ein Bücherwartdichter, ein Fref- und Saufdichter.‘, Ein Fortschritt:
Zum ersten Mal finde ich den ganzen Satz - ohne Auslassungen.
Schade nur, dass auch bei Zohn die Quelle fehlt. Aber Zohns
Aufsatz ist ja „eine erheblich erweiterte Neufassung seiner Ausfüh¬
rungen über Kramer in ‚Wiener Juden in der deutschen Literatur“,
sagt Herausgeber Konstantin Kaiser in der Vorbemerkung. Ich
finde das Kramer-Zitat denn auch in dem genannten Buch Zohns
von 1964 — auch dieses Buch hat die Fachbereichsbibliothek Ger¬
manistik nicht —, und zwar in Zohns Aufsatz ,, Theodor Kramers
letzte Jahre“. Leider ist auch diesmal keine Quelle vermerkt. Ein
letzter Versuch: Zohns Aufsatz „Iheodor Kramer, wie ich ihn
erlebte“ in dem 2000 von Herbert Staud und Jérg Thunecke
herausgegebenen Buch „Chronist seiner Zeit. Theodor Kramer“.
In diesem Aufsatz taucht jedoch das gesuchte Zitat überhaupt
nicht auf.
Ich fange an zu zweifeln: Hat Kramer diesen Satz so gesagt? Ist
das Zitat überhaupt zitierfähig? Nach tagelanger Suche habe ich
nirgends die Quelle entdecken können.
Jetzt kann nur noch eine Anfrage beim Literaturarchiv der
Österreichischen Nationalbibliothek in Wien helfen. Das Lite¬
raturarchiv verwahrt nämlich — seit 1999 — 220 Briefe Theodor
Kramers an Harry Zohn, die sogenannte „Sammlung Zohn“, wie
Michael Hansel in seiner 2001 geschriebenen Diplomarbeit erklärt
(„Der Brief im 20. Jahrhundert‘ — dargestellt anhand eines Fall¬
beispiels: Der Briefwechsel des Dichters Theodor Kramer mit dem
Literaturwissenschaftler Harry Zohn <1951 bis 1958>“). Diese
Sammlung ist jedoch nicht ganz komplett: „Der eine oder andere
Brief ging vermutlich im Laufe der Jahre verloren. Ich behielt zwei
oder drei Briefe als Souvenir zurück [...]“, schrieb Zohn an Han¬
sel. Würde sich das gesuchte Kramer-Zitat wirklich in einem der
vom Literaturarchiv verwahrten Briefe Kramers an Zohn finden?
Hatte Zohn also, als er über eine Erwiderung Kramers berichtete
— „Als man ihn einen ‚Asphaltliteraten‘ nannte, erwiderte Kramer
(...)“ einfach aus einem an ihn gerichteten Kramer-Brief zitiert?
Am 7. September 2018 fragt Konstantin Kaiser Michael Hansel,
der wissenschaftlicher Mitarbeiter des Literaturarchivs ist, ob er
ihm helfen könne, das „häufig ins Spiel gebrachte Kramer-Zitat“
vom „Asphaltdichter“ nachzuweisen. Und wirklich kann Michael
Hansel helfen: Das Zitat findet sich in Kramers Brief an Zohn
vom 23. Dezember 1952. Hansel schickt Kaiser gleich eine Kopie
dieses Briefs, der so zitiert wird: „I. Kramer / Sammlung Harry
Zohn, Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek,
Sign.: 128/B60“. In diesem Brief schreibt Kramer:
Den Betrieb meiner byrischen Manufaktur hab ich nun wieder
aufgenommen. (...) Der Guttenbrunner wollte in Klagenfurt Leuten
meine Gedichte zeigen, worauf man ihm sagte, K sei ein Asphaltliterat.
Nun hab ich bahnbrechende Landschafisgedichte und Bauerngedichte
nicht nur geschrieben, sondern auch veröffentlicht. Asphaltliterat ist
ein saudummes Schlagwort. Ich hoffe sehr, dass ich u.a. auch ein
Asphaltdichter bin, ein Kohlenrutschendichter, ein Stundenhoteldich¬
ter, ein Bücherwartdichter, ein Fress- und Saufdichter. Visitkarten
möcht ich mir drucken lassen, mit dem Götz Zitat und: Aber nur
kreuzweis, bitte!
Es war also nicht so — wie Strigl behauptet —, dass Kramer „den
Spießß umdrehte“, nachdem er „im kulturellen Kampfklima der
dreißiger Jahre“ der „verpönten Asphaltliteratur zugeschlagen“
wurde. Kramer „drehte“ — um Strigls Worte zu benutzen — „den
Spieß um“, als ihm im Nachkriegs-Klagenfurt der 1950er Jahre
() - also nicht in den 1930er Jahren —, vorgeworfen wurde, ein
„Asphaltliterat“ zu sein. Hätte Strigl den Brief Kramers an Zohn
gelesen, hätte sie also nicht blind zitiert, dann wäre ihr dieser
Fehler nicht unterlaufen.
Auch nennt Strigl — wie oben erwähnt - in ihrer Ankündigung
des Grazer Abends den Vorwurf an Kramer, „Asphaltdichter“ zu
sein, ein „rechtes Verdikt“. Aber der Vorwurf „Asphaltdichter“ war
nicht einfach ein „Verdikt“, ein Urteil, der politischen Rechten —
wie Strigl verharmlosend meint —, sondern ein Kampfbegriff der
Nazis. Wer Schriftsteller als „Asphaltdichter“ beschimpfte, war
nicht bloß rechts, sondern ein Nazi. So schreibt die Literaturwis¬
senschaftlerin Edda Ziegler in ihrem 2010 neu erschienenen Buch
„Verboten — verfemt - vertrieben. Schriftstellerinnen im Wider¬
stand gegen den Nationalsozialismus“: „„‚Asphaltliteratur‘ — mit
diesem Schlagwort werteten die Nationalsozialisten die Literatur
der literarischen Moderne ab und stellten sie in Gegensatz zu ihrem
eigenen ästhetischen Ideal, der national und völkisch orientierten
Heimatkunst. (...) Das Schlagwort bot Vorwand und pseudoli¬
terarische Begründung für ‚rassische‘ wie politische Verfolgung
(...)“. Und Cornelia Berning nahm den Begriff „Asphaltliteratur“
schon 1964 in ihr „Vokabular des Nationalsozialismus“ auf: Joseph
Goebbels sprach in einer Rede vom 6. April 1933 von „wurzel¬
und artlosen Asphaltliteraten“, und für Alfred Rosenberg gab es
das „Asphaltmenschentum der Weltstädte“, darunter also wohl
auch „Asphaltmenschen“ in Wien.
Für Kramer war „Asphaltdichter“ kein „Ehrentitel“ — wie Strigl
in ihrer Vortragsankündigung behauptet - sondern ein „saudum¬
mes Schlagwort“, wie er selbst in seinem Brief schreibt. Er war
— zu Recht - empört, „Asphaltliterat“ genannt zu werden — und
beantwortete diese Etikettierung mit dem G6tz-Zitat.
Kramer richtig zitieren hieße, die Passage ,,Ich hoffe sehr, dass
ich unter anderem auch ein Asphaltdichter bin (...)“ bis zu ihrem
Ende zu zitieren. Zohn ist der Vorwurf zu machen, Kramers Satz
aus dem Zusammenhang gerissen zu haben, wodurch er Kramers
Botschaft verfälscht hat.
Und kränken wir Kramer nicht weiter, indem wir - in Ankün¬
digungen, in Biographien - alle diese Kramer verhassten Etiketten
immer noch auf ihn kleben, vom „Asphaltdichter“ bis hin zum
„Stundenhoteldichter“? Haben wir — 60 Jahre nach Kramers Tod —
noch nicht gelernt, dem Dichter jüdischer Herkunft, einem Opfer
der Nazis, dessen Mutter in Theresienstadt starb, ein wirklich
ehrendes Andenken zu bewahren?
Rudolf Jeremias Kreutz sagte bei einem Theodor-Kramer-Abend
am 17. Mai 1934 in Wien, Kramers Dichtung zeichne sich aus
durch die „rückhaltlose Ehrlichkeit seiner Innenschau“ und durch
die „Leidenschaft seines Menschentums“; seine Zustandsschil¬
derungen könnten daher „an Plastik nicht überboten werden“.
Solche Theodor-Kramer-Abende, bei denen Respekt vor dem
Dichter und dem Menschen Kramer im Mittelpunkt stehen,
könnten wir uns öfters wünschen. Und es wäre wichtig, die an
den Literaturwissenschaftler Zohn gerichteten Briefe Kramers —
fast genau zwanzig Jahre nach ihrem Ankauf — endlich in einer
Edition zu veröffentlichen.