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Hannah Fischer wurde 27.9.1925 als Kind
einer mittelständischen jüdischen Familie in
Wien geboren. Sie hatte einen Zwillingsbruder,
Rafael Erwin Fischer (Maschinenbauingenieur,
verstorben im Sommer 2016 in den USA). Der
Vater war Rabbiner. Hannah flüchtete 1938
nach England. Sie erlangte ein Scholarship für
die „Badminton School“ in Bristol; 1941, wieder
in London, wurde sie bei Anna Freud Trainee in
den „Hampstead War Nurseries“; später Tätig¬
keit in „Austrian Day Nursery“ (Kindergarten
des Austrian Centre). Rückkehr nach Wien im
September 1946. Ausbildung zur Kindergärt¬
nerin und Studium der Pädagogik. Arbeitete als
psychoanalytisch orientierte Pädagogin im Zen¬
tralkinderheim der Stadt Wien. Initiatorin des
Anna Freud-Kindergartens in Wien. Engagierte
sich in der Solidaritätsarbeit für die Westsaha¬
ra. Ab 1984 Direktorin der Bildungsanstalt für
Kindergärtnerinnen.

„Ich war“, sagte sie 2011 beim Symposium
„Das Exil von Frauen - historische Perspektiven
und Gegenwart“ in Wien, „nachdem ich die
Schule verlassen hatte, zwei Jahre bei der Anna
Freud. Dort habe ich das Meiste gelernt, das
ich je in meinem Leben gelernt habe, in der

Hannah Fischer

Kindheit in Wien

Ich wuchs mit meinem Zwillingsbruder Rafael
Erwin im 13. Bezirk in Speising in der Birag¬
higasse 55 in einer jüdischen Familie auf. Die
Volkschule besuchte ich in Hietzing und ging
anschließend in das Chajes Gymnasium, da¬
mals im 20. Bezirk. Mein Vater Bela Fischer
stammte aus Bratislava (ungarische Minderheit),
war Rabbiner und wurde von der Israelitischen
Kultusgemeinde als Fürsorger eingesetzt. Er ging
als Seelsorger für jüdische Patienten in städti¬
sche Spitäler. Vater war jedoch so kritisch, dass
er sogar mit dem Gesundheitsstadtrat Julius
Tandler, der später nach Russland emigrierte,
gestritten hat.

Meine Eltern haben sich auf einem Zionisten¬
kongress im August 1923 in Karlsbad kennen¬
gelernt und 1924 in Wien geheiratet.

Unter Hitler wollte ein Nachbar, der ein illega¬
ler Nazi war, meinem Vater unseren Garten weg¬
nehmen. Weil Vater sich jedoch weigerte, kam
er in das Sammellager in der Karajangasse. Seit
diesem Vorfall habe ich ihn nie wieder gesehen.
Später wurde er mit einem der ersten Transporte
ins KZ Dachau und danach nach Buchenwald
deportiert. Nach der Entlassung im Juli 1939
war durch meine Mutter bereits ein Permit bei
der britischen Botschaft hinterlegt. Leider war
die Botschaft bereits für Antragsteller geschlos¬
sen, sodass mein Vater nicht mehr zu uns nach
Großbritannien nachreisen konnte. Er gelangte

Pädagogik und Erziehung und in der prakti¬
schen Arbeit.“ Über die „Hampstead War Nur¬
series“ als „Anna Freuds Beitrag zum Sieg über
Hitlerdeutschland“ schrieb sie ausführlich in
ZW Nr. 3/2005, S. 6-8.

Hannah Fischer ist am 28. September 2016
in Wien gestorben. Am 25. Oktober wurde im
Ega— Frauen im Zentrum, 1060 Wien, Sandra
Wiesinger-Stocks Buch „Hannah Fischer — ‚Das
Exil war meine Universität‘. Schülerin Anna
Freuds, Kinderpsychologin und psychoanaly¬
tisch orientierte Pädagogin“ präsentiert.

Bei Hannah Fischers jüdischem Begräbnis am
30. September 2016 las Sonja Frank Auszüge
aus Hannah Fischers Beitrag zur im Verlag der
Theodor Kramer Gesellschaft erschienenen 2.
erweiterten Auflage des Young Austria-Buches.
Sonja Frank schloß daran ein paar persönliche
Gedanken:

Ein typischer Wesenszug von Hannah Fischer
sollte festgehalten werden: Als ich sie bei einer Ta¬
gung der Exilforschungsgesellschaft sah, bat ich sie
um einen pädagogischen Rat, wegen des damali¬
gen eigenartigen Berufswunsches meiner jüngeren
Tochter (der kürzlich ohnehin verändert wurde).
Hannah meinte damals, es sei verständlich, dass

aber nach Kriegsende
in das damalige Paläs¬
tina (Flucht mit dem
Schiff die Donau
hinunter, durch das
Schwarze Meer nach .
Palastina, war drei
Wochen im Lager bei
Haifa, dann Transfer §
nach Mauritius, wo
er bis Kriegsende in¬
terniert blieb). In den
1950er Jahren konnte
ich es mir als Heimge¬
kehrte finanziell nicht
leisten, ihn zu besu¬
chen; wir konnten
einander nur Briefe
schreiben.

Meine Mutter Lu¬
ise (geborene Treu)
wuchs im Ruhrgebiet
auf, war politisch be¬
wusst, Schriftstellerin
und Journalistin. Sie
hatte schon aus ih¬
ren Erfahrungen in
Deutschland geahnt,
was da kommen wiir¬

es Mütter immer gerne besser meinen, aber ich
sollte meine Tochter ihren eigenen Weg gehen lassen.
Nun, sie hatte recht!

Bei einigen unserer Treffen bemerkte ich auch die
gegenseitige liebevolle Zuwendung mit mehreren
über 70-jährigen Young Austria-Kindern, die 3-5
Jahre alt waren, als sie sie in den 1940er Jahren
betreute. So 2.B. kam sogar Michael Graber, der
in Israel lebt, sie gerne in Wien besuchen.

2013 lud ich Hannah Fischer zu unserem jährli¬
chen Young Austria-Wiedersehenstreffen ein. Dort
freute sie sich, unter ihren alten Freunden zu sein.
Später als wir uns seltener bei diversen Veranstal¬
tungen sahen, telefonierte ich einige Male mit ihr
und berichtete ihr, dass ich eine Austrian Centre¬
Gedenktafel initiiert hatte, die nun verwirklicht
wurde. Sie gratulierte mir und bedankte sich auch
für meine Mühe, drei Young Austria-Bücher pro¬
duziert zu haben, und meinte, ich sollte bei der
Enthüllungsfeier erwähnen, dass das Austrian Cen¬
tre viele Flüchtlinge unterstützt und Jugendlichen
gute Schulungen angeboten habe. Dadurch seien
viele zu selbstbewussten und mutigen Menschen
geworden...

Dezember 2016 55