.N. gegen Nazi-Deutschland, sondern erst
einen Monat später bei der Generalversammlung vom 27. Juni
in Wien — und gegen diese Wiener Protestresolution richteten
sich die Austritte. Konnte sich Neumann nach über 30 Jahren
nicht mehr richtig an die Vorgänge erinnern — oder wollte er sich
nicht mehr daran erinnern, dass der österreichische PE.N. getreu
dem auch von ihm, Neumann, gefassten Beschluss in Dubrovnik
geschwiegen hatte und dass ein Protest erst in Wien mit der Re¬
solution von Kreutz zustandekam? Jedenfalls erwähnte Neumann
in seinem Bericht „Das musste aufgeschrieben werden“, der den
Charakter eines letzten Zeugnisses hat („ich glaube, ich bin der
einzige, der noch um die Dinge weiß“, schrieb Neumann), die
Wiener Resolution mit keinem Wort, obwohl er sie doch selbst
angeregt und unterzeichnet hatte.

4) Der Auftritt von Kreutz beim Theodor-Kramer-Abend:
Politisches Bekenntnis oder ein bloß literarischer Termin?

Nun wird verständlicher, dass Kreutz den Theodor-Kramer-Abend
einleiten durfte: Kreutz hatte nicht nur in der „Neuen Freien
Presse“ die lobende Rezension vom 9. August 1931 über Kramers
Buch „Wir lagen in Wolhynien im Morast“ geschrieben. In der
gleichen Zeitung hatte er auch am 28. Jänner 1934 Hermynia
Zur Mühlens Buch „Reise durch ein Leben“ rezensiert'”; Zur
Mühlen war gleich Kramer Mitglied der Vereinigung sozialisti¬
scher Schriftsteller.'”* Und außerdem hatte Kreutz dafür gesorgt,
dass der österreichische PE.N-Club am 27. Juni 1933 „mannhaft