Vaters Land und Vaterland
Heide,
Darauf das Blau des Himmels liegt...
Ein Bröcklein Freude,
Sacht eingeschmiegt
Irgendeiner verlorenen Mauer
Inmitten von totem Häusergewirr;
Blitzendes, summendes Bienengeschwirr,
Ein arbeitverbogener Bauer,
Der mein Vater ist und im Gebet
Vor seinen Stöcken im Wiesengold steht...
MeinBerg, mein Tal, zwei Augen licht,
Meiner Mutter verrunzelt Gesicht...
Eine kosende, wehrende, strafende Hand:
Solch Liebes, Vertrautes ist Vaters Land.
Gewalt,
Fremd, leer und kalt, mit Adlern, Wappen, Sternen,
Leblos von einem starren Ring umkrallt:
Fabriken, Werften, Schranken und Kasernen.
Gleichgültig steh‘,
Mit Millionen andern drein verwoben,
Ich in der Ordnung, die mich Bürger heißt
Und tastend späht nach meinem Wohl und Weh,
Nach meinem Unten und nach meinem Oben,
Indes sie ihre Weisheit preist.
Sie schenkt mir Zwang, wo immer ich mich breite,
Es zischt die Enge und es dröhnt die Weite
Gesetze aus.
Und Wappen kriechen, fahle, dumme Sterne
Ins heimlichste von meinem stillen Haus...
Und plötzlich zwingt mich fremde Ferne,
Die mich so wenig schiert wie Odins Raben,
Daß ich gesträubten Adlern nachmarschiere,
Die mehrere Köpfe oder keine haben.
Jetzt darf ich sterben, muss mit Wollust sterben
Und hab’ die Pflicht, in sinnlosem Verderben
Hurra zu schrein,
Hurra... mit Herz und Hand,
Hurra!!!
Und da s heißt Vaterland.
Ihr, die ihr schlafen gingt im Ungefähr...
Ein Kreuz, ein Steinehauf bezeichnet wo und wer.
Ihr, die ihr starbt — ein aufgedunsnes Wort
Riß polternd euch aus Heim und Arbeit fort;
Da lieft ihr heiß und willig in das Nichts,
Verwirrten, blinden, staunenden Gesichts.
Weit hinten wo, von Angst und Gier umtollt,
Brüllte die Phrase, und es rann das Gold.
Ihr aber starbt. — Der Gräber schlichte Zier,
Ein Kreuz, ein Steinehauf...
sie fragen stumm: wofür ?
Der Bursch will sanglich hoch hinaus
"Trotz windverharschter Kehle,
Das Mädel schaut verschüchtert aus,
Und es verhaucht im Straßenbraus
Sopranisch seine Seele.
Dann starren beide fensterwärts:
Kein Groschen regt sich und kein Herz.
Weiter!
Die Kleine müht sich solo jetzt
Um eine holde Weise,
Ihr Röcklein flattert halb zerfetzt,
Und der Pullover klafft verwetzt
Von strapaziöser Reise.
«Dort, wo die alten Häuser stehn,
dort, wo die...» Ach, es klingt nicht schön.
Weiter!
Ein stiller Hof umschirmt das Paar
Mit trauten Klopfbalkonen.
Die Stimmen schrillen sonderbar...
«Hörst, nimm di zsamm!» «Warum?» «No - klar,
Indem hier Gönner wohnen.»
Die Selcherin vom Mezzanin
wirft mild erbost zwei Nickel hin.
Halt!
O süße Kunst, o bittre Pein:
Sie bücken sich und heben
Mit fahlem Lächeln gierig ein
Die Krüppeltaxe für ein Sein,
Das Tod nicht schenkt, noch Leben,
Der liebe Gott im Himmel weit
Bedenkt’s gewiß voll Traurigkeit.
Weiter...?
Das Gedicht «Vaters Land und Vaterland» ist Kreutz’ Roman «Die
einsame Flamme» (Berlin: Verlag Egon Fleischel & Co 1920) ent¬
nommen, die anderen Gedichte sind aus Kreutz’ Lyrikband «Ernte
im Sturm» (Wiener Verlag 1946).