Die Ankunft einer überwältigenden Anzahl republikanischer
Flüchtlinge aus Spanien verkomplizierte die Hilfsmöglichkei¬
ten erneut. Der Verwaltungsrat des GOdF organisierte am 14.
Jänner 1939 eine Konferenz der Stuhlmeister der Region Paris.
Bei diesem Treffen wurde entschieden, dass jeder Bruder eine
monatliche Überweisung von 10 Francs für die Flüchtlingshilfe
aufbringen solle.’ Im Rundschreiben Nr. 14 vom 1. März 1939
schätzte der Verwaltungsrat die Anzahl der Hilfsbedürftigen auf
ca. 2.000 geflüchtete Freimaurer samt Familienangehörigen. Die
Verwaltungsrat bat weiters, dass die einzelnen Logen die Identität
all jener bekannt geben sollten, denen geholfen werde, auch wie
und wo sie untergebracht seien, worin die Hilfeleistung bestehe
und wie die einzelnen Logen bei ihren Hilfsaktionen unterstützt
werden könnten. Die Brüder Tirand (aus Narbonne) und Vidal
(aus Perpignan) organisierten und zentralisierten die Personensu¬
che. In Absprache mit den beiden spanischen Großlogen wurden
Flüchtlingslager für Freimaurer eingerichtet, für deren Erhalt dann
auch öffentliche Gelder organisiert werden sollten.
Im Rundschreiben Nr. 16 vom 20. April gab es seitens des GOdF
einen ersten Zwischenbericht der französisch-spanischen Kommis¬
sion. Darin erfährt man von zwei Auflanglagern für jeweils 200
Flüchtlinge. Jenes in Auterive leiteten die Brüder Joseph Antoine
Fournié® aus Toulouse und Roger Galley (Stuhlmeister der Loge
„LEHarmonie sociale“). Die beiden hatten sich den am Bahnhof
von Toulouse ankommenden Flüchtlingen durch Zeichen als
Freimaurer zu erkennen gegeben. Pierre Metge, Mitglied der Loge
„Saint-Jean des Arts et de la Régularité“ in Perpignan, leitete das
Lager in Saint-Bauzille de Putois. Der GOdE, der seine Mitglieder
um Kleidungs- und Schuh-Spenden bat, berichtete von Logen
in Bayonne, Bordeaux, Lyon, Saint-Etienne, Marseille, die nur
unzureichend zur Versorgung beitragen könnten. Not leidende
Brüder wurden auch einzeln unterstützt. Um die letzten aus Ma¬
drid und Valencia kommenden Flüchtlinge gut unterzubringen,
sollte in Bordeaux ein weiteres Lager eingerichtet werden. Da man
sich seitens der Regierung wünschte, alle geflüchteten Freimaurer
sollten in staatlichen Lagern untergebracht werden, wurden die
französischen Großlogen finanziell entlastet.
Im Rundschreiben des GOdF wurden die Brüder in der Region
Midi gelobt. Es wurde auf die Meriten jener in Perpignan hin¬
gewiesen, welche „seit Wochen Tag und Nacht damit verbracht
haben, den Exodus an der spanischen Grenze zu organisieren
und in ihren Heimen hunderte Menschen versorgt und unter¬
gebracht haben. Sie entrissen den Sammellagern all jene, die
sie unterbringen konnten.“ Der GOdF lobte ebenfalls die rege
Tätigkeit der Brüder in Marseille und im Maghreb, welche „über
die Passivität, manchmal sogar die Missgunst der Behörden tri¬
umphiert haben“. Es wurde begrüßt, dass in „Bayonne, Lyon,
Saint-Etienne, Toulouse, Carcassonne, Béziers, Bordeaux, Nantes,
Agen und vielen anderen Orten sich alle Freimaurer dafür einsetz¬
ten, angemessene Unterkiinfte und Essen zu finden, wobei viel
improvisiert werden musste. Wir werden nicht die gewissenhafte
Arbeit des Komitees von Toulouse vergessen oder der MvSt. der
betroffenen Grenzregionen, die lokalen Mitglieder des Bundes¬
und des Verwaltungsrates, welche unter der Leitung des Bruders
Félicien Court, schnell und effizient gehandelt haben, um unser
Hilfswerk auf die Beine zu stellen./ Und es ist wohl überflüssig
zu erwahnen, dass all diese Briider viel mehr getan haben als das,
worum wir sie gebeten haben. Die Brüder in Bayonnc helfen z.B.
den geflüchteten Brüdern aus Spanien, seitdem 1936 die ersten
von ihnen aus dem Baskenland gekommen sind.“
Der GOdF bat darum, alle Bemühungen und Einkünfte der
Fluchthilfe zukommen zu lassen und erinnerte, „obwohl im All¬
gemeinen cher gemäßigter politischer Einstellung, stehen unsere
spanischen Brüder ganz oben auf den Todeslisten Francos“, wes¬
halb „sie existenziell bedroht sind und ein neues Leben im Exil
aufbauen müssen.“
Um eine Annäherung zu erleichtern, das Bedürfnis nach Infor¬
mation zu befriedigen, wurden die Daten der Flüchtlinge erfasst,
der GOdF legte eine Kartei an. Die einzelnen Logen wurden gebe¬
ten, diese zu vervollständigen, um den Werdegang der Flüchtlinge
nachvollziehbar zu machen. Die Angabe vom Beruf (ob jemand
z.B. Mechaniker oder Landwirt ist) war besonders wichtig, um
eventuell eine Arbeit für die Flüchtlinge zu organisieren.
Der GOdF verurteilte die unmenschlichen Bedingungen in den
Flüchtlingslagern Argeles oder Saint-Cyprien und setzte sich stark
dafür ein, die Brüder möglichst schnell von den „Leiden der
Internierung“ zu befreien. Auch wenn den Flüchtlingen nicht
viel Hoffnung gemacht werden konnte, so wurde seitens der
Regierung die Möglichkeit untersucht, Flüchtlinge dauerhaft
in Frankreich unterzubringen. Der GOdF sah sich nach Anfra¬
gen einzelner Logen jedoch nicht in der Lage, die notwendigen
Summen aufzubringen, um dringende Hilfestellungen oder den
Umzug innerhalb Frankreichs oder die Auswanderung so vieler
Flüchtlinge zu finanzieren. Es folgten Gespräche zwischen den
Behörden, den Spaniern und französischen sowie lateinamerika¬
nischen Großlogen.
Im Rundschreiben des GOdF vom 21. Mai 1939 wurden die
einzelnen Logen gebeten bekannt zu geben, wie hoch die Spenden
für die Unterkünfte seien bzw. wie viel direkt an die Flüchtlinge
gegangen ist. Man wollte dem Komitee des französischen maure¬
rischen Hilfswerks für spanische Flüchtlinge, welches vom GOdF
und der GLdF organisiert worden war und sich um Nahrung,
Essen und Behördengänge kümmerte, Zahlen nennen können.’
Dank der in Russland aufgetauchten Archive der französischen
Großlogen verfügen wir über einige Antworten auf diese Rund¬
frage. Es wurden Geld, Kleidung, Grundnahrung, Medikamente
von Logen, Vorfeldorganisationen, befreundeten Vereinigungen
zur Verfügung gestellt, um Freimaurern und ihren Angehörigen zu
helfen®. Die Logen wurden gebeten, Familien oder alleinstehende
Freimaurer direkt zu kontaktieren. Der GOdF schaffte es nach
Interventionen im Innenministerium oder bei den Präfekturen,
17 Flüchtlinge aus den schlimmsten Lagern wie Septfonds oder
Bram oder aus den Flüchtlingsheimen in Nantes herauszuholen.