bedeutet. Und doch gelang es auch, daß eine schöne weltweite brüder¬
liche Verbundenheit unserer Pfadfinder, soweit sie die furchtbare Zeit,
die nun kam, überhaupt überlebten, bis heute erhalten blieb, wohl
nicht zuletzt auch dieses uns so reich gottesgeschenkten Sommerlagers
1937 am Fernpafß?
Dieses Zitat zeigt schr deutlich, dass Pfadfindergruppen nicht
abseits der geschichtlichen Entwicklung leben.
Pfadfindergeschichte — Ein kurzer Überblick
Im 19. Jahrhunderts trat Jugend als eine eigene Lebensphase in den
Blickpunkt von Verantwortungsträgern in Kirchen und Staat. Die
Entstehung des Wandervogels 1896 und die Gründung der Young
Men's Christian Association (YMCA) 1844 sind als Ausdruck
dieser Entwicklung zu nennen. Im Burenkrieg stieg der Offizier
Robert Baden-Powell durch die Verteidigung von Mafeking zum
britischen Nationalhelden auf. Sein Ausbildungsbuch „Aids to
Scouting“ entwickelte sich in Großbritannien zum Bestseller.
Besonders Jugendliche lasen dieses Militärhandbuch mit gro¬
ßem Interesse. Baden-Powell war zuerst sehr verwundert, doch
der um die Zukunft des britischen Empire fürchtende Militär
sah darin eine Chance. Er suchte den Kontakt zu bestehenden
Jugendorganisationen und entwarf Programme, die Elemente des
militärischen Spähen, Kundschaften und Lebens in den Kolonien
enthielten. Die Faszination der Grenze und des Kolonialismus
sollte für die Charakterbildung und patriotische Erziehung ge¬
nutzt werden. Nach mehreren kleinen Schriften arbeitete er an
seinem Buch „Scouting for Boys“, dem Grundlagenwerk für die
Pfadfinderbewegung. Im Sommer 1907 testete Baden-Powell auf
der Insel Brownsea seine Ideen mit 20 Buben aus verschiedenen
gesellschaftlichen Milieus, und wenige Monate spater erschien
„Scouting for Boys“. Es wurde ein Verkaufsschlager. In der Folge
schlossen sich Kinder und Jugendliche zu Pfadfindergruppen
zusammen. Bäume in städtischen Parks wurden gefällt, um die
Pfadfinderproben abzulegen, und die Jugendlichen gingen ohne
Aufsicht auf Wanderung. Baden-Powells Idee, ein Programm
für bestehende Jugendgruppen auszuarbeiten, war gescheitert.
In Großbritannien entstanden die Boy Scouts und Girl Guides
als eigenständige Institutionen der Jugenderziehung unter dem
Schutz des Könighauses.’
Nationalismus, Militarismus, die Sorge um die Verweichli¬
chung der Gesellschaft und Untergangsängste waren nicht auf
Großbritannien beschränkt. Printmedien berichteten über die
neuen Jugendorganisationen in Großbritannien; Wirtschafts¬
beziehungen und internationale Organisationen wie der YMCA
hatten ebenso ihren Anteil am Bekanntwerden der Pfadfinderei
im Ausland. 1909 stieß Willy Teuber, Erzieher und Offizier in der
Militär-Erziehungs- und Bildungsanstalt Strass, aufdas vom k.u.k.
Kriegsministerium als „wertvoll für die vormilitarische Erziehung
der Jugend“ empfohlene Buch „Scouting for Boys“ und setzte
Elemente daraus in der Arbeit mit den Schülern ein. Bald wurde
auch sein Bruder Emmerich, ein pensionierter in der Jugendpflege
tätiger Kaiserjägerofhizier, aufdie Pfadfinderei aufmerksam und sah
darin ein zukünftiges Betätigungsfeld. In Wien entstand bereits
1912 ein „Wiener Pfadfinderkorps“. Emmerich Teuber war gut
vernetztin Wien, und auch zu Gleichgesinnten im Ausland unter
anderem in Großbritannien und den USA bestanden Kontakte.
Alseinen ersten Pfadfinderführer gewann Teuber einen Armecka¬
meraden aus seiner Jugend, Fritz Toffler. Der jüdische Kaufmann
und Privatier engagierte sich bis in die 1930er für die Pfadfinderbe¬
wegung in Österreich. Am 1. Dezember 1938 wurde Fritz Toffler
im KZ Buchenwald ermordet. Wie Toller schlossen sich in Wien
zahlreiche Juden und Jüdinnen als Mitglieder, Ehrenamtliche und
Gönner der Pfadfinderbewegung an.
In Galizien, Böhmen, Mähren, Ungarn und anderen Teilen der
Monarchie experimentierten die verschiedensten Menschen mit
den pädagogischen Ideen des britischen Generals. Darunter waren
Priester, Lehrer, Offiziere, Beamte, Unternehmer, polnische, ukra¬
inische, deutsche Nationalisten, Zionisten, Kaisertreue... In der
ungarischen Reichshälfte entstand eine selbständige Organisation.
Auch die polnischen, tschechischen und ukrainischen Gruppen
entwickelten rasch handlungsfähige Strukturen. Emmerich Teu¬
ber war von dem Traum eines geeinten Pfadfinderbundes für die
cisleithanische Reichshälfte beseelt. 1914 konnte der „Österrei¬
chische Pfadfinderbund“ (ÖPB) gegründet werden. In einem von
Großindustriellen, pensionierten Spitzenbeamten und Reserveof¬
fizieren unterzeichneten Aufrufanlässlich der Gründung heißt es
unter anderem: „Eltern von Mädchen, Knaben und Jünglingen
ohne Unterschied des Standes, der Religion und Nationalität
gestattet Euren Kindern den Beitritt zu einer Pfadfinderinnen¬
oder Pfadfindergruppel!“® Es blieb ein Traum - die tschechischen,
polnischen, ukrainischen, aber auch deutschnationale Gruppen
schlossen sich dem neuen Bund aus „nationalen Gründen“ nicht
an. Mit den ungarischen und tschechischen Pfadfinderbrüdern
gelang eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Der ÖPB fand bald
Anerkennung bei Armee und Kaiserhaus und wuchs rasch. Vereinzelt
gelanges, z.B. in Trient und im österreichischen Küstenland, auch
Kinder und Jugendliche aus anderen Nationalitäten einzubinden.
Im Ersten Weltkrieg engagierten sich Pfadfinder und Pfadfinde¬
rinnen für das Rote Kreuz, andere Wohltätigkeitsorganisationen, als
Helfer für Armee und Erzherzöge. Der Untergang der Monarchie
führte zu Orientierungslosigkeit. Was sollte beibehalten werden?
Was über Bord geworfen werden? Woran sollte man sich orientie¬
ren? Eine Zeit des Experimentierens begann. Sozialistische Ideen
wirkten ebenso wie Einflüsse aus der deutschen Jugendbewegung
und dem Deutschnationalismus. Ältere Führungspersönlichkeiten
wie die Brüder Teuber blieben ihr ganzes Leben in Treue zum
Kaiserhaus und konservativen Ideen verhaftet. Der einst gut or¬
ganisierte staatstragende und jugendpflegerische ÖPB zerflatterte
in verschiedene Richtung: Neue Pfadfinderbünde entstanden,
sozialdemokratisch eingestellte Mitglieder gründeten die „Ro¬
ten Falken“, junge Jüdinnen und Juden gründeten zionistisch
ausgerichtete selbständige Gruppen. Katholisch ausgerichtete
Gruppen schlossen sich zum „Österreichischen Pfadfinderkorps
St. Georg“ zusammen.
In den 1920ern konsolidierte sich der OPB, der 1922 zu den
Gründern des Weltverbandes der Pfadfinder zählte. Die Einbindung
in die internationalen Strukturen und eine klare Orientierungam
britischen Vorbild trugen wesentlich dazu bei. Im Bund blieben
aber große Gegensätze bestehen: Auf der einen Seite stand ein gut
organisiertes, starkes Wiener Korps, auf der anderen Seite waren
die Landeskorps und die Gruppen in den Bundesländern. Die
Wiener blieben den anderen suspekt und wurden argwöhnisch
beobachtet — wegen ihrer klaren Organisation, der Masse sowie
den vielen jüdischen Mitgliedern, Führungspersönlichkeiten und
Gruppen. Auch das Wiener Korps war nicht frei von Antisemitis¬
mus, wie u.a. die Gründung eines arischen Führerrings zeigt, um
den Einfluss jüdischer Persönlichkeiten zurückzudrängen. Neben
gemischten Gruppen gab es rein christliche und rein jüdische.