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Weiters das Gras: das „Gras, das über eine Sache wächst“ ist
nicht nur eine Metapher:

In Bretstein, wo es ein kleines Nebenlager des KZ Mauthau¬
sen gab, hat der Schlagzeuger der örtlichen Blasmusik, der mir
geholfen hat einen (umstrittenen) Gedenkstein zu finden, die
Haue mitgenommen.

Gras wächst über Gedenksteine, Stauden und Sträucher, auch
schöne Rosenbüsche überwuchern Gräber und Gedenktafeln.

Das Altern: So wie Erinnerung verblasst, altern auch Materia¬
lien. Holz, Metall und Stein verwittern. Aufschriften/Inschriften
verschwinden auch wieder. Das ist, wie man sich anhand der
dokumentierten Denkmäler ansehen kann, natürlich von der
Art und Qualitat der Materialien abhängig.

Es geht um „Lesbarkeit“, zunächst im wörtlichen Sinn und dann
im Sinn der Lesbarkeit der Orte und historischen Landschaften.

Sich zu erinnern erfordert eine bewusste Entscheidung. Aber
außerdem kann es nicht ein einmaliger Akt sein, sondern sollte
ein Prozess werden, ein Prozess, der Anstrengung und Aufmerk¬
samkeit erfordert und wiederholte, regelmäßige Pflege. Das spielt
sich zuerst in den Köpfen und Herzen ab und es materialisiert

Soonim Shin

sich in Objekten und deren Gestaltung, und das reicht von einer
schlichten Tafel über Grabstätten, Malerei, temporäre Installati¬
onen bis zur Architektur.

Es gibt eine Auseinandersetzung um diese Sichtbarkeit und es
gibt erfreulicherweise immer wieder — vor allem in den letzten
Jahren - viele neue Initiativen. Es gibt auch erfreulich viele Pro¬
jekte von oder mit jungen Menschen.

Die Kunst im öffentlichen Raum befasst sich mit der Erinne¬
rungskultur.

Es gibt formale’ Trends und Moden, neue Zugänge und natürlich
auch einen Wandel in der Wahl der Materialien und der Medien.

Diese Dokumentation in Buchform ist eine Momentaufnahme,
ist selbst ein Erinnerungszeichen und lädt dazu ein, sich mit
der Erinnerungskultur zu befassen, sie weiter zu leben und die
unsichtbaren Landschaften sichtbar zu machen.

Georg Rigerl, geb. in Wien, Absolvent der Hochschule für Angewandte
Kunst, lebt in Graz; Foto- und Medienkünstler.

Das Etikett „Asphaltdichter“ war für Kramer kein „Ehrentitel“,
sondern ein „saudummes Schlagwort“.

Einen ganz speziellen Theodor-Kramer-Abend versprach ein Kor¬
neuburger Wirtshaus für den 3. September 2018. Christiane
Holler und Erwin Wögenstein schrieben in ihrer Ankündigung:
„Kramer scheut sich nicht, die Dinge beim Namen zu nennen,
wenn er erzählt von Säufern und Strolchen, von Wirtshausgehern
und den käuflichen Frauen. Das ist auch der Grund, warum dieser
Abend für Jugendliche unter 18 nicht geeignet ist — geht es doch
um ‚Suff und Fraß, Schlaf und Beischlaf‘. Theodor Kramer wollte
‚unter anderem ein Asphaltdichter ... Stundenhoteldichter ...
Freß- und Saufdichter‘ sein. Diesem Teil seines Schaffens ist dieser
Abend gewidmet.“ Auch die Theodor-Kramer-Gesellschaft (TKG)
wies auf ihrer Internetseite auf diese Veranstaltung hin — mit dem
Vermerk: „Dies ist keine Veranstaltung der TKG.“

Beim Lesen der Ankündigung stellt sich mir eine Frage. Wo
und wann hat Kramer denn erklärt, dass er ein „Asphaltdichter“,
ein „Stundenhoteldichter“, ein „Fress- und Saufdichter“ sein will?

Schnell habe ich das Buch „Laß still bei dir mich liegen“ gefun¬
den, Kramers „Liebesgedichte“, wie der Untertitel lautet. Auf der
Umschlagrückseite - an prominenter Stelle also — steht nur dieser
Satz: ,,,Ich hoffe sehr, dass ich unter anderem ein Asphaltdichter
bin, ein Kohlenrutscherdichter, ein Stundenhoteldichter ... ein
Fress- und Saufdichter.‘ — Theodor Kramer“. Erwin Chvojka,
der diese „Liebesgedichte“ Kramers 1997 herausgab, hatte also
Kramer zitiert — in seinem Nachwort erwähnt er dieses Zitat aber
überhaupt nicht, gibt in der editorischen Nachbemerkung auch
keine Quelle an.

Also suche ich weiter. Bei der Recherche finde ich einen Aufsatz
von 2012 mit dem vielversprechenden Titel: „Iheodor Kramers

46 ZWISCHENWELT

erotische Gedichte. Theodor Kramer, ‚ein Asphaltdichter, ein
Kohlenrutscherdichter, ein Stundenhoteldichter...“ von Slavija
Kabi¢. Kabi¢ wird bestimmt die Quelle angeben, denke ich mir.
Ein Blick ins Buch — und ich sehe, dass Kabie als Quellennachweis
auf Daniela Strigls Nachwort in der erweiterten Neuausgabe von
„Laß still bei dir mich liegen“ von 2005 verweist. Also suche ich
auch nach diesem Buch, das die Fachbereichsbibliothek Germa¬
nistik der Universität Wien übrigens nicht hat. In ihrem Nach¬
wort mit dem Titel „Rucksack und rostige Betten. Zu Theodor
Kramers erotischen Gedichten“ schreibt Strigl: „Im kulturellen
Kampfklima der dreißiger Jahre lasen die einen Theodor Kramer
als Heimatdichter, die anderen schlugen ihn der verpönten ‚As¬
phaltliteratur‘ zu. Er drehte den Spieß um: ‚Ich hoffe sehr, dass
ich unter anderem ein Asphaltdichter bin, ein Kohlenrutscher¬
dichter, ein Stundenhoteldichter, ... ein Freß- und Saufdichter.‘,
Da ist es, das Zitat - aber eine Quellenangabe fehlt. Auch in der
Ankündigung zum Abend „Mein Theodor Kramer“ im Literatur¬
haus Graz am 12. April 2018, bestehend aus einem Vortrag von
Daniela Strigl und aus einer Lesung von Bernd Jeschek, erwähnt
Strig] das Zitat — und schreibt noch dazu: „Das rechte Verdikt
des ‚Asphaltdichters‘ war ihm ein Ehrentitel (...)“. Die Quelle
nennt Strigl wieder nicht. Und auch in der Ankündigung zur
Matinee im Jüdischen Museum Wien am 15. April 2018 („Bernd
Jeschek liest Theodor Kramer“) wird auf das Kramer-Zitat vom
„Asphaltdichter“ verwiesen, erneut aber keine Quelle angegeben.

Konstantin Kaiser gibt mir den Tipp, in dem von ihm 1983
herausgegebenen Buch „Iheodor Kramer 1897 — 1958. Dichter
im Exil“ nachzuschauen. Dort findet sich das Zitat — und zwar
in Harry Zohns Aufsatz „Aus Iheodor Kramers letzten Jahren“.
Zohn sagt: „Als man ihn einen ‚Asphaltliteraten‘ nannte, erwiderte
Kramer: ‚Ich hoffe sehr, daß ich unter anderem auch ein Asphalt¬
dichter bin, ein Kohlenrutschendichter, ein Stundenhoteldichter,