il buco nero, das schwarze Loch von Auschwitz herauf: einer von
Levis letzten Artikeln, in La Stampa vom 22.1.1987, trägt den
Titel Buco nero di Auschwitz. Er kritisiert darin den historischen
Revisionismus von Nolte und Hilgruber.
Wollte man Levis Bezug zur Dichtung besser verstehen, die
Werte des Gedenkens, der Huldigung und der Heraufbeschwö¬
rung, die er ihr zuschreibt, müsste man, glaube ich, untersuchen,
wie er in seinen eigenen Gedichten andere Dichter wieder auf¬
greift und übersetzt. Das Gedicht Zultima epifania präsentiert
sich allzu bescheiden als Übersetzung eines Auszugs aus Werner
Bergengruens 1945 erschienenem Gedichtband Dies irae. Levi
wählt einen Abschnitt aus, in dem der Erzähler nacheinander als
„bleicher Hebräer,/ ein Flüchtling“, als alte Frau „mit stummem
Angstgeschrei“, als Waisenkind, als Gefangener auftritt, jeweils
mitleidlos zurückgestoßen wird und schließlich als Richter wie¬
derkehrt und fragt: „Erkennt ihr mich jetzt?“ Indem Levi diese
Übersetzung in seinen Gedichtband aufnimmt, macht er sie zum
Zeugnis, denn der Erzähler, im deutschen Werk wohl Christus,
wird in Levis Buch zum Überlebenden der Vernichtung. Wäh¬
rend Levi in vielen seiner Gedichte für andere spricht und allerlei
Tieren, Pflanzen und Gegenständen das Wort erteilt, ist diese
Übersetzung das einzige Gedicht, das einen autobiographischen
Ton anschlägt, als sei vertrauliche Mitteilung nur auf dem Umweg
der Übersetzung möglich.
Levis Dichtung ist reich an Personifizierungen, sie spricht im
Namen der Verstorbenen und der Seelenlosen. In den Überset¬
zungen oder Umdichtungen fremdsprachiger Gedichte kehrt sich
das um: hier sprechen andere in seinem Namen und für ihn. So
spricht Levi von sich selbst nur durch die Auswahl der übersetzten
Werke und mit ihrer Hilfe.
Lultima epifania führt schließlich auch das Thema der Heim¬
suchung durch Geister ein, denn die Epiphanie wird hier zur
Erscheinung: der den Schreckbildern ausgelieferte Überlebende
ist selbst ein Gespenst, das Gerechtigkeit fordert.
In weniger direktem Bezug greift das auf den 29. Januar 1946
datierte Gedicht Da R.M. Rilke zwar Elemente aus Herbsttag
(Buch der Bilder, 1902) wieder auf, aber auch hier werden diese
unausgesprochen in einen neuen Kontext gestellt, und es wird
daraus ein Gedicht der Rückkehr aus den Lagern: Die „langen
Briefe“ werden zu Augenzeugenberichten, die abschließende Un¬
ruhe wird zu derjenigen der Überlebenden.
In der Lyrik lässt sich somit Levis Verhältnis zur deutschen
Sprache recht präzise bestimmen. Er opponiert nicht gegen diese;
indem er sie übersetzt, horcht er in sie hinein; indem er sich als
Autor zu seinen Übersetzungen oder Nachdichtungen bekennt,
bringt er sie außerdem dazu zu sagen, was sie noch nicht gesagt
hatten, und für die Überlebenden und Untergegangenen zu spre¬
chen. Die Neufassungen Heines und Rilkes gehen in dieselbe
Richtung; die Übersetzung Bergengruens macht noch deutlicher,
wie darin das Wort ergriffen wird, wenn das Ich des Erzählers —
das für zahlreiche Opfer steht -von Levi implizit als das eigene
anerkannt wird.
Nach 1964 verzichtet Levi in seiner Dichtung auf diese Vorge¬
hensweise, es finden sich nunmehr lediglich punktuelle Anspie¬
lungen oder Erwähnungen ohne Bezug zur deutschen Tradition.
Anfang der 1960er Jahre, nach dem Erfolg von Die Arempause und
mit den Übersetzungen von Se questo é un uomo? ins Englische,
Französische (teilweise) und Deutsche fasst Levi Vertrauen und
sieht sich zunehmend als Schriftsteller.
Die Übersetzungsarbeit hat mit Sicherheit seinen Weg geprägt
und ihm geholfen, das eigene dichterische Werk zu festigen und
auch zu akzeptieren: Sie waren eine notwendige Etappe, um sich
selbst als Schriftsteller anzuerkennen. So kann es Lesern dank der
Übersetzung gelingen, den Schritt zu wagen und sich schließlich
zu den Autoren zu zahlen.” Diese Rolle der Übersetzung als Ein¬
führung, ja als Initiation, wird nicht mehr wirklich verstanden,
denn sie entzicht sich der Ideologie der Kommunikation, die sie
instrumentalisieren möchte.
Die deutschen Autoren wecken natürlich unser Interesse, aber es
sei auch an Levis Beziehung zu Coleridge erinnert: Der Titel des
Bandes Ad ora incerta ist die wörtliche Übersetzung des Schlusses
von Z. 582 in The Rime of the Ancient Mariner, auch dies der Be¬
richt eines Augenzeugen, der als einziger tiberlebt. So war, wie wir
schon gesehen haben, der Titel Zosteria di Brema die Übersetzung
des Endes des vierten Verses von Heines Im Hafen; so sind die Titel
des Bändchens von 1975 und der Gedichtsammlung von 1984,
Levis einzige dichterische Werke, Übernahmen fremder Verse.
Die Wiederaufnahmen sind zugleich Huldigung und Bruch.
Nehmen wir ein kleines Beispiel. Das Gedicht Z tramonto di
Fossoli (Fossoli ist das Lager, von dem aus Levi nach Auschwitz
deportiert wurde) endet mit den Zeilen:
Possono i soli cadere e tornare./ A noi, quando la breve luce é spental
Una notte infinita é da dormire“(Z. 6-8) (Sonnen mögen sinken
und wiederkehren:/ Uns aber, ist das kurze Licht erst erloschen,/
Ist eine unendliche Nacht zum Schlaf gegeben.)
Die Mehrzahl so/i, Sonnen, deutet auf den in einer Anmerkung
bestätigten Ursprung hin, nämlich drei Verse Catulls: „Soles oc¬
cidere et redire possunt;/ Nobis cum semel occidit brevis lux/
Nox est perpetua una dormienda“ (Liber V, 4, Z. 3-6) In Levis
Gedicht wird diesem Plural einen ganz anderer poetischer Wert
zuteil. Das lateinische Gedicht beginnt mit „Vivamus, mea Lesbia,
atque amemus“ („Laß uns leben, meine Lesbia, und lieben“), aber
der Erzähler in Levis Gedicht wendet sich an eine Tote, wohl
diejenige, deren Namen er verschweigt, eine Studienfreundin, die
sich derselben Partisanengruppe anschloss, im selben plombierten
Waggon reiste und sofort nach der Ankunft vergast wurde. Die
poetische Mehrzahl, die bei Catull der leidenschaftlichen Ver¬
stärkung diente (wie in „Gib mir tausend Küsse, und dann noch
hundert“, „Da mi basia mille, deinde centum“), unterstreicht
hier die Dauer der Trauer.
Warum aber „zerreißt das Fleisch“ (Z. 5) die Anspielung auf
den Dichter der Antike, wo doch im zitierten Gedicht scherzhaft
darauf verzichtet wird, die Küsse zu zählen und die ewige Nacht
den Topos des „Genießen wir den Augenblick“ lediglich verstärkt?
Die Küsse, die Levi nicht zitiert, beherrschen jedoch das Zitat, aus
dem weiterhin ein anderer Tonfall zu vernehmen ist, derjenige
des Textes, aus dem es stammt. Damit ist der Übergang von den
im Leben ausdrücklich geforderten Küssen zu den im Tod un¬
ausgesprochen gegebenen Küssen hergestellt. Denn der Erzähler
der Gedichte ist selber gestorben. In Ist das ein Mensch? schreibt
Levi über seine Kameradin und den Augenblick der Ankunft in
Auschwitz: „Da haben wir einander im entscheidenden Augen¬
blick Dinge gesagt, die unter Lebenden nicht gesagt werden.“ So
zumindest meine Übersetzung ...
Dies alles ausgedrückt in einem nur achtzeiligen Gedicht, das nur
aufeinen „antiken Dichter“ anspielt (Catull wird nicht genannt).
Ich kann jetzt zu der Frage zurückkehren, mit der Sie zu Anfang
aufgeworfen haben, und zwar ausgehend von der Theorie der
Übergänge (passages), über die ich in den letzten Jahren gearbeitet