16 „Heimweh heißt dieser Schmerz auf Deutsch; ein schönes Wort.“ (Kap.
4, ,K.B.“, S. 53).
17 Lettere di tedeschi, in / sommersi e i salvati, 1987, ch. VIII.
18 Siche The Good German, in The Guardian, 7. April 2007: http://www.
theguardian.com/books/2007/apr/07/history.primolevi (am 12.08.2014
eingesehen).
19 Siehe dazu „Pour en finir avec le mot Holocauste“ („Um mit dem Wort
Holocaust Schluß zu machen“), von Jacques Sebag, in Le Monde, 27.1.2005,
dem Claude Lanzmann am 25.2. beipflichtet, nachdem schon dem Begriff
Shoah eine unterschwellige Theologisierung vorgeworfen wurde. (Ruth
Klüger hat jedoch in einem insgesamt positiven Kommentar, kurz nach
den ersten Sendungen, nicht auf diesen Punkt hingewiesen, während sie
als negativ hinstellt, was Sie C. Lanzmanns Glauben an die Orte nennt
— Ruth K. Angress/Klüger, „Lanzmann’s Schoah and Its Audience“, in:
Simon Wiesenthal Center Annual Volume 3: http://motlc.wiesenthal.com/
site/pp.asp?c=gvKVLcMVluG&b=395045 — am 29.8.2014 eingesehen).
Jacques Sebag verteidigt sowohl den Gebrauch des Begriffs Shoah, dessen
hebräischer Ursprung das Opfer zu identifizieren erlaubt, als auch den des
nazistischen Völkermordes, der den Täter, den Schuldigen benennt. Im
Rahmen einer Debatte mit Henri Meschonnic, aus der man gerne ein paar
Argumente in Erinnerung rufen würde, und deren gelinde gesagt nicht zum
"Thema passenden Ion der Gesprächsführer man vergessen möchte, antwortet
Claude Lanzmann, es gebe nicht notwendigerweise für jede Wirklichkeit
ein vollkommen geeignetes Wort, erst recht nicht für die Wirklichkeit der
Vernichtung der europäischen Juden: daher die Wahl dessen, was Clau¬
de Lanzmann einen „Signifikanten ohne Signifikat“ nennt, „eine kurze,
undurchsichtige Äußerung, ein undurchdringliches, unzerstörbares Wort,
wie ein Atomkern“ (zitiert in „Ce mot de Schoah“ [„Dieses Wort Shoah“],
Le Monde, 25.2.2005). Es ging darum, auf die Notwendigkeit eines Titels
einzugehen und die Unmöglichkeit der Titelfindung wiederzugeben („Wenn
es möglich gewesen wäre, daß ich dem Film keinen Namen gebe, dann wäre
er ohne Namen geblieben“, ibid.). Aber eben diese Dunkelheit wird ihm
oft vorgeworfen sowie die Unkenntnis der hebräischen Bedeutung, wobei
„Shoah“ in der Bibel eine natürliche Katastrophe bedeutet. So lautete die
von Henri Meschonnic geäußerte Kritik in „Isra&l: pour en finir avec le mot
„Schoah“ [„Israel: um mit dem Wort Shoah Schluß zu machen“], Le Mon¬
de, 24.2.2005: er verteidigt die Wahl des hebräischen Begriffes „churban“
(Zerstörung, Verheerung), darin Manes Sperber, Elias Canetti und Daniel
Lindenberg folgend. Immerhin hat der Begriff Shoah das erlaubt, was C.
Lanzmann zusammen mit Anne-Lise Stern die Einführung eines hebräischen
Signifikanten in die französische Sprache nennt, was einen an die notwendige
Beschneidung des Deutschen erinnert, die Celan sich vornimmt, wenn man,
der Interpretation Jean Bollacks folgt.
20 Vaucluse ist übrigens selbst Übersetzer und hat kürzlich eine Sammlung
von Aphorismen veröffentlicht, unter dem Titel Zart de traduire [Die Kunst
der Übersetzung] (Hapax, 2008).
Regina Hemetsberger
Bei Sonne und bei Nacht
Erinnerung Lenka Reinerovä
Lenka Reinerovä wird 1916 als Tochter des jüdischen Ehepaars
Felix und Franziska Reiner in Prag geboren. Ihre deutsch-böh¬
mische Mutter ist Schneiderin, ihr Vater gebürtiger Prager und
Eisenwarenhändler. Aufgewachsen ist sie, wie sie später schreibt,
behütet und bürgerlich.' Schon im Kindesalter nimmt ihre mu¬
sikliebende Mutter die drei Töchter zu Konzerten und ins Theater
mit. Kurzzeitig gelingt es ihr, Lenka für den Klavierunterricht zu
gewinnen, doch Unstimmigkeiten mit dem Lehrer veranlassen sie,
rasch wieder davon abzuschen.? Schon früh begeistert sie sich indes
für das Leben der „Proletarier“, der Nachbarn und Fabriksarbeiter.
Sie beobachtet ihre Demonstrationen, interessiert sich für ihre
21 „O Pikolo, laß mich nicht an meine Berge denken, die im Abendlicht
braun erschienen, wenn ich im Zug von Mailand nach Turin zurückfuhr!“
(1987a, S. 122).
22 1987b, p. 141. Il sistema periodico, Einaudi, Turin, 1975, ch. 4. Opere,
I, p. 473
23 Ich wiirde gerne Hamanns Gedanken auch auf die Ubersetzer beziehen:
»Aus Kindern werden Leute, aus Jungfrauen werden Braute, und aus Lesern
entstehen Schriftsteller. Die meisten Biicher sind daher ein treuer Abdruck
der Fahigkeiten und Neigungen, mit denen man gelesen hat und lesen
kann.“ Leser und Kunstrichter nach perspectivischem Unebenmaasse, in: S.
Majetschak, Hg.: Vom Magus im Norden und der Verwegenheit des Geistes:
Ein Hamann-Brevier, dtv Klassik, München 1988, $. 155.
24 „Flamme! Dein Lodern künde uns: Die Deutsche Revolution schläft
nicht, sie zündet neu umher und erleuchtet uns den Weg, auf dem es kein
Zuriick mehr gibt.“ (Emmanuel Faye: Heidegger — Lintroduction du nazisme
dans la philosophie, Paris 2005, S. 91 / Die Einführung des Nationalsozialismus
in die Philosophie, Berlin 2009, S. 80).
25 La ricerca delle radici (Auf der Suche nach den Wurzeln), Einaudi, Turin
1999, S. 215.
26 Se questo é un uomo, Einaudi, Turin 1958, S. 333.
27 ,,E, se tu vuoi che ver non ti sia ascoso,/ Tutta al contrario listoria
converti:/ Che i Greci rotti, e che Troia vittrice,/ E che Penelope fu meret¬
rice.“ (Die Quelle wird nicht genannt: Orlando furioso, XXXV, 27, 4-8; cf.
Lassimetria e la vita, Einaudi, Turin 2002, S. 101).
28 ,,Die geistigen Werke einer Nation werden zum gemeinsamen Eigentum
aller. Die nationale Einseitigkeit und Beschranktheit wird mehr und mehr
unméglich, und aus den vielen nationalen und lokalen Literaturen bildet
sich eine Weltliteratur.“ (I, 1) Da stellt sich sofort das Problem der Uber¬
setzung: „Die einzige Leistung der deutschen Literaten bestand darin, die
neuen französischen Gedanken und ihr altes philosophisches Bewußtsein
in Einklang zu bringen, oder vielmehr sich die französischen Gedanken
von ihrem philosophischen Standpunkt aus anzueignen. Sie machten sie
sich zu eigen, wie man sich eine Fremdsprache durch die Übersetzung zu
eigen macht.“ (III, 1c).
29 http://archive.is/PzftR (am 6.2.2014 eingesehen).
30 Von daher die insinuierenden Parallelen: zum Beispiel der Sammelband
von Giulio Milani Mario Rigoni Stern, Hermann Heidegger. Ritorno sul fronte,
Massa, Transeuropa; oder das Buch von Alain Minc (2013) Lhomme aux deux
visages: Jean Moulin, René Bousquet: itinéraires croisés, Paris, Grasset, 2013.
31 V. 5-6. Der Sessellift ist in seinen Augen eine infernalische Gestalt: In
einem Interview, das Levi Rivista della montagna, in dem selben Jahr gab, als
die Ad ora incerta erschienen, kommt er mit Humor auf die Vorkriegsjahre
zu sprechen: „Wir gingen nie nach Sestriere, denn dort gab es die Seilbahnen
und die Seilbahnen waren schlimmer als der Teufel.“ Wie auch in seinen
Gedichten ist alles, was der Natur Gewalt antut, Ausdruck des Bösen.
32 „O tu che segni, passagero del colle, / Uno fra i molti, questa non pitt solitaria
neve ...
Anliegen. Die Lebenswelten, die sie beide voneinander trennen,
sollte sie erst später richtig einzuordnen vermögen.’
Lenka besucht das deutsche Stephansgymnasium. Die Weltwirt¬
schaftskrise trifft den Familienbetrieb schwer. Ende der 1920er
muss ihn der Vater endgültig schließen. Auch der mütterlichen
Schneiderei bleiben die Kunden fern. Schließlich nimmt Franziska
Reinerovä eine Stelle als Verkäuferin an. Die finanzielle Notlage
der Eltern drängt Lenka im Alter von 16 Jahren zum vorzeitigen
Schulabbruch. Sie tritt eine Stelle als Bürokauffrau bei der Prager
Generalvertretung der Papierfabrik Harmenc an. Darin findet sie
finanzielle Absicherung, jedoch keine Erfüllung.‘ Ihre eigentlichen