Bann von Blanchot und Bataille stehende Intelligenzia haben. Sein
Vorhaben der Mitteilung und der Erzichung will sich vielmehr
dem Sagbaren stellen, und damit auch dem Ubersetzbaren. Levi
hat im Ubrigen die Ubersetzungen seiner Werke genau mitverfolgt,
insbesondere diejenige von Se questo ¢ un uomo? ins Deutsche.
Sich nicht verständigen zu können, bedeutet den Tod: Wer
den Befehl nicht gleich versteht, wird im Lager umgebracht. In
der Bühnenbearbeitung von Ist das ein Mensch? legte Levi darauf
Wert, dass jeder wie im Lager seine eigene Sprache spreche, um so
den Zuschauer mit dem zu konfrontieren, was er „die stürmische
See des Nichtverstehens“ nannte, in der die Untergegangenen
versanken. In seinem letzten Essai, Die Untergegangenen und die
Geretteten, lautet ein wichtiges Kapitel: „Sich verständigen“.
Levi vermutet, dass er sein Überleben seiner beruflich bedingten
Beherrschung des Deutschen — Sprache der Chemie - verdankt.
Im Lager lernt er von einem frommen Juden Jiddisch, den er
guida nennt, wie es auch Dantes Erzähler in Bezug auf Virgil
tut. Aber auch Levi unterrichtet und jeder sieht den rätselhaften
und aufschlussreichen Mittelpunkt des Werkes in dieser Unter¬
richtsstunde über Dantes Italienisch, die der Erzähler in dem
berühmten Kapitel „Der Gesang des Odysseus“ hält.
Durch den Vorrang des Anspruchs auf Verständigung lässt sich
die posthume Meinungsverschiedenheit mit Celan besser verste¬
hen: Levi sieht in Celans Schwerverständlichkeit eine Hermetik,
eine Unmöglichkeit, sich zu verständigen, die er mit dem Röcheln
eines Sterbenden vergleicht. Vielleicht fühlt er sich von Celans
Selbstmord dunkel bedroht, wie später von dem Amerys. Er nimmt
aber in seine persönliche Anthologie, La ricerca delle radici (Auf
der Suche nach den Wurzeln), in der lediglich dreißig Autoren
vorkommen, ein Gedicht Celans auf— Celan bedeutete ihm zwei¬
fellos sehr viel. Uber das Gedicht Todesfuge schreibt er: „Ich trage
es in mir wie ein Transplantat.“”
Von den 30 Texten sind sechs Autoren italienisch-, vier deutsch¬
sprachig — nämlich Celan, Thomas Mann, Ludwig Gattermann,
Hermann Langbein — und ein Autor ist jiddisch. Die anderen
schreiben Englisch (11), Französisch (4), Russisch, Lateinisch,
Griechisch, Hebräisch. Diese Wurzeln sind kosmopolitisch und
haben mit Blut und Boden nichts gemein.
Zu den deutschen Autoren gehört Ludwig Gattermann, Autor
eines Praktischen Handbuchs der organischen Chemie. Levi betrachtet
ihn als seinen wissenschaftlichen Lehrmeister und betitelt den
ihm gewidmeten Abschnitt Die Worte des Vaters. Dieser Vater
lehrt Vorsicht und Verantwortung, denn die ausgewählten Seiten
sind Ratschläge zur Vermeidung von Unfällen, insbesondere von
Bränden. Symbolische Schuld lässt sich wohl kaum besser zum
Ausdruck bringen als durch den Verweis auf „die Worte des Vaters,
die einen aus der Kindheit erwecken und zum Erwachsenen sub
conditione erklären.“
GP: Das Vorhaben Celans, die deutsche Sprache und Traditi¬
on gegen sich selbst zu wenden, mag Levi fremd sein, aber man
kann, wie ich meine, nicht sagen, dass die deutsche Sprache und
die Deutschen für Levi eine Sprache und ein Volk wie andere
sind. In „Silence des disparus, dialogue des oeuvres“® (Schweigen
der Verschollenen, Zwiesprache der Werke“) weisen Sie darauf
hin, dass das Vorwort zur deutschen Ausgabe von Se questo é un
uomo? sich nicht an die Leser wendet, die es vor Augen haben,
sondern ein Auszug aus einem Brief an den Übersetzer ist und
mit dem Wunsch endet, die Übersetzung möge ein Echo finden,
durch das er die Deutschen besser verstehen lerne, ohne dass Levi
den Wunsch geäußert hätte, seinerseits von ihnen verstanden zu
werden.’ Könnte man sagen, dass für ihn die deutsche Sprache
und Kultur verdorben worden sind, und dass in seinen Augen
deshalb eine besondere, kritische Arbeit zu leisten ist? Auch wenn
Levi jeglichen Hass gegen die Deutschen ablehnt!", ist doch zu
sagen, dass sie seinen Universalismus und seine Ablehnung jegli¬
cher Verallgemeinerungen auf eine harte Probe gestellt haben. So
spricht er in Ist das ein Mensch? von der „deutschen Schule“'' und
verleiht der Erfahrung der Deportierten auf diese Weise bis zum
Schluss Ausdruck, als ein SS-Ofizier befichlt, getrennte Listen
der jüdischen und der nicht-jüdischen Kranken aufzustellen:
„Keinen nahm es wunder, daß die Deutschen bis zuletzt ihre
nationale Vorliebe fiir Klassifizierungen wahrten [...].“!? Der der
Welt des Konzentrationslagers innewohnende Wahnsinn ebenso
wie der Starrsinn der Deutschen und der systematische Charakter
der Vernichtungen, wahrend schon die russische Armee naher
rückt, stoßen auf Levis Unverständnis, jenes feinsinnigen Be¬
obachters der menschlichen Natur.'? „Aber die Deutschen sind
taub und blind, verschlossen in einem Panzer von Starrsinn und
bewußter Ignoranz. Schon wieder haben sie einen Termin für die
Produktionsaufnahme des synthetischen Gummis festgelegt: den
1. Februar 1945. Sie bauen Luftschutzräume und Splittergräben,
reparieren die Schäden, bauen, bauen, kämpfen, kommandieren,
organisieren und töten. Was sollten sie auch sonst tun? Es sind
Deutsche: Dieses ihr Handeln ist nicht überlegt und vorsätzlich,
sondern entstammt ihrer Natur und dem Schicksal, das sie sich
erwählt haben. Sie könnten gar nicht anders: Verwundet man
den Leib des Sterbenden, beginnt die Wunde zu verheilen, selbst
wenn der ganze Körper am nächsten Tag sterben wird“.'* Und
nach dem Erhängen eines aufsässigen Deportierten, wendet sich
Levi an die „Deutschen“: „Den Menschen zu vernichten ist fast
ebenso schwer wie ihn zu schaffen: Es war nicht leicht, es ging
auch nicht schnell, aber ihr Deutschen habt das fertiggebracht.
Da sind wir nun, willfährig unter euren Augen. Von uns habt ihr
nichts mehr zu fürchten. Keinen Akt der Auflehnung, kein Wort
der Herausforderung, nicht einmal einen richtenden Blick“.'
Wenngleich er sich bemüht, Verallgemeinerungen zu vermeiden,
auch die pauschale Ablehnung der deutschen Kultur (wenn er
z.B. auf die Schönheit des Ausdrucks „Heimweh“ verweist'‘),
so ist es vielleicht doch kein Zufall, wenn er sich in Heine einen
dichterischen Lehrer sucht, der zwar deutschsprachig ist, dessen
Platz in der deutschen Kultur aber doch einzigartig ist — und zwar
nicht nur wegen seines Judentums.
FR: Damit sind wir schr weit entfernt von Celans geschweige
denn von Amerys aus dem Innern der deutschen Sprache heraus
geführten Kampf, der sich gegen das Überhöhte und die Gewalt
der von den Nazis entstellten literarischen Tradition dieser Spra¬
che richtet.
Wenn Levi sich sozusagen an seiner Sprache stößt, dann deshalb,
weil sie ihm zufolge einer kulturellen Tradition entstammt, die
nicht imstande ist, eine unerhörte Demütigung auszudrücken:
In seinem Projekt der Zeugenschaft arbeitet er nicht gegen sie,
sondern trotz ihr.
Über sprachliche Fragen hinaus bleibt die Frage der tiefen Mit¬
schuld der Deutschen für Levi offen, sie verfolgt ihn bis zuletzt.
Das letzte Kapitel seines letzten Buches heißt „Briefe von Deut¬
schen“.'” Er denkt darin über die Briefe nach, die er nach der
Veröffentlichung der deutschen Übersetzung von Se questo & un
uomo? erhielt. Das Kapitel wird von der Gestalt Hetys beherrscht,
mit der ihn eine lange Brieffreundschaft verband und die für ihn
die einzige Deutsche war, von der er mit Gewissheit sagen konnte,