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in Verbindung stand. Solche Wirkung kann nicht nur für jene
Dramen Havels behauptet werden, die in real-absurden Kunstwel¬
ten angesiedelt sind, sondern gerade auch für diejenigen Werke,
die in der CSSR spielen, deren Realismus aber nicht weniger ans
Absurde streift. Die szenische Darstellung jenes Wahnwitzes der
Verhältnisse, in denen die Irrealität des Realen sichtbar wird und
die Menschen zu allerlei charakterlichen Verrenkungen gelangen,
dürfte ein Gelächter über das dramatische Geschehen befördert
haben, das man noch in den vorhandenen Fernschaufzeichnungen
von Havel-Inszenierungen vernehmen kann, und das auch als ein
Lachen der Wiedererkennung deutbar ist.

Das gilt vornehmlich für die Einakter, in denen der Dichter
Ferdinand Vanék — am Akademietheater dargestellt von Joachim
Bißmeier— mit dem Konformismus und Opportunismus der ihm
begegnenden Menschen konfrontiert wird. Die Figur des Vanék
istvon Havel zwar in Anlehnung an eigene Erfahrungen gestaltet,
nicht jedoch als Sprachrohr eingesetzt worden, das Ansichten des
Autors zu verkünden hat. In den politischen Stücken des antii¬
deologischen Dramatikers ergibt sich schon durch die Existenz
des Protagonisten Vanck, der cher passiv ist, höflich bleibt, keine
Konflikte sucht, aber doch seinem Gewissen folgt, ein wie selbst¬
verständlich wirkender Widerspruch zum Regime, vor allem aber
zu den Angepassten, über deren Ängste und Wendungen gelacht
werden kann. „Er hält“, schrieb Väclav Havel über seinen Van&k,
„Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen unwillkürlich jenen
Spiegel vor, in dem sie ihr wahres Gesicht zeigen.“”*

Es wird viel geredet in diesen kurzen Stücken, vor allem von
jenen, die sich jeglicher Verantwortung entziehen, aber ihren
Konformismus umso ausführlicher rechtfertigen oder sogar als
die eigentlich mutige Haltung darstellen. Die Einakter leben
ganz durch den Dialog, der freilich unterschiedlich gewichtet
sein kann und bei manchen Figuren zu monologartigen Reden
voller Wiederholungen des bereits Gesagten führt.

Audienz spielt im Büro eines Braumeisters,”? der zugleich Dirck¬
tor der Brauerei ist. Dieser hat Vanek, der von ihm als Brauerei¬
arbeiter beschäftigt wird, zu sich gebeten (auch Havel arbeitete
übrigens 1974 in einer Brauerei). Ständig Bier trinkend, fragt der
Braumeister den ihm untergebenen Vanek nach seinem Befinden,
gibt ihm Ratschläge — vor allem, dass er hier niemandem trauen
könne -, um dann jovial zur Sache zu kommen: Vanék möge doch
die abverlangten polizeilichen Berichte über sich gleich selbst
schreiben. Für den Gefallen, der eine Selbstbespitzelung wäre und
dem Braumeister ein Problem abnehmen würde, könnte dieser
ihm seinerseits wiederum eine Stelle im Betriebslager verschaffen,
wo es warm und ruhig ist und er Zeit zum Schreiben hätte. Als
Vanék das Ansinnen ablehnt, gerät der inzwischen berauschte
Braumeister in Wut, schimpft über die „Intelligenzler“, die die
„Herren“ seien, schöne „Reden“ führen, während sich für ihn
niemand interessiere.’ Am Ende scheint das Stück wieder von
vorne zu beginnen, ob es anders verlaufen wird, erfährt man nicht.

Vernissage handelt davon, wie ein Paar, Vera und Michael,*! den
in der Brauerei arbeitenden Dichter Vanék einladt. Sie méchten
ihm die aufwandige Ausstattung der Wohnung, insbesondere das
prätentiös eingerichtete große Wohnzimmer, das als Schausplatz
der Handlung fungiert, vorführen und vor allem zeigen, wie
zufrieden sie sind. Er sei ihr bester Freund, wie sie immer wieder
betonen, sie wollen ihn auch ein bisschen auf den richtigen Weg
bringen und haben einen langen Abend geplant. Vanek nimmt
jedoch wenig Anteil an ihrem erkauften Glück und scheint kaum
zum Konsum bekehrbar. Schließlich beschimpfen ihn Vera und

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Michael als „Egoisten“ und „Verräter“, weil er sich nach einiger
Zeit verabschieden möchte — Vanek bleibt, Michael geht zum
Plattenspieler, nun „dröhnt Musik mit voller Kraft aus allen Laut¬
sprechern: am liebsten irgendein Welthit von Karel Gott“, wie es
in der Szenenanweisung heißt.’

Auch Protest (Uraufführung, Akademietheater 1979) spielt an
einem einheitlichen Ort, nämlich im Arbeitszimmer des kon¬
formistischen Autors Jan Stanek.? Dieser hat den Dichter Vanék
in sein Haus gebeten, wo er ihn überaus freundlich empfängt.
Natürlich hat auch er ein Anliegen: Wortreich und sich in mutige
Posen werfend, tritt er für den Protest gegen die Inhaftierung eines
Liedermachers — von dem seine Tochter ein Kind erwartet - ein.
Vanek aber hat ohnchin eine fertige Protestresolution mitgebracht,
die bereits von zahlreichen Personen unterzeichnet worden ist.
Stanek bräuchte diese jetzt nur ebenfalls zu unterschreiben, was
er aber in endlosen Reden - stets lavierend und immer aggressi¬
ver werdend — von sich weist, ja er versucht sogar zu beweisen,
dass seine Unterschrift der Sache schaden würde. Da läutet das
Telefon: Der Liedermacher ist inzwischen freigelassen worden.
Stanek führt seinen Besucher in den Orchideengarten, der sein
ganzer Stolz ist, um ihm „Ableger“ zu schenken.

Die menschliche Komödie des Opportunismus und Konfor¬
mismus scheint unerschöpflich zu sein, aber nach Jahrzehnten
der Unterdrückung fällt die Handlung des Stücks, mit dem die
Vanek-Trilogie gewissermaßen fortgesetzt wird, deutlich tragischer
aus. Das „Schauspiel in sieben Bildern“ Largo Desolato, 1985 am
Akademietheater uraufgeführt und Tom Stoppard gewidmet, spielt
in der „Halle einer Wohnung“, in der der Philosoph Leopold
Kopriva und seine Lebensgefährtin Susanna leben. Die Figur
des intellektuellen „Dissidenten“ — nunmehr also nicht mehr
Vanek, sondern Kopriva, aber wiederum dargestellt von Joachim
Bißmeier — wird als durch Verfolgung und Isolation geschädigter
Mensch gezeigt.” Der Spiegel - um das Bild von Havel aufzu¬
greifen — ist zerbrochen. Schien der stille Protagonist der früheren
Stücke gerade durch seine Zweifel das einzige Subjekt zu sein,
das den subjektlosen Schwadroneuren gegenübergestellt war, so
droht jetzt geradezu seine Auflösung als Subjekt, und er ist den
wohlmeinenden Projektionen seiner Freunde ebenso ausgeliefert
wie den gefährlichen Amtshandlungen der Geheimpolizisten.
Angst, Sucht, Arbeits- und Beziehungsunfähigkeit, Verlust von
Zeit- und Raumgefühl, bis hin zur Illusion, dass mit der dro¬
henden Gefangnishaft den Verwicklungen sogar zu entkommen
ware, sind in einem traurigen Kammerspiel, das auch ins Surreale
übergehen kann, dargestellt.

Die umfassende Bedrohung ist in dieser Tragödie gewachsen, das
Lächerliche aber nicht verschwunden. Zur szenischen Entlarvung
von Repression gehört die zur Schau gestellte Höflichkeit und
Sachlichkeit der beiden Geheimpolizisten - vom Dramatiker als
„Erster und Zweiter Kerl“ bezeichnet. Die beiden „Kerle“ haben
Kopriva den Vorschlag zu überbringen, er solle eine Erklärung
unterschreiben, dass er nicht der Autor eines von ihm verfassten
kritischen Schriftstücks sei. Das wirkt komisch und erschreckend
zugleich, ebenso wie die Berufung der Amtspersonen aufhöhere
Instanzen: „Wir selbst entscheiden natürlich nicht über diese
Dinge“, lässt Havel den „Ersten Kerl“ sagen. Diese Distanzie¬
rung von der eigenen Verantwortung kann ebenfalls unschwer
auf andere Verhältnissen übertragen werden.