Frau lässt sich restlos verwerten, wenn sie dereinst von einem
Mann erwählt werden wird!)
Ich komme in die neue Schule und bin zunächst eine gute Schü¬
lerin. Ich erhalte sogar zusätzlich Klavierunterricht — in einem
Nonnenkloster! Noch vor wenigen Monaten hätte mein Vater uns
für verrückt erklärt ob einer solchen Zumutung, ist er doch gegen
Kreuze und Heiligenbilder allergisch. Religion ist das Opium
des Volkes, hat Marx gesagt! Aber ein halbes Jahr Naziherrschaft
hat genügt, die vorher so unversöhnlichen Parteien gegen den
gemeinsamen Feind zu einen.
Anfang Oktober steht ein Kirchenfest im Kalender, die „Rosen¬
kranz-Andacht“. Es wird im Stephansdom feierlich begangen
und Kardinal Innitzer hält eine Rede vor jungen Gläubigen,
hauptsächlich Studenten. Er sagt, dass es für junge Christen nur
einen Führer geben könne, und der heiße Jesus Christus! Damit
hat er sich wieder auf die Linie seines Kirchenvolkes gestellt,
das unselige Begrüßungstelegramm ist verziehen, die Gläubigen
jubeln ihm zu, tragen ihn nach einigen Berichten sogar auf den
Schultern um den Platz!
Am nächsten Tag stürmt eine Horde von Hitlerjungen das Erzbi¬
schöfliche Palais. Kardinal Innitzer kann durch eine Geheimtür
knapp entkommen, aber sein Koadjutor wird aus dem zweiten
Stock in den Hof geworfen und schwer verletzt. Die Nachricht
von dem Ereignis verbreitet sich wie ein Lauffeuer durch die
Stadt, überall stehen die Menschen in Gruppen auf den Straßen
und diskutieren. Damit ist der katholische Widerstand manifest
- endlich ein Zeichen!
Im Kloster ist gemütliches Zusammenrücken angesagt. Die Nazis
haben gleich in den ersten Tagen die modernen Gebäudeteile
beschlagnahmt, den Kindergarten geschlossen und die Nonnen
mit anderen Aufgaben überhäuft, um sie von der Einflussnahme
auf „deutsche“ Kinder abzuhalten. Wir betreten also den Behelfs¬
Hügel durch den Kellergang, in dem in einer Nische hinter einem
Vorhang der Sarg vom Seipel steht und für Gruseln sorgt, denn
alle „Neuen“ werden natürlich hingeführt! Dann geht es über
viele Treppen in den letzten Stock, durch das große Eckzimmer
mit dem Konzertflügel, das meistens leersteht, weil die Schwester
Gabriella fast immer in „Schutzhaft“ ist. Dann kommt das kleine
Durchgangszimmer, vollgestopft mit Tisch, Bett, Kasten und
dem Pianino. Hier wird gespielt, gegessen, geschlafen (es werden
immer wieder Säuglinge und Kleinkinder betreut), geübt und
unterrichtet. Exzellent unterrichtet, versteht sich, wir lernen,
als wir älter werden, Harmonielehre und lesen eine Partitur von
Schreker! Wir großen Schüler erzählen uns Naziwitze, denn der
Widerstand findet hier aufbreiter Basis und ziemlich offen statt.
Zu meiner großen Überraschung deckt sich die christliche Welt¬
anschauung weitgehend mit der marxistischen. Es heißt nur alles
ein bisserl anders. Zunächst gilt es einmal, den Mühseligen und
Beladenen möglichst rasch zu helfen, daher ist auch hier die Arbeit
der höchste Wert. (Ich jedenfalls habe keine Schwierigkeiten, die
hohe Braut meiner frühen Kindheit mit den tatkräftigen Bräuten
Christi in Einklang zu bringen!) Dann kommt Beten, das ist wie
Lernen, selbst Rosenkranzbeten ist so ähnlich wie Tonleitern
üben. Zwischen einem Maiaufmarsch und einer Fronleichnams¬
prozession besteht eigentlich kein prinzipieller Unterschied, und
die internationale Arbeitersolidarität heißt halt hier christliche
Nächstenliebe. Nur der Lamarckismus und der Schöpfungsbericht
lassen sich beim besten Willen nicht miteinander vereinbaren,
aber so gesichert sind solche Theorien ch nie und in zwei kurzen
Jahrzehnten werden beide obsolet sein.
Eigentlich müssten alle in der Hitlerjugend sein. Im Straßen¬
bild sieht man überall HJ- und BdM-Uniformen und in meiner
Schule gibt es eine eigene BdM-Führerin. Ich selbst habe einen
schr höflichen Brief erhalten, in dem mir mitgeteilt wird, dass
ich leider keinen Dienst in der Hitlerjugend machen darf, weil es
nicht genug Führungspersonal gibt, sodass angeblich nicht einmal
alle arischen Mädchen Dienst machen können. Aber auch von
meinen engeren Freundinnen ist niemand beim BdM. Eine von
ihnen kommt aus einem kommunistischen Elternhaus, die anderen
aus katholischen, natürlich wollen ihre Eltern nicht, dass sie da
hingehen, aber dass es so leicht ist, die Kinder herauszuhalten,
überrascht uns doch. Wir hätten auch gar keine Zeit dafür, denn
wir müssen ja Aufgaben machen und Klavier üben, zweimal in
der Woche haben wir auch Nachmittagsunterricht. Erst nach dem
Krieg lerne ich Leute kennen, die als Kinder in der HJ waren.
Meistens waren es Unterschichtkinder, die pragmatisch nahmen,
was geboten wurde an Zeltlagern und dergleichen, aber nichts
von der Ideologie aufnahmen.
Hitler hetzt weiter, jetzt sind die Sudetendeutschen ein unter¬
drücktes Volk, das man auch noch heim ins Reich holen muss.
Dass Hitler Krieg bedeutet, haben die Einsichtigen immer gesagt,
und seit im Jänner 1938 ein Nordlicht zu sehen war - ein in Wien
überaus seltenes Naturschauspiel -, ist auch das Volk davon über¬
zeugt, dass uns ein Krieg bevorsteht. Es kriselt den ganzen Sommer
hindurch, erst am 29. September kommt eszum Abkommen von
München. Hitler darf ab dem ersten Oktober in die sudetendeut¬
schen Gebiete einmarschieren, der Rest-Tschechoslowakei wird
Schutz vor einem Angriff garantiert, derselbe Schutz, der auch
Österreich nicht geholfen hat. Aber Mr. Chamberlain sagt stolz:
„Der Friede ist gerettet!“
Tatsächlich wird der Krieg vorbereitet. Es wird rationiert, Schmalz
zum Beispiel. Möbel, Hausrat, Kleider können nur mehr auf Be¬
zugsschein gekauft werden, aber einige Luxuswaren werden noch
frei abverkauft, und meine Mutter, die sich finanziell ein bisschen
rühren kann, solange mein Vater als quasi „arischer“ Arbeiter
verdient, kauft schönes Porzellan in einem teuren Stadtgeschäft.
Gasmasken werden verteilt, angeblich als Vorsichtsmaßnahme.
Die Stimmung in der Bevölkerung ist jetzt schon so, dass sich
sofort der Witz verbreitet, die Gasmasken passen niemandem
mehr, weil die Gesichter immer länger werden!
Louise Werner (Pseudonym), geb. 1928 in Wien. Besuch des Kon¬
servatoriums, Studium der Geschichte. Tätigkeiten als Haushaltsar¬
beiterin, Geigerin, Sekretärin und Bibliothekarin. Verantwortliche
für Kinder- und Jugendliteratur und Verfasserin von Rezensionen an
der Städtischen Bücherei Wien. Die Autobiographie „... aber mir hat
der Marxismus besser gefallen!“ ist ihre erste Publikation in Buchform.