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Urteil der Welt zu appellieren“.”* Was folgte, war eine leiden¬
schaftliche Dekonstruktion des Beweisverfahrens, das zu dem
Fehlurteil geführt hatte. Hupka erhielt für seinen Text von der
Redaktion der Neuen Freien Presse insgesamt drei ganze Seiten
eingeräumt.” Und er schloss seinen Text mit einem flammenden
Appell an den Staat, die Ungerechtigkeit aus der Welt zu schaffen,
die man Halsmann angetan hat.”

Zwei Wochen nach Hupkas öffentlichkeitswirksamer Anklage ge¬
gen das Innsbrucker Urteil sah sich auch Sigmund Freud genötigt,
gegen das psychiatrische Gutachten der Medizinischen Fakultät
der Universität Innsbruck Stellung zu nehmen.” Hupka sprach
in der Folge auch persönlich bei Schober in dessen Funktion als
Justizminister vor — ohne Erfolg.”® Das einzige Resultat bestand
darin, dass auf Antrag Hupkas einer der entscheidenden psychiat¬
rischen Gutachter, Anton Werkgartner, von der Staatsanwaltschaft
aufgefordert wurde, noch einmal zu seinem Gutachten Stellung zu
beziehen. Werkgartner, 1927 an der Universität Wien habilitiert
und spätestens seit 1930 Sympathisant der Nationalsozialisten”,
sah keine Veranlassung, an seinem in der Hauptverhandlung
eingenommenen Standpunkt etwas zu ändern. Neue Indizien
für die Unschuld Halsmanns waren freilich erdrückend: So wur¬
de erst nach den beiden Verhandlungen publik, dass weder an
Halsmanns Kleidung noch an seinem Oberkörper Blutspuren
gefunden worden waren. Mit der Erklärung Werkgartners war
der Fall zwar für die Staatsanwaltschaft, nicht aber für Hupka
erledigt. In einer famosen Polemik zerlegte er die Inkonsistenzen
von Werkgartners Gutachten und die Inkonsequenz der Staats¬
anwaltschaft, das Verfahren nicht wiederaufzunehmen. Hupkas
sarkastisches Resiimee, das ebenfalls in der Neuen Freien Presse
veröffentlicht wurde, lautete: „Es bleibt somit vorläufig wahr, daß
das Blut vom Tater wegspritzt.“°°

Stellungnahme gegen Gewalt an den Hochschulen

Hupka beschränkte sich bei seinen Interventionen nicht auf anti¬
semitisch motiviertes Unrecht. So unterzeichnete er im Frühjahr
1930 einen Appell an den Strafrechtsausschuss des Nationalrats,
den ‚Homosexuellenparagrafen‘ abzuschaffen und homosexuelle
Beziehungen zwischen erwachsenen Männern bei gegenseitigem
Einverständnis zu erlauben. An seiner Fakultät war Hupka der
einzige Unterstützer des Appells, dem sich etliche Prominente
wie Sigmund Freud, Artur Schnitzler, Hermann Swoboda und
Stefan Zweig anschlossen. Es sollte jedoch bis 1971 dauern, bis
der umstrittene Paragraf aus dem Strafgesetz eliminiert wurde?!

Nicht alle Interventionen Hupkas waren so öffentlich wie jene
im Fall des Homosexuellenparagrafen oder dem von Philipp Hals¬
mann. Mitunter hielt sich Hupka völlig im Hintergrund, um
antisemitisches Unrecht mutig zu bekämpfen - indem er es schlicht
bezeugte. Als es im Oktober 1932 zu den bis dahin schlimmsten
Übergriffen nationalsozialistischer Studenten an der Universität
Wien und anderen Hochschulen der Stadt kam, nahm Hupka
einzig in seiner Eigenschaft als engagierter Universitätslehrer 34
Protokolle von betroffenen und zum Teil völlig eingeschüchterten
Studierenden auf und beglaubigte deren schriftliche Aussagen.”

Die traurige Bilanz der Gewaltorgie waren mehrere Dutzend
Schwerverletzte gewesen. Nach der Aufnahme der Protokolle
schickte Hupka diese eindrückliche, rund 200 Seiten umfassen¬
de Dokumentation des frühen NS-Terrors an Rektor Othenio
Abel, der die brutalen Ausschreitungen der nationalsozialistischen

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Josef Hupka im Jahr 1916, porträtiert von Ferdinand
Schmutzer. Credit: A.J. Parkinson

Studenten letztlich zu verantworten hatte. In Hupkas Begleitschrei¬
ben hieß es unter anderem: „Ich bitte Eure Magnifizenz, das hier
vorgelegte Material einer eingehenden persönlichen Durchsicht
zu unterziehen [...]. Die Legitimation zu dieser Bitte schöpfe ich
aus dem Recht und der Pflicht jedes akademischen Lehrers, auch
als einzelner das Wesen und die Würde der Universität gegen alle
Angriffe zu verteidigen, von welcher Seite immer sie kommen
mögen. [...] Was sich in den Tagen vom 17. bis zum 26. Oktober
1932 zugetragen hat, zeigt eindringlich, dass es allerhöchste Zeit
ist, den akademischen Boden von politischen Terror zu befreien
und die Sicherheit der Ehre, des Lebens und der Gesundheit, die
hier für einen Teil der Studierenden verloren gegangen ist, mit
allen gesetzlich gebotenen Mitteln wiederherzustellen.“”
Hupkas mutige Solidarisierung mit den verfolgten jüdischen
Studierenden blieb, wie wir heute wissen, ohne Folgen. Die Spi¬
rale der nationalsozialistischen Gewalt an der Universität Wien
drehte sich im Studienjahr 1932/33 unter dem Rektorat des
NS-Sympathisanten Othenio Abel ungebremst weiter. In dessen
Amtszeit kam es zu zahlreichen weiteren Gewalttaten, die zum Teil
noch schlimmer waren als jene im Oktober 1932. Die Vorfälle
rund um Josef Hupka spätestens nach 1926 legen jedenfalls nahe,
dass die bestimmenden Kräfte an Österreichs Universitäten und
Hochschulen — und insbesondere an der Universität Wien — sehr
viel weniger Opfer als Wegbereiter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Österreich waren und eine wesentliche Rolle
bei der Radikalisierung des innenpolitischen Klimas spielten.
Hupka hat sich als einer der wenigen mutig dagegen gewehrt.