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dem jüdischen Friedhof des Norra begravningsplatsen von Solna
im Norden von Stockholm.

Nelly Sachs ist eine genaue und darum nicht von Zweifeln freie
Dichterin, die aber darum auch noch nicht jenem Glauben eine
Absage erteilte, den insbesondere die Shoah, doch schon vorher
das Gefühl, es gebe etwas, das böse oder gar das Böse sei, erschüt¬
tert hatte. Es gehe doch um etwas, das unbedingt widerständig
sei, etwas, das nicht Gott ist, sondern geradezu Gott wird, worin
Gott nicht Thema ist, vielleicht eher angesprochen — oder: worin
sich, was Gott sei, aktualisiert: „Gottdurchlässig“?! sei etwas am
Menschen, am Lied, an der Sprache, so Nelly Sachs.

Gott ist bei ihr schließlich fast die Struktur dessen, was das
Theodizee-Problem ist, das bei ihr früh virulent wird, da aber
noch anders: In ihrem semi-autobiographischen Jugendtext von
Chelion schildert sie, wie ihr alter ego Chelion seinen Goldfisch
verliert, als Trost nimmt die Köchin des Hauses das Mädchen mit
auf den Markt, „wo sie ihr die Fische zeigt, die in großen Bassins
umherschwimmen“ — und deren einer verkauft wird:

Einer der Fische wird verkauft, mit einem Netz gefangen und
von der Fischfrau totgeschlagen. Dem Kind gelingt es unterdessen,
den Fisch auf sein breites Maul zu küssen, bevor die Köchin die
Unschicklichkeit bemerkt und das Kind wegzieht. Ist der Fisch nun
im Paradies, fragt das Kind.”

Man könnte diese Unschicklichkeit mit einer Art Untugend
in Beziehung setzen, sich nämlich der fragwürdigen Tugend der
„bürgerlichen Kälte“ zu verweigern - die Adorno schildert und
schließlich als Überlebensbedingung nach der Shoah provokant
formuliert, als etwas, das den Überlebenden heimsuche:

Sein Weiterleben bedarf schon der Kälte, des Grundprinzips der
bürgerlichen Subjektivität, ohne das Auschwitz nicht möglich gewesen
wäre: drastische Schuld des Verschonten.*

Nelly Sachs fehlt diese Kälte früh, ihr fehlt sie, wiewohl sie
sie fühlt - und sie sucht nach einer Antwort, angesichts derer
sie leben kann, ohne zu erkalten. Erwas stimme nicht. Ihr Werk

ist früh das Ringen um eine solche Feststellung an dem, was bei
aller Evidenz für das Leid — Chelion hat den erschlagenen Fisch
„ja selbst in einer Markttasche landen sehen“”, und nicht nur
sie — ungeschen ist und keinen Trost erfährt, auch nicht eben den,
geschen und gesagt und vernommen zu sein. Und zwar geschen
und gesagt bis zum Letzten der Zeugen, den, der noch immerhin
dies bezeugte, daß die Sprache sage und bewahre, was war und
blieb und bleiben soll, wo das, was ist, nicht heilt.

Niemand

zeugt für den

Zeugen.

Es muß etwas geben, das trägt, das erträglich macht, was sprach¬
los unerträglich würde. Nelly Sachs schreibt, daß „Niemand etwas
von mir haben kann“, als sie krank ist; etwas davon schwingt
nach, wo sie wie immer gesund ist, aber die Sprache bleibt: Abba,
Gott Vater, dies steht dafür, und zwar im Kindlichen der Anrede
auf eine vertrackte Weise, damit, was ist, keine „Kinderhölle der
Einsamkeit“? ist, so könnte man es mit Nelly Sachs formulieren.
— Hieraus erwächst dieses eigenwillige Ringen um eine Theologie,
und zwar als Theodizee, genauer als Unsicherheitszone. Es geht
sozusagen um das, was jenen Gott bewegt; vielleicht: ihn ersetzt,
er in der Sprache ist, auch als deren Hoffnung in der Exposition
des Zweifels, der Lyrik ist.

58 ZWISCHENWELT

Das Fragen bleibt so — aber mit ihm fast schon eine Implikation,
die Frage ist eine, die revolutionar gebraucht, was in sich kon¬
servativ ware.

Wir

wissen ja nicht, weifst du,

wir

wissen ja nicht,

was

gilt.”

Diese berühmte Frage Sachs‘ — allerdings in einem Gedicht
Celans — umreißt, worum es auch immer geht, „von/ deinem
Gott“ handelt, was sie schreibt, zu Celan an Sachs in diesem
Gedicht, Zürich, Zum Storchen.

Etwas von dieser Frage treibt auch die dekonstruktiven Ex¬
erzitien Celans letztlich um, nämlich, wie sich noch schreiben
lasse, ob und wie eine Sprache Klage ermöglicht, und zwar eine,
die offenbar notwendig ist, damit gedacht werde, die aber des zu
Gedenkenden wirklich eingedenk ist, es nicht konstruiert, genau¬
er: in der Konstruktion es lesbar macht, aber nicht erst schreibt.

Das berührt eben die Frage der Theodizee als die nach einem
letztlich immer Ansprechbaren. So ist es diese Frage, aber in ganz
anderer Weise: nicht um einen Gott geht es, der entweder nicht
verhindern kann oder aber will, was an Schrecklichem geschicht
— oder: der es als nicht Schreckliches zu sehen wüßte, sondern als
gerechtfertigt durch irgendein Bonum dessen, was so sei, wie es
sein solle...*' Stellte man die Frage so, bagatellisierte man das,
was eben schrecklich ist, sozusagen: egal, was ein Gott darüber
befände, den diese Frage zum raffiniert erklärten Popanz doch
machen müßte. So bliebe mit Kant, der Auschwitz noch nicht
bedenken muß, aber den Dreißigjährigen Krieg zum Anlaß sei¬
nes Satzes hat, etwas, das „durch keine Theodizee gerechtfertigt
werden“* kann.

Eher geht es um die Sprache, um die Möglichkeit einer Sprache,
worin Gott eher eine Unart der Grammatik ist.‘ Es geht um das
Fast-Göttliche des Sprechens, das etwas bewahrt, in Relation es
setzend, aber nicht relativierend; ob sich also mit ihr noch dies
leisten lasse, dennoch, trotz der „ausgebrochenen Goldzähne der
ermordeten Sprache““, in einer Sprache, die Gedicht wäre: als
Säkular-Gebet, sozusagen, worin Gott eine unbestechliche Perfor¬
manz des Dichterischen meinte.

Aufgrund dieses Fragens bleibt Nelly Sachs exponiert — und
exiliert: erst die Erlösung durch eine Sprache, die das, wonach sie
aber schon in einer solchen Sprache zu fragen scheint, beendete
ihr Exil, und zwar nicht so sehr das schwedische, dieses Exil ist
an das gebunden, was ihr aus Deutschland zurecht an Antisemi¬
tismus kolportiert wird, so von Celan, dessen Goll-Affäre nur
durch diese unselige Tradition zu verstehen ist. Aber es wäre das
Ende eines quasi-metaphysischen Exils, ist auch ihre „Krank¬
heitseinsicht |...) ziemlich gering“, wie schon gesagt wurde, so
doch eine Einsicht in das gegeben, was sie — oder: die Sprache
— krank macht. Autobiographisch-Pathognostisches ist mit einer
ins Metaphysische zielenden (Sprach-)Kritik oder metaphysisch¬
kritischen Sprache verzahnt.

Dies treibt sie an, diese Sprache ist Impetus und Problem, aus
diesem Exil erklärt sich das Engagierte in einer Sprache, der dies
als das Absolute korrumpierende Intention zugleich nicht eignen
darf: Als Intention wäre dieses Engagement mißverstanden; und
man könnte den prekären Briefwechsel Sachs‘ mit Hilde Domin so