Eine Kritik des Arbeitsfetischismus bedeutet jedoch nicht, ein
Plädoyer fürs dröge Nichtstun zu halten oder sich die dumpfe
Parole „Arbeit ist Scheiße“ von der konformistischen Punker¬
Fraktion oder anderen infantilen Spießern zu eigen zu machen.
Das bloße Herumhängen wird nach ein paar Tagen oder ein
paar Monaten nervtötend und frustrierend. Das konsequente,
selbst zur Ideologie gewordene far niente ist auf Dauer gar nicht
dolce, sondern langweilig- und, angesichts der Einrichtung dieser
Welt, irgendwann natürlich auch existenzbedrohend. Es geht
nicht darum, die Kritik an der Arbeit als Ausrede zu verwenden,
sich den Anforderungen eines mündigen — und das heißt immer
auch: widerspruchsvollen und mitunter ausgesprochen anstren¬
genden — Lebens zu verweigern und sich in der Wiederholung
des Immergleichen einigermaßen bequem, aber völlig stupide
so einzurichten, wie man das in gewissen Segmenten der Linken
praktiziert.
Anzustreben wäre vielmehr, den doch offenbar in nahezu jedem
Menschen schlummernden Tatendrang, die Kreativität und das
Bedürfnis nach ästhetischer Äußerung, die Lust an der Gestaltung
des eigenen Lebens und den Wunsch nach größtmöglichem und
ausdifferenziertem Genuss vom ökonomischen Verwertungszwang
und von politischer Bevormundung zu befreien und gesellschaftli¬
che Bedingungen zu schaffen, die eine Art produktiven Müßiggang
überhaupt erst ermöglichen würden. Gelänge dies, würde, wie
es in Adornos Minima Moralia heißt, die Menschheit wohl auch
„aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt“ lassen, „anstatt unter
irrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen“.
Stephan Grigat, Dr. phil., ist Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft
an der Universität Wien; 2016/17 war er Gastprofessor am Moses
Meldelssohn Zentrum der Universität Potsdam, 2015/16 Gastpro¬
fessor an der Justus Liebig-Universität Gießen; Autor u.a. von „Die
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