Coudenhove-Kalergi war Mitglied der Großloge von Wien, doch
nur von 1922 bis 1926, dennoch unterstützte die GLvW seine
Bewegung bis 1938.‘ Großen Einfluss hatte auch der Soziologe
und Pazifist Rudolf Goldscheid, auch wenn er Mitglied im Wiener
Ableger des Freimaurerbundes „Zur aufgehenden Sonne“ war. Es
gab in Wien aber auch zwei Logen der Großen Landesloge von
Deutschland. Das Jahr 1930 brachte für die GLYW zwar die An¬
erkennung durch die United Grand Lodge of England, doch die
deutschen Großlogen brachen ihre Verbindungen zu Wien wegen
des dort vorherrschenden „jüdisch-französischen“ Einflusses ab.
Schon davor war die GLvW rein geografisch in Bedrängnis
geraten: Die Freimaurerei wurde in Ungarn bereits 1919 von der
Räteregierung verboten und 1920 erneut durch das Regime von
Admiral Horthy; dennoch konnte sie bis 1940 ihre soziale Arbeit
fortsetzen. Eine viel längere und nicht zuletzt im Risorgimento
begründete Tradition hatte sie in Italien; hier machten ihr Musso¬
linis Schlägertrupps 1925 mit Feuer und Mord den Garaus. 1923
sprach auch Leo Trotzki einen Bannfluch gegen die Freimaurerei
aus — in der Regierung Kerenski hatten sich etliche ihrer Mitglieder
befunden.
In Deutschland hatte die Freimaurerei ebenso eine lange Tra¬
dition, doch sie war mehrheitlich christlich-national gepragt. Es
gab dort in der Zwischenkriegszeit zeitweise zehn verschiedene
Großlogen, die sich mitunter stark voneinander abgrenzten, ein we¬
sentlicher Punkt hierbei war die Frage, ob man Juden in die Logen
aufnehmen könne. Zur humanistischen Freimaurerei bekannten
sich nur der Freimaurerbund „Zur aufgehenden Sonne“ und die
Symbolische Großloge von Deutschland um Leo Miiffelmann.
Obwohl kein Jude, hatte er Logen in Jerusalem mitbegriindet,
wo das Licht der deutschen Freimaurerei den Krieg überdauerte.
Die deutschen Großlogen wurden bereits 1933 verboten und
ihr Besitz beschlagnahmt, zu nennenswerten Gewalttaten kam es
dabei nicht. Nur die drei „altpreußischen“ Großlogen in Berlin
konnten bis 1935 durchhalten, weil sie sich in vorauseilendem
Gehorsam in „deutsch-christliche Orden“ umbenannten und die
alttestamentarische Symbolik durch eine diffuse Gralsmystik ersetz¬
ten. Im Vorfeld ihrer Zerschlagung Mitte 1935 wurde im Karneval
von Mainz, Düsseldorf und Frankfurt am Main ein Freimaurer¬
Wagen mitgeführt, um die ohnchin abfällige Simmung in der
Bevölkerung zu testen.‘ Freimaurer konnten nur dann Mitglied
der NSDAP werden, wenn sie bereits vor der „Machtergreifung“
die Loge verlassen hatten. Eine Sonderstellung hatte Reichswirt¬
schaftsminister Hjalmar Schacht, der zwar, obwohl ihm 1937 von
Hitler persönlich das Goldene Parteiabzeichen verliehen wurde,
nie selbst aktiv Mitglied der NSDAP wurde, aber von 1906 bis
1933 und dann wieder ab 1947 Freimaurer war.
Im österreichischen „Ständestaat“ wurden die Logen im Ge¬
gensatz zu politischen Parteien und deren Vorfeldorganisationen
nicht verboten. Dies nicht zuletzt deshalb, weil sich die GLVW im
Juli 1933 in einer Agenturmeldung als „vaterländisch“ deklarierte.
Von Beamten auf allen Ebenen wurde jedoch gefordert, aus den
Logen auszutreten. Dies legte die GLvW wiederum ihren deklariert
linken Mitgliedern wie Kommunisten und Freidenkern nahe - die
Folge war ein großer Aderlass von bis zu 700 Mitgliedern. Zudem
mussten die erst um 1930 gegründeten Logen in Graz und Klagen¬
furt eingeschläfert werden, denn im Gegensatz zu Wien hätte der
fortdauernde Logenbesuch in der Provinz tatsächlich zu Gefahr für
Leib und Leben führen können. Die Loge „Pythagoras“ in Wiener
Neustadt hingegen löste sich 1933 selbst auf, weil sich ein Teil der
Mitglieder als illegale Nazis entpuppte. Nach dem Bürgerkrieg
im Februar 1934 wurden die Logen überwacht — einem anwe¬
senden Polizeibeamten wurden jedoch ein erfundenes Ritual und
belanglose Konversation vorgeführt. Anlässlich der Ermordung
von Kanzler Dollfuß im Juli 1934 veröffentlichte auch die GLYW
ein Kondolenzschreiben. Unter Kanzler Schuschnigg hörte die
Überwachung wieder auf, diplomatische Rücksichtnahme auf
England könnte die Ursache gewesen sein.
Am Vorabend der von Bundeskanzler Schuschnigg anberaumten
Volksabstimmung im März 1938 spendete der weithin angesehene
Grofßindustrielle und Freimaurer Martin Bunzl einen namhaften
Betrag für dieses Unterfangen. Auf die Absage der Abstimmung
und den bevorstehenden Einmarsch der Wehrmacht reagierte die
GLvW mit dem Beschluss, dass nichts versteckt oder verborgen
werden solle und dass man den Verlauf der Ereignisse abwarten
wolle. Am 12. März 1938 versammelte sich bereits um drei Uhr
Früh eine johlende Menschenmenge vor der Dorotheergasse 12,
dem Sitz der GLvW. Daraufhin wurden die Schliissel der Polizei
übergeben, was eine Stürmung der Räumlichkeiten im 2. Stock
abgewendet haben dürfte. Sofort verhaftet und intensiv verhört
wurden der schwer kranke Großmeister Richard Schlesinger und
Großsekretär Wladimir Misaf. Schlesinger wurde zwar bald wie¬
der entlassen, doch da ihm jede ärztliche Behandlung untersagt
wurde, verstarb er wenige Wochen danach. Da Misaf nicht Jude
war, durfte er Ende 1938 nach England ausreisen. Nicht zuletzt
durch seine Freundschaft mit dem amerikanischen Freimaurer
und Großlogenbeamten Ray Denslow wurden österreichische
Anliegen auch in den USA gehört.
Am 16. März wurden alle Stuhl- und Schatzmeister per po¬
lizeilicher Vorladung in die damaligen Logenräumlichkeiten in
der Schwindgasse 8 bestellt und verhört. Hierbei wurden sie
gezwungen, sämtliches Vermögen zu übergeben, wobei es sich
insgesamt um 200.000. Schilling handelte. Am nächsten Tag
erfolgten zahlreiche weitere Verhaftungen von österreichischen
Freimaurern. Zudem wurden die Räumlichkeiten in der Doro¬
theergasse von 40 SS-Männern durchsucht und alle beweglichen
Güter inklusive Archiv und Bibliothek in die Gestapo-Leitstelle
in der Theresianumgasse 16 verbracht — und später von dort nach
Berlin. Während das Archiv 1945 von der Roten Armee zusammen
mit anderen „Beuteakten“ nach Moskau transportiert wurde, war
die Bibliothek der GLvW bereits 1938 auf Betreiben des neuen
Generaldirektors der Österreichischen Nationalbibliothek Paul
Heigl in seinen Bestand einverleibt worden.
Ebenfalls am 17. März wurden die Räumlichkeiten des AASR
in der Annagasse 18 einer Razzia unterzogen. Da der AASR im
Gegensatz zu den autochthonen Großlogen mit Schwerpunkten
in Amerika und Frankreich international agierte, erwartete sich
die SS von diesem Aktenmaterial Aufschlüsse über die von ihrer
Propaganda insinuierte „freimaurerische Weltverschwörung“.
Aus diesem Grund wurden auch die Privaträume von AASR¬
Funktionären durchsucht, so die des Chirurgen und Souveränen
Großkommandeurs Karl Doppler und des Anwalts Viktor Krauß.
Mit etwa 200 Mitgliedern in zwei Logen ebenfalls in Wien behei¬
matet war das freimaurerische System des „Droit Humain“, das
Frauen und Männer aufnimmt. Deren Räumlichkeiten befanden
sich in der Berggasse 16, doch als die SS am 21. März dort eine
Razzia durchführten, fand sie zu ihrer großen Enttäuschung das
Vereinslokal komplett geräumt vor. Zudem gab es Razzien in
Buchhandlungen auf der Suche nach Freimaurer-Literatur und
Fälle von Berufs- und Publikationsverboten.