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Republiks-Feiern 1943

Die Republiksfeier am 12. November war in der Ersten Republik nicht
nur Ruhetag, sondern auch Festtag. An diesem Tag wurde von den
Vertretern der Republik, in der Kasernen und den Landeshauptstädten,
aber vor allem von der Sozialdemokratie die Republik gefeiert. Für
die Sozialdemokratie war der 12. November ein Tag des Triumphes,
für die Österreichische Bourgoisie in ihrer vielfältigen Verbundenheit
mit dem halbfeudalen Osterreich-Ungarn ein Tag der Niederlage.

1933 verbot die Bundesregierung Kundgebungen jeder Art für den
12. November. Und am 27. April 1934 hob die Bundesregierung das
Gesetz vom 25. April 1919, das den 12. November als Ruhe- und
Festtag bestimmte, auf.

Viele österreichische SchriftstellerInnen waren glühende Anhän¬
gerInnen der Republik. Nach 1934 und dann erst recht nach 1938
mussten viele von ihnen aus Österreich flüchten. Im Exil werden sie
mit anderen ExilösterreicherInnen die sein, die von 1934 bis 1944,
zehn Jahre lang, den Tag der Gründung der Republik begehen, ob in
Paris, London, Mexiko-Stadt oder in Buenos Aires. Das literarische
Zeugnis sowie die republikanische Begeisterung vieler der exilierten
AutorInnen sind genauso nach 1945 in Vergessenheit geraten wie die
AutorInnen und der Tag der Republiksgründung selbst. An seiner
Stelle wurde 1955 ein kurzlebiger „Tag der Flagge“ propagiert, 1956
ein „lag der österreichischen Fahne“ am 26. Oktober eingeführt, der
1965 in „Nationalfeiertag“ umbenannt wurde und an den Beschluss
der immerwährenden Neutralität Österreichs am 26. Oktober 1955
erinnern soll.

Zum 25-jährigen Jubiläum der Republik, eben war die Moskauer
Deklaration der Alliierten verlautbart worden, konnte man in der
in New York erscheinenden sozialdemokratischen „Austrian Labor
Information“ Berichte über die Feierlichkeiten lesen. Es fällt auf,
dass neben Vertretern der Gastländer immer prominente Gäste aus
Exilgruppen anderer europäischen Länder, vor allem aus der Tsche¬
choslowakei, Italien und Ungarn, anwesend waren und ebenfalls
Ansprachen hielten. — A.E.

Austrian Labor Information (New York), Heft 20, November-De¬
zember 1943, 23

NEW YORK CITY

An die vierhundert unserer österreichischen Freunde in New
York kamen am Abend des 12. November, um des 25. Jahrestages
der Ausrufung der Republik Österreich zu gedenken.

Klassische Wiener Musik leitete die Feier ein: Fritz Jahoda
spielte meisterhaft Brahms und begleitete dann Schubert-Lieder
und ein Gustav-Mahler-Lied, die Heinz H. Heinz mit grosser
Gestaltungskraft sang.

Julius Deutsch eröffnete die Versammlung. Unter stürmischem
Beifall gedachte die Versammlung Hugo Breitners, der am 9.
November seinen 70. Geburtstag feierte.

Deutsch sprach dann kurz über die Erklärung über Österreich
und begrüsste sie als einen Schritt im Kampf gegen Hitler. Er
unterstrich, dass es in Österreich keine reaktionäre Lösung geben
und dass nichts geschehen dürfe, was dem österreichischen Volk
selbst und seiner Entscheidung über seine Selbstregierung vorgreife.
Nichts, was von der Emigration gemacht werden könne, könne
und solle ersetzen, was in Österreich selbst geschehen müsse.

Wilhelm Ellenbogen war der Hauptredner des Abends. In ei¬
ner starken, formvollendeten Rede pries er zunächst die grossen
politischen und sozialen Errungenschaften der Republik und
gedachte im zweiten Teil seiner Rede Victor Adlers, des Begrün¬
ders und Führers der österreichischen Arbeiterbewegung, dessen
Todestag sich am 11. November zum 25. Mal gejährt hatte. Mit
der ihm eigenen Wärme und Gestaltungskraft entwarf Ellenbogen
ein Bild der einzigartigen Persönlichkeit Victor Adlers, seiner
unübertroffenen Kunst Menschen zu gewinnen und zu leiten,
seiner tiefen Hingabe an die Partei und seiner Verbundenheit
mit den Arbeitern.

Internationale Freunde aus allen Teilen der alten, im Jahre 1918
zusammengebrochenen Österreichisch-ungarischen Monarchie
sprachen im zweiten Teil der Versammlung. Pacciardi für die
Italiener, Benau für die Tschechoslovaken, Taub für die Deutsch¬
böhmen, Keri für die Ungarn und Aleksandrovics für die Polen
und die jüdischen Arbeiter im chemaligen Galizien.

Das Lied der Arbeit — nach der amerikanischen Hymne von
allen Anwesenden gesungen - hatte die Feier eröffnet, der Gesang
der Internationale beschloss sie.

SAN FRANCISCO

Die in San Francisco und Umgebung lebenden österreichischen
Sozialisten fanden sich am Abend des 12. November im Vortrags¬
saal des Heimes des Jewish Labor Committee (Workmen Circle)
sehr zahlreich zu einer Gedenk-Versammlung ein. Ernst Winkler
eröffnete die Kundgebung mit einem Nachrufauf die zahlreichen
Opfer des Kampfes der österreichischen Arbeiterschaft gegen
den Faschismus, der von den Versammelten stehend angehört
wurde. Karl Heinz zeigte, dass die Gründung der österreichischen
Republik vor allem ein Werk der Arbeiter gewesen ist, deren
Organisationen das Kriegsverbrechen der Habsburger bekämpft
hatten und die daher im In- und Ausland sich des grössten Ver¬
trauens erfreuten. Wir hofften damals, dass der Sozialismus bald
errungen werden wird, doch erwies sich die Abhängigkeit des
kleinen, durch den Krieg ausgebluteten Landes von seiner Umwelt
und insbesondere den kapitalistischen Siegermächten zu groß.
Der Sieg der Reaktion im benachbarten Ungarn und die durch
den italienischen König herbeigeführte Machteroberung durch
Mussolini in Italien drängte die österreichische Arbeiterschaft
bald in eine Verteidigungsstellung. Trotz aller wirtschaftlichen
und machtpolitischen Schwierigkeiten gelang es aber doch, eine
vorbildliche Sozialpolitik zu erkämpfen und die großen Leistun¬
gen der Gemeinde Wien zu vollbringen. Erst der Sieg Hitlers
in Deutschland machte der österreichischen Demokratie ein
Ende. Die Klerikofaschisten unter der Führung von Dollfuß und
Schuschnigg verbündeten sich mit Mussolini gegen das eigene
Volk. Die blutige Unterdrückung der Arbeiterbewegung im Feb¬
ruar 1934 beraubte Österreich seiner stärksten Verteidigungskraft.
Wenige Jahre später ließ Mussolini Österreich im Stich und der
deutsche Imperialismus siegte mit der Okkupation Österreichs
durch die Hitlertruppen über den italienischen Imperialismus.
Die Wiederherstellung der demokratischen Republik wird die
Möglichkeit schaffen, für den Sozialismus zu kämpfen, der allein
den Frieden und den Wohlstand für Österreichs und Europas
Bevölkerung dauernd zu sichern vermag.

Juli 2019 57