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dass auch die Namen aller anderen bei der SS bekannt waren.
Zu ihnen gehört Aram Taschdjan, der in den Kriegsjahren einen
Juden bei sich versteckte, wofür er postum von Yad Vashem geehrt
wurde. Vermutlich aus Tarnungsgründen war Taschdjan gleichzei¬
tig Mitglied der Faschistischen Partei Italiens. Der bedeutendste
Widerstandskämpfer aus den Reihen der Freimaurer war zwei¬
fellos Hans Sidonius Becker.” Dieser war bereits im Ständestaat
mit Anti-NS-Propaganda beschäftigt, wofür er vom NS-Regime
im KZ Mauthausen interniert wurde. Wieder entlassen, gehörte
Becher gegen Kriegsende zu den Begründern der 05-Bewegung,
nach deren Aushebung er erneut in das KZ Mauthausen eingelie¬
fert wurde. Becker überlebte dieses ein zweites Mal und trat nach
dem Krieg in den diplomatischen Dienst und als Freimaurer in
die Sammelloge „Humanitas renata“ ein. Er starb 1948 in Chile
an den Folgen eines Attentats.

Das generelle Problem bei der Erfassung von Widerstandstä¬
tigkeit liegt darin, dass die Beteiligten ja möglichst wenig Spuren
hinterlassen wollen. Auch war es nicht einmal in der Nachkriegszeit
in allen Fällen ratsam, sich zum Widerstand zu bekennen. Zudem
hat sich dieser nicht nur in militärischen oder propagandistischen
Aktionen geäußert, sondern auch im Alltag, viele solche Aktionen
kommen erst Jahre später, oft durch Zufall an die Öffentlichkeit.
Daher soll auch aufeine kleine Gruppe junger Männer von beson¬
derer Tapferkeit verwiesen werden, die in der Wehrmacht dienten
und weder wussten, ob sie den Krieg überleben, noch dass sie in
späteren Lebensjahren Freimaurer sein würden: Der später als
Kunstmaler und Farbtheoretiker tätige Hugo Schönborn (Vater
des derzeitigen Erzbischofs von Wien) weigerte sich in der Wehr¬
macht, den ihm aufgrund seiner adeligen Herkunft zustehenden
Offiziersrang einzunehmen, er kämpfte als einfacher Gefreiter
vor Stalingrad und konnte 1944 in Flamen zur britischen Armee
überlaufen. Der später als Lyriker bekannt gewordene Michael
Guttenbrunner wurde bereits 1938 von der Schule verwiesen, weil
er sich weigerte, das Horst- Wessel-Lied zu singen. Als Wehrmachts¬
soldat kam er drei Mal vor ein Kriegsgericht, ein Todesurteil wurde
erst nach Intervention aus der Truppe revidiert. Der Schauspieler
Fritz Muliar verhalf als Soldat in Frankreich Juden zur Flucht und
saß wegen „Wehrkraftzersetzung“ und „Beleidigung des Führers“
zum Tod verurteilt sieben Monate in Finzelhaft.

Nach dem NS-Terror im März 1938 waren Prag, Paris und
London die ersten Fluchtziele österreichischer Exilanten. An die
600 Freimaurern gelang die Flucht ins Exil. In Prag und anderen
tschechoslowakischen Städten haben vermutlich die Freimaurer
der deutschsprachigen Großloge „Lessing zu den drei Ringen“
Brüdern aus Österreich hilfreich beigestanden, doch deren Archiv
wurde nach dem Krieg vernichtet. In Budapest war die rituelle Frei¬
maurerei zwar verboten, doch die soziale Arbeit war unvermindert
weiter geführt worden. Auch hier gab es ebenso wie in Belgien bis
Kriegsbeginn zahlreiche helfende Hände. In der Schweiz war es die
Großloge „Alpina“, die gerne mehr österreichischen Freimaurern
geholfen hatte, was jedoch die rigorosen Einwanderungsgesetze
verhinderten. Eine Exilloge namens „Humanitas“ konnte 1943
in Buenos Aires mit der Hilfe argentinischer Freimaurer gegrün¬
det werden, in Sydney wurde dies von der örtlichen Großloge
jedoch untersagt. In Palästina schlossen sich die Österreicher den
deutschen Exillogen wie etwa der „Müffelmann zur Treue“ an. In
Shanghai bestand bereits seit 1931 die einzige Auslandsloge der
GLvW, die Loge „Lux Orientis“, doch als 1938 österreichische
Brüder an deren Pforte klopften, mussten sie feststellen, dass auch
hier der Geist des Nationalsozialismus Einzug gehalten hatte. Über

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die unterschiedlichen Situationen und Bedingungen in Zentren des
Exils, Paris, New York und London, ist das Wesentliche in meinem
Beitrag „... und Ihnen zu helfen, die Leiden Ihrer Landsleute zu
lindern“ in der aktuellen ZW zu erfahren.

Insgesamt kamen nach 1945 nur wenige österreichische Freimau¬
rer aus dem Exil zurück nach Wien, was aber auch der generellen
Situation entsprach. Wenige Tage nach Kriegsende wagten sich
die ersten Brüder wieder in ihre Räumlichkeiten in der Dorotheer¬
gasse 12. Sie fanden großes Chaos vor, vieles war geraubt worden,
doch andererseits hingen noch viele Gemälde an der Wand und es
fanden sich auch Objekte aus dem Besitz der Rotarier, Schlaraffen
und der B’nai B’rith, da es während der NS-Zeit den Plan gegeben
hatte, hier ein Anti-Freimaurermuseum zu errichten. Am 28. Juli
1945 kamen nur 48 Brüder zu einer ersten Versammlung, am 4.
August 1945 wurde die Sammelloge „Humanitas renata“ gegründet
und bereits am 20. Oktober 1945 wurde eine erste rituelle Arbeit
abgehalten, die ganz im Andenken an die unter dem NS-Regime
ermordeten und verschleppten Brüder stand. Als schützende Hand
im Hintergrund fungierte der amerikanische General Mark Clark
(32° im AASR), aber wahrscheinlich auch andere Freimaurer aus
den Reihen der alliierten Besatzungssoldaten.'? Erster Großmeis¬
ter der Großloge von Wien für Österreich wurde Karl Doppler,
der jedoch bereits Mitte 1947 verstarb. Zu seinem langjährigen
Nachfolger avancierte der deklariert katholische Bernhard Schei¬
chelbauer (Leiter des Bundespressedienstes im Bundeskanzleramt),
der zwar 1952 die für die internationale Reputation wichtige An¬
erkennung durch die UGLE erlangte, dies jedoch für den Preis des
Abbruchs sämtlicher traditionell guter Beziehungen zu allen von
der UGLE nicht anerkannten freimaurerischen Institutionen, also
vor allem zu den französischen Großlogen. Zudem schwenkte die
österreichische Freimaurerei von ihrem einst aktivistischen hin zu
einem kontemplativen Kurs. Noch vor Abschluss des Staatsvertrags
erfolgte 1955 die Umbenennung in Großloge von Österreich der
Alten und Angenommenen Freimaurer.

Anmerkungen

1 Siehe dazu: Jacob Katz: Jews and Freemasons in Europe 1723-1939.
Harvard Univ. Press 1970.

2 Friedrich Wichtl: Weltfreimaurerei, Weltrevolution, Weltrepublik. Eine
Untersuchung über Ursprung und Endziele des Weltkrieges. München 1919.
Erich von Ludendorft: Vernichtung der Freimaurerei durch Enthüllung ihrer
Geheimnisse. München 1927. Friedrich Hergeth (Ps. für Paul Heigl): Aus
der Werkstatt der Freimaurer und Juden im Österreich der Nachkriegszeit.
Graz 1927.

3 Marcus G. Patka: Freimaurerei und Sozialreform. Der Kampf für Men¬
schenrechte, Pazifismus und Sozialreform 1869-1938 in Österreich. Wien
2011. Walter Göhring: Verdrängt und vergessen. Friedensnobelpreisträger
Alfred Hermann Fried. Wien 2006. Rainer Hubert: Die österreichische
Freimaurerei 1918-1938, in: Der kurze Traum 1918-1938. Österreichisches
Freimaurermuseum Schloss Rosenau 1988, 9-22. Günter K. Kodek: Unsere
Bausteine sind die Menschen. Mitglieder der Wiener Freimaurer-Logen
1869-1938. Wien 2009. Ders.: Zwischen verboten und erlaubt. Chronik
der Freimaurerei in der österreichisch-ungarischen Monarchie 1867-1918
und der I. Republik 1918-1938. Wien 2009.

4 Walter Göhring: Richard Coudenhove-Kalergi. Ein Leben für Paneuropa.
Wien 2016.

5 Ralf Melzer: Konflikt und Anpassung. Freimaurerei in der Weimarer Re¬
publik und im „Dritten Reich“. Wien 1999. Karsten Oelckers: Großmeister
Leo Müffelmann. Richtungskämpfe innerhalb der deutschen Freimaurerei
in den Jahren 1923-1934. Leipzig 2014.