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Gudrun Ponn-Lettner

Josef Thoraks Marmorskulptur des weltbekann¬
ten Iheophrastus von Hohenheim, genannt Pa¬
racelsus (1493/94 Einsiedeln, Kanton Schwyz,
— 1543 Salzburg) befindet sich im Salzburger
Kurpark nahe dem Schloss Mirabell. Der Me¬
diziner wird hier nicht in seiner Tätigkeit als
Vertreter der heilenden Zunft oder als aktiver
Forscher, sondern in Denkerpose mit gekräusel¬
ter Stirn über einem offenen, aber umgedrehten
Buch und einem darauf liegenden mittelalter¬
lichen Destilliergefäß (Retorte) präsentiert. Als
Basis dient eine rechteckige Plinthe mit der Be¬
schriftung PARACELSUS’ Josef Ihorak, neben
Arno Breker Lieblingsbildhauer Adolf Hitlers,
schuf die Skulptur ,,Paracelsus“‘im Jahre 1943
und schenkte sie zusammen mit der Skulptur
„Fischer von Erlach“ dem Reichsgau Salzburg.’
Der Schenkung war der Kauf des „arisierten“
Schlosses Prielau nördlich von Zell am See vo¬
rausgegangen.° Der Offentlichkeit wurde das
Werk erstmals sieben Jahre später im Rahmen
einer Ausstellung von Josef Thoraks Werken zu
den Salzburger Festspielen 1950 präsentiert.’

In regelmäßigen Abständen steht seitdem
die Skulptur als Werk eines NS-Künstlers zur
Diskussion. Doch anstatt die inhaltliche Kom¬
ponente des Werkes und die Problematik der
unkommentierten Aufstellung im öffentlichen
Raum zu thematisieren, nutzt man sie, um po¬
litisches Kleingeld daraus zu schlagen.

Während die ikonographischen Bestandteile
des Denkmals und der Aussagegehalt im in¬
tendierten Sinn zur Zeit der Aufstellung noch
problemlos erfasst, jedoch bereits verleugnet
wurden’, stellt sich die Situation heute anders
dar. Um die visuelle Botschaft der Skulptur dem
heutigen Betrachter verständlich zu machen,
ist es unumgänglich, die Funktion des Faches
Medizingeschichte sowie die Gesundheitspolitik
und im Speziellen die „Neue Deutsche Heil¬
kunde“ während der NS-Diktatur zu erläutern.
Damit verbunden waren die Neudefinition des
Arztberufes und die aktive Rolle der Medizi¬
ner bei der Umsetzung der NS-Ideologie. Das
Wissen darüber, wie und warum Paracelsus für
die NS-Gesundheitspolitik instrumentalisiert
werden konnte, führt zur intendierten Aussage
des NS-Kiinstlers Thorak.

Unter allen Wissenschaften kam der medi¬
zinischen Wissenschaft der größte Anteil an
der Verantwortung für die Legitimierung der
Rassenpolitik zu.” Das ging einher mit einem
Wandel des ärztlichen Selbstverständnisses.
Nicht mehr die Heilung des individuellen Pa¬
tienten stand im Vordergrund, sondern die des
„Volkskörpers“. Das Individuum musste als Teil
dieses „Volkskörpers“ begriffen werden, für den
es behandelnswert sei oder auch nicht.

„Unsere Zeit setzt mit Recht das Gemein¬
schaftswohl als den höheren Wert über das Wohl

des Einzelnen. Der Arzt ist unter Umständen

dazu gezwungen, einen einzelnen an Leib und
Seele zu schädigen, wenn von seiner Seite dem
sozialen Volkskörper Schaden droht (vgl. das
Gesetz zur Verhütung des erbkranken Nach¬
wuchses).“!°

Der ethische Abstieg der arztlichen Berufsauf¬
fassung miindete letztendlich in biomedizini¬
schen Programmen, die Kindermorde, Kranken¬
morde (Vernichtung „lebensunwerten Lebens“)
sowie verbrecherische Humanexperimente als
Pflege der ,, Volksgesundheit“ einschlossen."!

Die auf rational begriindeter Erkenntnis beru¬
hende Wissenschaftlichkeit sowie unabhängige
Forschung und Lehre gab man zugunsten der
Rassenideologie auf und den sie nährenden ir¬
rationalen politischen Mythen preis. „Unsere
blutsgebundene Weltanschauung steht über der
Wissenschaft. Diese wird von jener bestimmt
und nicht umgekehrt. “'?

Der deutsche Medizinhistoriker Wolfgang
Uwe Eckart betont, dass de facto bereits we¬
nige Wochen nach dem 30. Jänner 1933 die
freiwillige Unterwerfung unter das Rasseprinzip
und die Selbstaufgabe aller Werte unabhängiger
Forschung und Lehre vollzogen war.'?

Im Fach Medizingeschichte sah die Partei eine
willkommene weltanschauliche Vermittlungs¬
instanz, sollte sie doch die Abkehr von Ethik
und Moral des heilenden und forschenden Be¬
rufsstandes zu einer neuen Ethik der „Heilung
des Volkskörpers“ innerhalb des medizinischen
Faches absichern.'* Das „deutsche Wesen“ in der
Medizin wollte man auf akademischer Ebene
durch den Blick auf die große Vergangenheit
der deutschen Medizin, der man eigene We¬
sensmerkmale zuschrieb, vermitteln.'® Der an¬
tisemitische Blick auf die Medizingeschichte be¬
deutete, ärztliche Autoritäten der Vergangenheit
in völlig unhistorischer Weise für die „arische“

listen ihr Bild vom spezifisch „deutschen“ Arzt
festmachten, war Paracelsus, der ein äußerst
umfangreiches Werk hinterlief.'° Paracelsus
sah den Menschen als Ganzheit und strebte
grundlegende Reformen des Medizinbetriebes
an, wodurch er schon früh zur Identifikations¬
figur verschiedener Lager der Medizin wurde,
die sich als Erneuerer fühlten. Auch heute greift
die Komplementärmedizin gerne seine Werke
auf. Im 19. und 20. Jahrhundert instrumenta¬
lisierte man Paracelsus als nationale Leitfigur,
die sowohl nationale als auch antisemitische
Einstellungen nähren sollte.'” Udo Benzenhö¬
fer und Karin Finsterbusch untersuchten den
Anti-Judaismus im medizinisch-naturwissen¬
schaftlichen und philosophischen Werk von Pa¬
racelsus.'® Sie kamen zu dem Ergebnis, dass ein
Großteil der Stereotypen, wie „Kollektivschuld
am Iod Christi“, „Bund mit dem Teufel“ und

«

neuere Elemente wie „Wucherei“, „Verrätertum

(Judas), Schriftverdrehung und „Erzfeindschaft“
gegen Christen, in ihm zu finden sei. Auffällig
seien seine Angriffe gegen jüdische Ärzte und
jüdische Medizin, wobei er allerdings schr un¬
differenziert bleibe und keine Belege für seine
Anschuldigungen biete.!? Paracelsus habe in den
Juden jedoch „keine Hauptgegner“ geschen, da
er auch gegen Türken, Heiden und das Papst¬
tum wetterte.?° Eine physische Vernichtung der
Juden war niemals Teil seines Denkens.

Die Nationalsozialisten vereinnahmten nun
die historische Arztfigur mittels des Faches
Medizingeschichte als Vorbild des „völkischen“
Arztes. Paul Diepgen, von 1929 bis 1947 Or¬
dinarius am Institut für Medizingeschichte der
Universität Berlin, charakterisiert Paracelsus in
seiner Publikation „Hippokrates oder Paracel¬
sus“ im Jahre 1937 als Arzt mit urdeutscher
Gesinnung und mit Kühle gegenüber dem lo¬
gisch geschulten Rationalismus.?' Im Jahre 1938
konkretisierte Diepgen, dass der übertriebene
Realismus ein dem deutschen Wesen fremdes,
vor allem semitisches Element sei. Paul Diepgens
Schüler Sepp (Bernward Josef) Gottlieb präsen¬
tierte im Jahr 1941 im „Deutschen Ärzteblatt“ in
grobschlächtiger Form „Paracelsus als Kämpfer
gegen das Judentum“. Er behauptete, er sei ein
„Antisemit nicht nur aus konfessionellen Grün¬
den, sondern aus rassischem Instinkt“ und ein
„entschiedener Kämpfer für die Reinhaltung
der deutschen Heilkunde von jüdischen Ein¬
fliissen“ gewesen.” In den Jahren 1933-1945
beschaftigten sich 673 Schriften, kulminie¬
rend im Jahr 1941, mit Paracelsus. Man erkor

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