this in no way prevents it from existing. Perhaps, in describing it, I
in turn took my desire for reality; but what I had wanted to do, was
to describe this desire in its reality, a reality shared by a great number
of authors and readers. (Lejeune 131-132)
Demnach greifen Autoren trotz der Fragwiirdigkeit des Un¬
ternehmens immer wieder zur autobiographischen Form aus
einem Verlangen nach der erwahnten Selbsterkenntnis. Solche
Selbsterkenntnis ergibt sich geradezu aus Schwarz‘ inhaltlicher
und formaler Umgestaltung seines Textes, ebenfalls aus den Ver¬
schiebungen des Realitätsgehalts, denn die Ordnungsprinzipien
von Bildungsroman und dem Pikaresken tragen schließlich zur
Erhöhung des Selbsterkenntnisprozesses in Sachen Willensfreiheit
bei, wie hier gezeigt wurde. Wir als Leser erweitern wiederum
unser Wissen um diese wichtige Frage und gewinnen dadurch
„cognitive satisfactions“, wie es der Literaturtheoretiker John
Sturrock im Zusammenhang mit unseren Rezeptionserwartungen
Autobiographien gegenüber formuliert hat (Sturrock 160). Solche
Erkenntnisgewinne zeigen sich schließlich auch in der Frage nach
Lebenssinn oder, um Schwarz in der „Vorbemerkung“ zu zitieren,
in der „angeboreneln], fast schon metaphysisch zu nennende[n]
Suche nach einem Sinn der menschlichen Existenz“ (Schwarz,
Wanderjahre 10).
Wenden wir uns abschließend den beiden Versionen in diesem
Zusammenhang zu. In der Frühversion hört der Text im Prinzip
mit der südamerikanischen Zeit auf: „Die Jahre, die jetzt folg¬
ten, entbehren bestimmt nicht des Interesses. Für mich zumin¬
dest sind sie eine faszinierende Zeit. Aber sie stehen im Zeichen
meiner rapiden Rückkehr in ein geordnetes Leben.“ (Schwarz,
„Abenteurer“ 256) Es ist ein geordnetes Leben, das Schwarz in
zweieinhalb Typoskriptseiten unter der Unterschrift „Nachspiel“
zusammenfasst. Was in der Schlussversion hinzukommt, sind
zunächst einmal die erwa zwanzig Jahre, die zwischen den beiden
Niederschriften liegen und das letzte Fünftel des Textes ausma¬
chen. Das schließt die Ausformung der erfolgreichen Karriere des
Literaturwissenschaftlers ein, die sich der Schilderung lohnt, allein
schon als weiterer Beweis dafür, wie Schwarz seinen Willen zur
Bildung als Geisteswissenschaftler umsetzen konnte. Doch ist es
ebenfalls die Zeit des Vietnam-Kriegs, in dem sich die Geschichte
wieder stark macht und erhebliche Schatten auf die amerikanische
Gesellschaft wirft, in der sich Schwarz inzwischen als Staatsbürger
befindet. Das geordnete Leben der Frühversion ist wieder durch¬
einandergebracht, und Schwarz lässt die Erstausgabe 1979 mit
den folgenden Worten in einer etwas verkrampften Suche nach
einem allgemeinen Lebenssinn ausklingen, der trotz allem im
Bewahren der Vernunft liegt:
Viel Trost weiß ich auf Grund meiner Erfahrungen nicht zu
spenden. Nur schwach flackernd sehe ich Vernunft und Freiheit das
geschichtliche Dunkel durchzucken. Das Mögliche zu tun, um diese
Flämmchen vor dem Verlöschen zu bewahren, sie nach Kräften zu
schützen und zu nähren, das halte ich für Menschenpfücht und
Lebenssinn. Die Gewißheit, daß sie dereinst zum hochlodernden
Feuer erstarken werden, kann ich meinen Lebenserinnerungen nicht
abgewinnen. (Schwarz, Wanderjahre 235)
In der erwähnten „Nachschrift 1991“ war seine Einstellung
noch trüber angesichts der weiteren Erfahrungen in den USA
geworden: der Misere der Carter-Jahre, des Erstarkens der Re¬
aktion unter Reagan und Bush, des ersten Irak-Kriegs. Der Geist
des Liberalismus, den Schwarz an den USA geschätzt hatte, ging
für ihn immer mehr verloren:
Aus mir spricht Enttäuschung, der Schmerz eines Menschen, der
im Lauf von vierzig Jahren eine hoffnungsfrohe Gesellschaft sich in
ihr Gegenteil hat verkehren sehen, aus Ignoranz, aus Arroganz, aus
Egoismus, aus Geiz und Gier, eine Gesellschaft, die in den Ruin
schlittert, wenn sie sich nicht auf ihre wirklichen Interessen besinnt.
(Schwarz, Wanderjahre 254)
Schwarz hätte sich auf seinen Lorbeeren ausruhen können, aber
die einmal gemachten Erfahrungen als Exilant erlauben es nicht:
„Ich könnte also sagen, laß die Dummköpfe sich gegenseitig die
Köpfe einschlagen, laß sie sich zugrunderichten, wenn sie wollen.
Leb du dein Leben zu Ende, ohne dich zu grämen. Leider kann
ich das nicht.“ (Schwarz, Wanderjahre 254) Auch hier drückt sich
ein Lebenssinn des gesellschaftlichen Engagements trotz allem
aus, der sich verallgemeinern lässt.
Im „Vorwort zur Paperback-Ausgabe“ vierzehn Jahre später
bleibt er bei seinen strengen Urteilen zu den USA. Er schreibt
noch einmal von Selbstbestimmung im Exil und stellt die in¬
direkte Frage, „warum man sich immer noch mit so alten Ge¬
schichten beschäftigen soll, wo doch schon wieder eine neue
Völkerwanderung ausgebrochen ist und die Welt von Exilanten
wimmelt.“ (Schwarz, Wanderjahre 8) Als Antwort betont Schwarz
die Wichtigkeit, solche Lebensgeschichten im Kontext der Historie
zu lesen, um so zu erfahren, „wie solchen Exilanten zumute ist
und wie man mit ihnen umgehen bzw. nicht umgehen sollte“
(Schwarz, Wanderjahre 8). Genau die Umformung seiner Lebens¬
geschichte von der Früh- zur Schlussversion mit deren Fragen
nach Willensfreiheit und Lebenssinn in bewegten Zeiten mag
uns mit solchen Überlegungen helfen. Sie sollten in einem von
der Vernunft geleiteten gesellschaftlichen Engagement liegen,
das das Selbstbestimmungspotenzial des Individuums erhöht.
Immerhin bleibt Schwarz‘ im Zitat ausgedrückter Wunsch im
Raum bestehen, denn die Flüchtlingsströme sind auch seit der
Neuausgabe 2005 nicht weniger geworden.
Reinhard Andress ist Professor für deutsche Sprache, Kultur und
Literatur an der Loyola University-Chicago, USA. Er war u.a. Gast¬
professor an der Pontificia Universidad Catélica del Ecuador. Zu
seinen Buchveröffentlichungen gehören: Protokolliteratur in der DDR
(2000); „Der Inselgarten“ — das Exil deutschsprachiger Schriftstel¬
ler auf Mallorca, 1931-1936 (2001). Eine Übersetzung aus dem
Spanischen ins Deutsche von Benno Weiser Varons Exilroman „Yo
era europeo“ als „Ich war Europäer“ (zusammen mit Egon Schwarz)
ist 2009 erschienen. Herausgeber von Fred Hellers „Das Leben be¬
ginnt noch einmal“ (2016). Zahlreiche weitere Veröffentlichungen
zu Exilthemen und Alexander von Humboldt.
Burdorf et al., Hrsg. „Autobiographie“. Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und
Definitionen. Stuttgart u. Weimar: Verlag J.B. Metzler, 2007. 57-59. Print.
Eakin, Paul John. „Foreword“. Philippe Lejeune. On Autobiography. Minne¬
apolis: U of Minnesota Press, 1989. viii-xxviii. Print.
Lejeune, Philippe. „Ihe Autobiographical Pact (bis).“ On Autobiography.
Übersetzt v. Katherine Leary. Minneapolis: U of Minnesota Press. 119¬
137. Print.
de Man, Paul. „Autobiography as De-facement“. 7he Rhetoric of Romanticism.
New York: Columbia UB 1984. 67-81. Print.
Maeding, Linda. „Zur Autobiographik von Germanisten im Exil: Selbstbe¬
stimmung und Selbstreflexivität bei Bernhard Blume und Egon Schwarz“.
German Quarterly 83.4 (Fall 2010): 500. 485-502. Print.