Die pietäartige Darstellung verweist auf die nach wie vor aktuelle
Utopie des harmonischen Miteinanders der Menschen, abseits von
religiösen, ethnischen oder nationalen Unterschieden.
Der 1973-74 erschienene Zyklus Der Wind des Volkes / Viento del
pueblo (10 Blatter) ist Ergebnis einer im Herbst 1973 unternom¬
menen, verdeckten Reise in das Spanien unter der Franco-Diktatur.
Waehner kam nicht als Touristin, sondern reiste mit Unterstützung
des Anfang der 1960er Jahre in Bologna gegründeten „Comitato
Spagna Libera“” und diverser illegaler oppositioneller Gruppen
(Comisién de la Solidaridad) durch das Land. Ihr Interesse galt dem
Leben unter den Repressalien des späten Franquismus. Sie kam mit
vielen oppositionellen Kraften in Kontakt, mit Kommunisten, So¬
zialisten oder Katholiken, mit Intellektuellen, Studenten, Arbeitern,
Arbeitslosen, illegalen freien Gewerkschaftern, Arbeiterpriestern
etc. Sie besuchte verbotene Versammlungen, sprach mit Opfern
von Gewalt und Unterdrückung und interessierte sich für das
Schicksal der Minenarbeiter in Asturien, von denen viele, wie einst
ihr Großvater, ein Bergbauingenieur, an Silikose erkrankt waren.
Während ihres Aufenthaltes entstanden nur einzelne Federskizzen,
kaum schriftliche Notizen, da Waehner Angst hatte, im Falle einer
Arretierung Oppositionelle in Gefahr zu bringen. Umso wichtiger
war es für sie, ihre Eindrücke unmittelbar nach ihrer Rückkehr zu
Papier zu bringen, bildlich wie schriftlich."
Namensgebend für den Zyklus war der 1936/37 erschienene
Gedichtband „Viento del pueblo“ des spanischen Volksdichters
und Antifaschisten Miguel Hernändez, der 1942 in der Haft ver¬
storben war. Die 10 Blätter haben unterschiedliche Formate und
sind durch bewegte Umrisslinien gekennzeichnet. Während das
einleitende Blatt noch fröhliche Straßenszenen und das Feiern auf
den Ramblas in Barcelona illustriert, wendet sich die Stimmung
in den folgenden Holzdrucken. Gewalt, Brutalität, Mord und
Verfolgung bestimmen die Szenen. Aufrüttelnd gestaltete Wachner
das gleich einem Diptychon angelegte zweiteilige Blatt, das unter
dem Titel „A la viuda de Pantino“ und „Llanto“ die Trauer der
spanischen Mütter zum Inhalt hat. Der querformatige Holzschnitt
„Die Landschaft im ewigen Schatten“ erinnert an die von ihr
besuchte Industrielandschaft mit den rauchenden Schloten der
Minengebiete. Die einzige Figur wird bereits vom todbringen¬
den Schatten verfolgt, womit wohl das Schicksal der an Silikose
Erkrankten gemeint ist.
Das politischste Bild ist „Götico espanol“, das vom Format an
ein gotisches Fenster oder an den Querschnitt einer Kathedrale
erinnert. Die rechte Hälfte des Bildes nehmen die in dem be¬
rüchtigten „Prozess 1001“ zu hohen Haftstrafen (12-20 Jahre)
verurteilten, namentlich gekennzeichneten zehn Führer der ille¬
galen Gewerkschaft Comisiones Obreras (CC.OO) ein. Kurz vor
Prozessbeginn, am 20. Dezember 1973, war der wenige Monate
zuvor als Ministerpräsident und Nachfolger Francos eingesetzte
Carrero Blanco durch ein Attentat der ETA ermordet worden.
Das aufgeheizte Klima trug zu den drakonischen Urteilen bei.
Waehner stellt die Aktivisten, für sie „Heilige unserer Zeit“"', in
Häftlingskleidung hinter Gittern dar. Die linke Hälfte des Blattes
wird von Arbeiterpriestern eingenommen, die für deren Freilassung
protestieren. (Eine Reduzierung der Haftstrafen erfolgte 1975
unter König Juan Carlos.) Dieser Holzschnitt diente Wachner
als Vorlage für das Mosaik „Götico espanol“ (1974, 130 x 280
cm)'?, das sie als Geschenk der „Comisiones Obreras spagnole“
an die Region Emilia-Romagna überreichte. Biszur Übersiedlung
der Regionalverwaltung 1985 in ein neues Gebäude in dem von
Kenzo Tange geplanten Stadtteil im Norden (,,Fiera di Bologna“)
war das Mosaik in der „Sala di Rappresentanza“ des Palazzo della
Regione in der Viale Silvani ausgestellt. Heute befindet es sich in der
Kunstsammlung der Regionalverwaltung."? Es galt ihr als Zeichen
der Solidarität der prononciert linksgerichteten Emilia-Romagna
mit dem unterdriickten spanischen Volk, an dessen Schicksal und
Mut das Mosaik erinnerte.
Eins der immer wiederkehrenden Themen ist die Welt der Musik.
Die junge Waehner war in einer musikliebenden Familie aufge¬
wachsen. Die Großmutter war Organistin und Sängerin, ihre
Mutter Ella Waehner Pianistin und ihr Vater Theodor Waehner
mit Hugo Wolfbefreundet. Ehe sie sich für die Malerei entschied,
hatte sie am Konservatorium studiert. Musik blieb ihr eine stete
Passion. Auch während ihrer Vorstandstätigkeit für den Werkbund
organisierte Wachner ab 1934 zahlreiche Literatur- und Musik¬
veranstaltungen, auf denen Stücke der sog. Kulturbolschewisten
(G. Gershwin, I. Strawinsky, P. Hindemith, S. O. Prokofieff, A.
Honegger, E. Krenek, A. Berg etc.) gespielt und von Bruno Walter
oder Hermann Scherchen dirigiert wurden. Ein besonderes Ereignis
war die Einladung der danisch-islandischen Sangerin Engel Lund
(1900 — 1996), einer Interpretin jiddischer Volkslieder, deren
Konzerte in Deutschland bereits untersagt waren. Waehner hat
ein gelungenes Portrat von Engel Lund gemalt (1933/34).
Der 1972 entstandene Holzschnittzyklus Musik machen und
hören / Fare e sentire musica (10 Blätter) widmet sich einerseits
den Musikproduzenten, bevorzugt Dirigenten wie Bruno Walter,
Arturo Toscanini, Arthur Klemperer oder Dawid Oistrach oder