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Drittens schließlich ist das tschechische Fxiltheater mit den be¬
reits angeführten Autoren zu nennen, das wiederum in Berührung
mit Iheaterleuten kam, die über andere Exilerfahrungen verfüg¬
ten. Leopold Lindtberg, der im Schweizer Exil zum wesentlichen
Regisseur des Zürcher Schauspielhauses geworden war, am Burg¬
theater seit 1947 wirkte und durch die Direktion Benning seine
Beziehung zum Burgtheater intensivieren konnte, inszenierte die
Uraufführungen von Havels Protest sowie Kohouts Attest (1979)
und Maria kämpft mit den Engeln (1981) am Akademicetheater.
Angelika Hurwicz war als Regisseurin für die Uraufführung von
Vaclav Havels Versuchung (1986) vorgesehen.'® Maria Becker —
auch sie war im Exil zur langjährigen Protagonistin des Zürcher
Schauspielhauses geworden und hatte in der Nachkriegszeit dem
Ensemble des Burgtheaters angehört, dieses aber wieder verlassen
—las 1986 (als Matineé) Texte von Vaclav Havel, unter anderem
aus den Briefen an Olga sowie dem Essay Politik und Gewissen.

Kulturkampfe

Die späte Periode des Kalten Krieges der 1970er und frühen
1980er Jahre, war eine Zeit der „künstlich und stets zu staatspo¬
litischen Affären aufgeheizten Kulturkämpfe“, wie Evelyne Polt¬
Heinzl formuliert hatte,'” wobei die öffentlichen Angriffe gegen
die damalige Burgtheaterdirektion mit besonderer Systematik
betrieben wurden. Gemeinsamer Nenner war der Vorwurf einer
linken Unterwanderung des Burgtheaters; getragen wurde diese
»Anti-Links-Kampagne“'* — wie sie seitens des Burgtheaters ge¬
nannt wurde — von der Kronen Zeitung und zeitweilig auch von
der Zeitung Die Presse sowie — bis hin zu parlamentarischen Reden
und Anfragen - von der FPÖ und Teilen der ÖVP.

Für die Situation bezeichnend war, dass Angehörige aller drei
Exile in Wien wiederholt Angriffen ausgesetzt waren, die zwar in
verschiedenen Formen stattfanden, jedoch ineinander übergehen
konnten und immer auch die Leitung des Burgtheaters treffen
sollten: So gab es die bereits erwähnten Attacken gegen „DDR¬
Regisseure“, weiters Ressentiments gegen Exilautoren wie Elias
Canetti und schließlich antitschechische Invektiven gegen die
„Dissidenten“, vorwiegend in Briefen von Theaterbesuchern.””
Obwohl das Ihema des „Exils“ hier nicht im Vordergrund stand,
waren diese Aktionen doch Ausdruck einer vorhandenen und
mobilisierbaren Wut gegenüber denjenigen, die als Fremde und
Störende angesehen wurden. Diese konnte sich im Übrigen stei¬
gern, wenn das am Iheater Dargebotene auch formal als Ausdruck
von Fremdheit empfunden wurde: Der Kampf um das Burgtheater
nahm dann die Gestalt einer Verteidigung von Idealen an, die es
wieder herzustellen galt. Vulgäre Ausfälligkeiten waren dabei mit
hochtrabenden Phrasen verknüpft, und auf verworrene Weise ging
es gegen ein Modernes, von dem man sich zugleich irgendwie
getroffen fühlen musste. In Briefen an die Burgtheaterdirektion
wurde Väclav Havels Berghotel” mit ähnlichen Worten beschimpft
wie Canettis Komödie der Eitelkeit — bei aller Verschiedenheit
ist beiden Werken gemeinsam, dass sie von Mitteln der Satire
geprägt sind und menschliches Verhalten durch die Ausstellung
sprachlicher Deformation entlarvt wird. Die Briefschreiber sahen
offenkundig ihre liebgewordenen Gewohnheiten bedroht und
versuchten mit wüsten Schimpfreden längst brüchig gewordene
kulturelle Bastionen zu befestigen. Bei den Vorstellungen des
Berghotels kam es — wiederum vergleichbar mit den Reaktio¬
nen auf die Komödie der Eitelkeit - zu Unmutsäußerungen von

ZuschauerInnen, bis hin zum Verlassen des Zuschauerraums unter
lautstarkem Protest. Dokumentiert aber ist auch eine „Polarisie¬
rung des Publikums“, denn zugleich wurden „Stück, Inszenierung
und Schauspieler von einer keineswegs winzigen Minderheit z.T.
enthusiastisch gefeiert“?!

Die Havel-Rezeption lässt sich allerdings nicht unter dem Begriff
„Skandal“ einordnen, und fern wäre es dem Dramatiker selbst
gelegen, solchen hervorrufen zu wollen. Aufregungen der geschil¬
derten Art blieben bei jenen Dramen ohnehin aus, die cher einer
gewohnten Form folgten, obwohl sie nicht minder kritisch waren.
Ist auch die Wirkung der Havel’sschen Stücke auf das Publikum
im Einzelnen ebenso wenig rekonstruierbar, wie das Meinungs¬
konglomerat der Theaterkritik in seiner Gesamtheit, so kann doch
allgemein von einem Erfolg gesprochen werden. Vor allem das
belegbare Interesse der Zuschauerlnnen lässt sich als Indiz hierfür
nehmen, und die, bei allen Schwankungen, durchwegs positiv
gehaltenen Kritiken?” verstärken diesen Eindruck. Zum Spektrum
der Rezeption gehörte natürlich auch — wie Achim Benning im
Rückblick schrieb - jene „Spezies von Antikommunisten, die aus
intellektuellem Mangel dem Kommunismus nichts als das ‚Anti‘
entgegenzusetzen hatten“ und für die „die Dissidenten oft nur
willkommene, effektvoll einzusetzende Argumentations-Figuren“
waren, bei „denen man sich obendrein gratis und franko Haltungen
zur eigenen moralischen Nachrüstung ausborgen konnte.“ Bei
Havel ließ sich in Theaterkritiken darauf verweisen, dass er - im
Unterschied zu anderen „Dissidenten“ — nicht der kommunisti¬
schen Partei angehört hatte.”

In den Kulturkämpfen des Kalten Kriegs gab es meist ver¬
schwommene Bilder und in der Verworrenheit des Gefechts pas¬
sierte es, dass jene „Dissidenten“, die in den ‚Westen‘ gelangten,
dennoch dem ‚kommunistischen Osten‘ zugeordnet wurden. Havel
war — wiederum im Unterschied zu anderen „Dissidenten“ — weit
weg, in einem fernen Land und im Gefängnis. Dennoch war die
Stimmungslage in Österreich auch für die Kenntnisnahme seiner
Werke zunächst nicht sonderlich günstig. Unter der Bevölkerung
nämlich gab es ein verbreitetes Bedürfnis, Konflikte zu vermei¬
den, das sich als Ausdruck von Gleichgültigkeit, verbunden mit
der Abneigung gegenüber kritischen Haltungen, interpretieren
lässt: Bei einer „Repräsentativerhebung“ im Rahmen eines For¬
schungsprojekts äußerte sich eine Mehrheit der Befragten gegen
ein Engagement Österreichs für die „Bürgerrechtsbewegungen“
in ‚Osteuropa‘, eingeschlossen in diese Ablehnung war auch die
Gegnerschaft zur „Aufführung systemkritischer Theaterstücke“ .”°
Diese Meinung, die den Menschenrechtsaktivitäten der öster¬
reichischen Bundesregierung zuwiderlief, wurde unter anderem
damit begründet, dass man „nicht unnötig in die Streitereien
anderer hineingezogen“”° werden wolle. Damit wurde nicht nur
das Engagement für die Bedrängten und Inhaftierten zurückge¬
wiesen, sondern auch das Wiedererkennen der eigenen Situation
in der Lage der Anderen.

Vanék und Kopriva

Dass die Stücke Väclav Havels sich aber eben durchaus auf Vor¬
gänge in anderen Gesellschaften bezichen ließen, wurde bereits
zur Zeit ihrer Aufführung in den Publikationen des Burgtheaters
hervorgehoben.” Ein nicht unwesentlicher Teil des Erfolgs beim
Wiener Theaterpublikum ist wohl tatsächlich darauf zurückzufüh¬
ren, dass hier etwas zu schen war, was mit den eigenen Erfahrungen

Oktober 2017 21