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40% der am Isonzo kämpfenden k.u.k.- Truppen
waren Slawen (v.a. Slowenen und Kroaten). Da¬
raus ergeben sich auch interessante Einblicke in
die Motivation vieler Slowenen, diesen Krieg
willkommen zu heißen. Italien, das schon im
Londoner Vertrag vom 26. April 1915 seine
Gebietsansprüche östlich des Isonzo abgesteckt
hatte, stellte eine existentielle Bedrohung für die
Slowenen im Küstenland dar, die ihrerseits hoff¬
ten, nach dem Krieg eigene Ansprüche geltend
machen zu können.

Dies sind die Voraussetzungen, unter denen
die Erinnerungstexte slowenischer, italienischer
und (deutsch-) österreichischer Frontsoldaten,
aber auch von Widerstandskämpfern zusammen
gelesen so etwas wie ein transnationales Narrativ
über den Krieg ergeben. In ihrer Analyse breitet
die Autorin eine Fülle historischer Details vor
uns aus, die in der österreichischen Historio¬
graphie nicht unbedingt als geläufig vorausge¬
setzt werden können. Hochinteressant z.B. die
Kontakte zwischen Mitgliedern der 1927 aus
verschiedenen slowenisch-kroatischen Wider¬
standsgruppen hervorgegangenen Organisation
TIGR und der 1929 im Pariser Exil gegründe¬
ten Widerstandsbewegung Giustizia e Libertä
auf der Insel Lipari, wo ab den 1920er Jahren
slowenische wie italienische Antifaschisten kon¬
finiert waren.

Ausgiebig greift die Autorin auch auf die
Dichtung der Zeit (v.a. auf die slowenische) als
Quellenmaterial zu. Ihre in die Tiefe gehenden
Interpretationen ergänzen damit auch den lite¬
raturhistorischen Diskurs über die Kriegs- und
Zwischenkriegszeit, indem sie sich z.B. der li¬
terarischen Avantgarde unter dem Aspekt der
traumatischen Erinnerung annähern. Insgesamt
erweist sich die slowenische Kriegs- und Anti¬
kriegsliteratur als zahlreicher und vielfältiger, als
die Literaturgeschichten es üblicherweise vermit¬
teln. Die Einbeziehung von Zeitzeugen, v.a. aber
die Untersuchung literarischer Zeugnisse im

transnationalen Kontext erweitern beispielhaft
den Untersuchungsbereich.

Die Thematisierung Karntens vor und nach
der Zeit der Volksabstimmung 1920 ist aus re¬
gionalgeschichtlicher Perspektive hochrelevant,
weil sich Italien nach dem Krieg tatkraftig in die
Kärntner Verhältnisse einmischte (und so z.B.
im April 1919 die Eisenbahnstrecke Tarvis - St.
Veit an der Glan bis Launsdorf besetzte, damit
sie nicht in jugoslawische Hände fiele). Anderer¬
seits kämpften bis zu 800 küstenländische Slo¬
wenen 1919 für die Angliederung Südkärntens
an den SHS-Staat. Und nicht zuletzt befinden
sich unter den Kärntner Slowenen Zeugen des
Kriegs am Isonzo, so etwa Franc Arnejc (dessen
Erinnerungen seit 2016 auch in einer deutschen
Ausgabe vorliegen). Es sind v.a. Angehörige der
Minderheit, die den massiven Gruppendruck
thematisieren, dem der Einzelne ausgesetzt war:
Selbst einem national deklarierten Slowenen
konnte die mangelnde Begeisterung für den
Kampf als Verrat oder Abweichlerei ausgelegt
werden.

Die Autorin grundiert die Erzählungen über
die Kriegsrealität durch aktuelle Erkenntnisse
aus der Hirnforschung und kognitiven Psycho¬
logie, der Angst- und Gewaltforschung, der Er¬
innerungs- und Traumaforschung und ergänzt
diese gegebenenfalls in kritischen Exkursen.
Gerade durch diese integrierte Methodologie
aber ist das Buch eine fesselnde Lektüre und
ein bedeutender Beitrag zur Kulturgeschichte
des Alpen-Adria-Raumes der Kriegs- und Zwi¬
schenkriegszeit. Nicht zu kurz kommt die Iko¬
nographie des Krieges, wie sie in historischem
Bildmaterial, in Karikaturen und Gemälden
Ausdruck findet. Die mehr als zwanzig Abbil¬
dungen ergänzen die anhand der Textanalyse
gewonnenen Einsichten in instruktiver Weise.

Den Kampf um die Anerkennung der Kriegs¬
wirklichkeit beschreibt die Autorin v.a. als ei¬
nen Kampf um das“ Gedächtnis des Krieges“,

welches sowohl von den Faschisten wie von
den Nationalsozialisten negiert wurde. Alles
in allem waren es eben nicht die traumatisier¬
ten Kriegsveteranen, die durch eine besonde¬
re Neigung zur politisch motivierten Gewalt
auffielen, sondern es war die Generation der
Kriegsjugend, die sich in den 1930er Jahren in
dieser Hinsicht auszeichnete — was allerdings
das Ergebnis einer schrittweisen Radikalisie¬
rung und nicht das unmittelbare Resultat der
Kriegserfahrung war. Letzten Endes ging es den
politischen Entscheidungsträgern um konkrete
Machtinteressen und um die „gezielte Umar¬
beitung von Kriegstraumatisierungen in neue
männliche Kampfenergien“, wie die Autorin in
ihrer Conclusio schreibt.

Zur Methodik sei angemerkt, dass jedes Zitat
in der jeweiligen Originalsprache und in deut¬
scher Übersetzung wiedergegeben wird. Ebenso
werden auch Ortsnamen mehrsprachig wieder¬
gegeben. Die informativen Anmerkungen der
Autorin, die u.U. auch kritische Kommentare
zur Überlieferung von Primärtexten enthalten,
sind als Fußnoten im Fließtext präsent. Im An¬
hang finden sich umfangreiche bibliographische
und Quellenangaben sowie ein fast 900 Einträge
umfassendes Namensregister. Der Band ist sehr
ansprechend gestaltet, das Layout klar und gut
lesbar. Gelegentliche Tippfehler und syntakti¬
sche Ungereimtheiten, wie sie bei der Umstel¬
lung von Satzteilen entstehen, wären bei einem
etwas sorgfältigeren Korrektorat vermeidbar ge¬
wesen. Sie tun dem Wert dieser gelungenen und
wichtigen Publikation aber keinen Abbruch.
Erwin Köstler

Marija Juri Pahor: Das Gedächtnis des Krie¬
ges. Die Isonzofront in der Erinnerungsliteratur
von Soldaten und Zivilisten. Klagenfurt/Celovec,
Ljubliana/Laibach, Wien/Dunaj: Hermagoras/
Mohorjeva 2017. 444 S.

Mit Scheinehen, auch Namensehen oder weiße
Ehen genannt, konnten Frauen in der NS-Zeit
eine andere Staatsbürgerschaft erwerben und
sich dadurch ins Fxil retten. Sie haben darüber
später nur wenig und selten berichtet; dieser
Aspekt der jüdischen Verfolgungsgeschichte
wurde noch nie systematisch erforscht.

Irene Messinger, Politikwissenschafterin und
Mitglied der Frauen AG der Osterreichischen
Gesellschaft fiir Exilforschung, hat sich dieser
Geschichte nun in einem Forschungsprojekt
angenommen. In ihrer Dissertation und einem
Buch im Mandelbaum Verlag hat sie das Thema
auch im aktuellen Fremdenrecht untersucht.

13 Fallgeschichten, darunter von so bekann¬
ten Frauen wie Hilde Zalosczer, Hilda Monte,
Yella Hertzka und Alma Rosé werden in der
Ausstellung in der Dependance des Museums

am Judenplatz und im dazugehérigen Buch
vorgestellt. Eine Geschichte, jene der Tanzerin
Anita Bild, wurde von Peter Bild und Irene Mes¬
singer auch noch ausführlich in einem eigenen
Band dokumentiert. Die Lebenserinnerungen
der Ärztin Rosl Ebner, der Frau des Rechts¬
anwalts Hugo Ebner, werden noch in diesem
Jahr, herausgegeben von Linda Erker und Edith
Stumpf-Fischer, erscheinen.

Salons sind das Thema der großen Sommeraus¬
stellung im Haupthaus, für die das Bezirksmuse¬
um Döbling das beeindruckende Mobiliar des
Salons der Villa Wertheimstein zur Verfügung
stellte.

Ein Höhepunkt der Ausstellung, ein Bild, das
auch im Begleitband abgebildet ist, ist das Trip¬
tychon „Die Geistige Emigration“ von Arthur

Kaufmann aus dem Kunstmuseum Mülheim an
der Ruhr. Unter den 38 porträtierten Persön¬
lichkeiten befindet sich auch Berthold Viertel.

In den Beiträgen des Bandes wird die Ge¬
schichte Wiener jüdischer Frauen und Frau¬
envereine als Hintergrund für das Wirken der
großen Wiener jüdischen Salonieren, von Fanny
von Arnstein bis Berta Zuckerkandl beschrie¬
ben. Bei Eugenie Schwarzwald muss Marcus
G.Patka allerdings einräumen: „Vieles deutet
darauf hin, dass Eugenie Schwarzwald ihre jüdi¬
schen Wurzeln völlig abgelegt hatte, ja geradezu
verleugnete ...“

Eine Neuentdeckung in seinem Beitrag ist eine
Leihgabe aus dem Wienmuseum, das Gästebuch
des sozialdemokratischen Salons von Gustav und
Helene Scheu in der Loos-Villa in Hietzing.

November 2018 69