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„ihre Papiere seien in Ordnung“. Nach der Meinung Ian Thomp¬
sons hat Hetys Tod bei seinem Selbstmord eine Rolle gespielt.'®

GP: Mir geht es übrigens nicht um die Suche nach dem einen,
dem einzig richtigen Wort, auch wenn ich meine, dass manches
deutlich zurückzuweisen ist, wie beispielsweise der Begriff Ho¬
locaust, der ein Opfer bezeichnet und damit paradoxerweise das
Verbrechen heiligt.'?. Die Debatte über die richtige Bezeichnung
(in der ich mit Raul Hilberg übereinstimme) hat das Verdienst, die
Frage nach der Sprache zu stellen, deren man bedarf, um sich der
Vernichtung der Juden Europas zu nähern. Ist es notwendig, eine
jüdische Sprache, Hebräisch oder Jiddisch, heranzuziehen, und
wenn ja, wie? Und wie können die Fallstricke der Henkerssprache
(Endlösung) vermieden werden?

Auch wenn Primo Levis Bezug zur deutschen Sprache nicht
jener Celans oder Amérys sein kann, gibt es denn eine Sprache,
welche mehr Berechtigung besitzt, diese Zerstörung zu benennen?
Für Primo Levi scheint dies die Muttersprache zu sein, weil wir
sie am besten beherrschen und weil er sie mit der Mutter aus der
andern Welt, jener jenseits des Lagers assoziiert — bekanntlich
ist die Heimkehr des Odysseus zugleich auch Heimkehr zur ge¬
liebten und liebenden Gattin. Diese Dimension des Bezugs zur
Weiblichkeit und zur Muttersprache wird von Ihnen wiederholt
analysiert, insbesondere aufS. 43, wo Sie auf die Szene zu sprechen
kommen, in der „Primo“ (so nennt Levi ja die Person des Berichts)
für einen jungen Ungarn einen Brief ins Deutsche übersetzt, den
dieser wie durch ein Wunder von der Mutter erhalten hat. Ich
zitiere die Anmerkung 5: „Die beiden Unterrichtsstunden, des
Italienischen für den Elsässer, des Deutschen für den Ungarn,
beseelt von der Bindung an die Muttersprache und wohl auch an
die Mutter, zeugen beide von einer andern Welt (durch Dantes
Hölle und durch die wunderbaren Nachrichten von der Mutter)
und schließen beide mit einer Zuteilung an Nahrungsmitteln,
an weißen Rüben oder Schwarzwurzeln.“

FR: Als Atheist, der mit der historischen Verantwortung der
Henker und der Unsrigen präzise umgeht, hütet sich Levi religiös
konnotierte Begriffe wie Holocaust oder Shoah zu verwenden. Er
hält Abstand zu jeder politischen Theologie und jeder abergläubi¬
schen Interpretation: Die Henker sind keine Dämonen, sondern,
was viel schlimmer ist, ziemlich gewöhnliche Beamte.

Levis Einstellung unterscheidet sich deutlich von der Lanzmanns.
Er sicht sich als Stimme jener Untergegangenen, mit dener er sich
am Ende vereint sieht, und nicht als Fürsprecher einer Sache, und
sei es selbst die seine.

Der Völkermord an den Juden wird als Teil eines allgemei¬
nen Vernichtungsplans gesehen, der mit den Farbigen (métis)
des Ruhrgebiets und den Geisteskranken begann. Levi entfaltet
einen Humanismus nach der Katastrophe, einen Humanismus
des Bewahrens sowohl der Menschlichkeit wie auch der Natur.

Auch steht er allem Schicksalsgemeinschaftlichen fremd ge¬
genüber. Er war kein Zionist, er betrachtete Jabotinsky, der den
wichtigsten Beitrag zur Gründung der Irgun geliefert hat, als
Faschisten und bezog gelegentlich Position gegen die israelische
Politik, als er z.B. Anfang der 80er Jahre, angesichts der Gemetzel
von Sabra und Chatila, Ariel Sharons Rücktritt forderte.

GP: „Wir schreiben für diejenigen, die durch unsere Schuld
gestorben sind. Wir können sie nicht mehr erreichen. Wir ver¬
suchen, sie zu übersetzen.“ Auf Seite 81 Ihres Buches zitieren Sie
Francois Vaucluse, der sich die Gedichte vorzustellen versucht,
die Primo Levi nicht geschrieben hat. Warum dieser Rückgriff auf
einen Dritten, der Schriftsteller und Dichter ist? Glauben Sie wie

46 ZWISCHENWELT

Primo Levi, dass die Dichtung das Irrationale in uns ausdrückt,
und dass die Literatur dort beginnt, wo die Wissenschaft aufhört?
Oder die Wissenschaft dort, wo die Literatur aufhört? Ich stelle
diese Frage in dem Wissen, dass Sie ebenfalls Schriftsteller sind und
literarische Werke unter einem Pseudonym veröffentlichen, anders
als, soviel ich weiß, Ihre kritischen Essays und Ihre Übersetzungen
— weil die nicht zur Literatur gehören? Weil das Übersetzer-Ich
nicht dasselbe ist wie das lyrische Ich, oder weil die Übersetzung
unpersönlicher und damit „wissenschaftlicher“ ist?

FR: Der Text, auf den Sie anspielen und den ich zitiere, ent¬
stammt dem „Palimpseste“ betitelten Sonderheft der Zeitschrift
Ecritures (Nr. 12, 2000). Die Redaktion hatte verschiedene Autoren
gebeten, sich im Bezug aufeinen „Meister“ zu definieren, im Stil
der Parodie, der Nacheiferung, der Aneignung. Frangois Vaucluse
hat darin drei von Levi inspirierte Gedichte veröffentlicht, darunter
eine nicht wörtliche Übersetzung und zwei ihrerseits aus dieser
Übersetzung entstandene Texte; dann hat er diese Aneignung
kommentiert. Durch diese Studie habe ich Levis Dichtung ent¬
deckt; deshalb bin ich, in dem Kapitel über die Dichtung, die Levi
nicht hat schreiben können, im wesentlichen Vaucluse gefolgt, in
etwa so, wie er den Fußspuren Levis gefolgt ist.”

Dieses Kapitel spricht von den Gedichten über das Gebirge.
Levi durchwanderte die Gebirgsmassive des Aostatals und vor
allem den Gran Paradiso, mit seinem Freund Sandro, dem ersten
Partisanenkommandanten des Piemont, allerdings erfahren wir
das nicht durch Levi. Die „braunen und weißen“ Berge, von de¬
nen er spricht, erinnern an jene, die der Erzähler in „Der Gesang
des Odysseus“ sieht”, nach dem Muster des braunen Berges in
Dantes Fegefeuer.

Im Periodischen System sagt er, er habe im Gebirge die Lehre
der Meister gesucht und habe sie in den Partisanen erkannt.”
Er wird am Pass von Joux, im Tal von Ayas mit seiner Gruppe
gefasst. Aber das Gebirge verbirgt auch eine Theorie der Schrift:
in La valle, einem Gedicht, das ich noch eingehender untersuchen
möchte, greift Levi das Thema des unbekannten Tales wieder
auf, vielleicht des verlorenen Tales im Massiv des Monte Rosa. In
diesem Tal der Initiation, das keiner kennt, sind Zeichen in den
Fels geritzt: „Ci sono segni su lastre di roccia/ Alcuni belli, tutti
misteriosi/ Certo qualcuno non di mano humana“ (Z. 14-16)
(AufFelsplatten sind Zeichen, / einige schön, alle geheimnisvoll,/
gewiß nicht alle von Menschenhand). Am dem Pass, oberhalb der
Baumgrenze, steht ein immergrüner Baum — so wie man hier und
da einzelne Arven sieht — vielleicht jener, von dem die Genesis
spricht, und sein Harz bringt Vergessen.

Zwar spielte Levi die Bedeutung der Dichtung in seinem Werk
so schr herunter, dass die Kritik diese fast einstimmig unbeachtet
gelassen hat; aber die erste Pflicht der Kritik ist es gewiss nicht,
den Schriftstellern zu glauben! Wenn Levi den etwas einfachen
Topos wiederaufzugreifen scheint, der Dichtung und Irrationalität
verbindet, so heißt das nicht, dass wir es dabei belassen müssen.
Ihm eignet eine besondere Sensibilität für das, was man die Po¬
esie der Wissenschaft nennen könnte, wie es sein schönes Werk
Das periodische System bezeugt, aber auch seine Science-Fiction¬
Erzählungen, die zuerst unter dem Pseudonym Damiano Malabaila
veröffentlicht wurden (Storie naturali, 1967). Außerdem sind
die wissenschaftlichen Themen in seiner Lyrik gegenwärtig: das
Gedicht Nel principio (Am Anfang) verweist auf das erste Wort
der Schrift (Bereshid), aber auch auf das Heft von Juni 1970 des
Scientific American! Ebenso verweist Le stelle nere auf das Heft von
Dezember 1974... Die „schwarzen Löcher“ beschwören aber auch