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Ernst Karner
Mona Lisa, Mandelbäume

Mona Lisa

etwas blaß um die Nase
mit Umhängetasche
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einem großen Getränk
und der zerfließenden
amerikanischen Fahne
auf ihrem Kleid

ebenso geheimnisvoll
und selbstbewußt wie ihre
historische Vorgängerin
wartet auf ein ihr
ebenbürtiges Pendant
das sich aus ebendiesen
Dingen erklärt die ihr
Geheimnis ausmachen
und doch darunter
zurückbleiben

oder auf die Freundin
mit der sie einen vergnügten
Tag erleben will

offen für alles

jedes weitere Geschehnis
von dem sie hofft

es würde sie aus dem
Rahmen herausführen
in dem sie sich befindet
und das wieder nur

in ihn zurückführt

ihr Geheimnis bleibt

dennoch bestehen

Alex Gross, Mona Lisa, 2018, Öl auf Leinwand, 48x36 inches

Mandelbäume am Fuß

des Bisambergs

zwei hohe Bäume mit guten
eßbaren Früchten

ein Mandelbäumchen
gepflanzt zu Ehren eines

der Mandelbaum geheißen hat
im Garten des Filmarchivs

im Augarten

aus Paletten zusammengesetzter
Veranstaltungsort

mit einem Dach aus
durchsichtigem Wellplastik
das vor dem Regen schützt
und zugleich hörbar

das Prasseln

des Regens verstärkt

ein intimer Rahmen

in dem das Gesagte

das ist was es sein soll

und von Außenstehenden
nur bedingt wahrgenommen
wird

Ernst Karner veröffentlichte zuletzt im Rampenlicht Verlag (Wien):
Dr. Faust stellt die Lichter an (Übersetzung von Gertrude Steins
„Doctor Faustus lights the lights“, 2014); Von Kontinent zu Kon¬
tinent (mit Übersetzungen von Gedichten Carl Sandburgs, 2017).

Am 25. Mai 2018 fanden sich Menschen im Garten des Film¬
archivs Austria ein, um des drei Jahre zuvor bei einem Besuch
in Wien verstorbenen Schriftstellers Frederic Morton zu geden¬
ken. Als Metapher für den 1924 geborenen und von den Nazis
vertriebenen Fritz Mandelbaum wählte man einen leibhaftigen
Mandelbaum. Miguel Herz-Kestranek, der Mortons letzte Rede
vortrug, meinte sinngemäß im Vorfeld der Veranstaltung: „Es
braucht Mahnmale, die Kindern etwas bringen; ein Baum, der
wächst und Früchte trägt, stellt sicherlich ein solches dar ...“

Die Veranstaltung wurde initiiert von einer Gruppe Künstler¬
Innen, welche über sieben Jahre in der Ihelemangasse 4 in
Wien-Hernals — Geburtsort Frederic Mortons und Schauplatz
des bekannten halbfiıktiven Romans „Die Ewigkeitsgasse“ - einen
interdisziplinären Ort für Kunst und Kultur (_mo.é) bespielte:
Frederic Morton selbst sollte im Mai 2010 die Eröffnungsrede in
der ehemaligen k.k.-Orden- und Medaillenfabrik halten, kehrte
er ja mit zunehmendem Alter öfter in seine Heimatgefilde zurück
und erzählte bei dieser Gelegenheit immer wieder Anekdoten oder
kommentierte auch die Gegenwart. Immer in Turnschuhen auf
Achse, erzählte er etwa, dass inmitten der Haupthalle der Fabrik
ein Arbeiter von einem Schwungrad erschlagen wurde, wo der
Raum für die „Haftelmacher“, sein Lieblingskrimskramsort als
kleiner Bub, gewesen war; oder aber, mehr der Aktualität verhaftet,
sei es ein „Ankommen in der Gegenwart“, dass in der Nach¬
barliegenschaft, die ursprünglich ebenso im Besitz der Familie
Mandelbaum war, nun ein Gebetshaus für Muslime sei. Er sei ja
auch ein „Vorstadtbub“ gewesen und auch als Wahl-New-Yorker
verstehe er die bunte Community des heutigen Ottakring und
Hernals so gut.

Und so passte nach der feierlichen Einweihung von Tafel und
Bäumchen Andrea Eckerts Film „Durch die Welt nach Hause“
gut ins Bild: Der internationale Bestsellerautor spricht darin über
seine beiden Identitäten, die österreichischen Ursprünge nie ver¬
gessend oder gar verleugnend. Das Wiener Fin de siecle und der
Untergang Kakaniens blieben Mortons bevorzugte Themen als
Schriftsteller.

Einem Besuch des Gartens des Filmarchivs Austria steht zu
den üblichen Öffnungszeiten nichts entgegen. - Hannah Menne

November 2018 55