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Ein Monumentalwerk über ein relativ kleines
Bundesland, aber ein Land am Schnittpunkt
von Ost und West (die Untersteiermark ist nicht
aufgenommen). Etwa 2.100 Namen scheinen
im Register auf, Verfolgte wie Täter, vor dem
Mai 1945 ermordete Widerständler, nach dem
Mai 1945 freigesprochene oder verurteilte
Partisanen. Eine „Einführung“ verschafft den
inhaltlichen Überblick in die Konzeptionen des
Widerstandes und ihre Umsetzung: „Vorberei¬
tung zum Hochverrat“, „Landesverrat“, „Wehr¬
kraftzersetzung“, dazu konnte die Tötung eines
Wehrmachtssoldaten durch einen Partisanen
zählen, aber auch ein auf der Schreibmaschine
verfasstes Flugblatt einer Kommunistin, die
gegen den NS-Faschismus friedlich vorgehen
wollte.

Heimo Halbrainer hat bis heute 42 Schriften
zum Ihema NS-Hertschaft in der Steiermark
vorgelegt — von kürzeren Artikeln bis zu umfang¬
reichen Büchern. Er ist der Fachmann, dessen
Wissen und Einschätzung der Materie große
Bewunderung verdient. Zusammen mit Mit¬
herausgeberInnen publizierte er beispielsweise
„NS-Hertschaft in der Steiermark. Positionen
und Diskurse“, eine ausführliche Darstellung
mit 22 Beiträgen (Wien 2012), „Kriegsende
1945 in der Steiermark. Terror, Kapitulation,
Besatzung, Neubeginn“ (13 Beiträge verschie¬
dener AutorInnen, Graz 2015; Besprechung
von H. Wingler in ZW Nr. 1-2/2016, 95f.) Im
Jahr 2000 legte Halbrainer Briefe steirischer Wi¬
derstandskämpferInnen aus’Iodeszelle und KZ
unter dem Titel „In der Gewissheit, dass Ihr den
Kampf weiterführen werdet“ bei CLIO in Graz
vor; diese erschütternde Dokumentation war
„kein wissenschaftliches Modethema“, schrieb
Halbrainer im Vorwort. Dass sich dies geändert
hat, ist auch ihm selber zuzuschreiben sowie
dem Verein für Geschichts- und Bildungsarbeit
CLIO und dem Centrum für Jüdische Studien
der Universität Graz und dessen Leiter Gerald
Lamprecht.

Auch den BearbeiterInnen der nun vorge¬
legten Sammlung von Dokumenten zu „Wi¬
derstand und Verfolgung“ gebührt große An¬
erkennung. Der Band schließt an die bereits
vorliegenden Dokumentationen zu den anderen
österreichischen Bundesländern an, die nach
und nach seit 1977 erschienen sind. In der
Spanne von 42 Jahren seit dem Erscheinen der
dreibändigen Sammlung über „Widerstand und
Verfolgung in Wien“ bis zu dem Erscheinen des
seit 1991 geplanten Steiermark-Bandes spiegeln
sich auch die Hemmnisse, die dem Unterfangen
entgegengesetzt wurden. Nicht immer waren
die Landesarchive zugänglich und die Finan¬
zierung der Forschungsarbeiten stand in Frage.
Anders als die Dokumentationen anderer Bun¬
desländer - Wien, Burgenland, Oberösterreich,
Tirol, Niederösterreich, Salzburg - beginnt der
Steiermark-Band nicht schon im Jahr 1934,
sondern nimmt aus der Zeit vor 1938 nur die

Spanienkämpfer auf. Juden, Roma, Homosexu¬
elle, Zeugen Jehovas und andere religiöse und
bürgerliche Widerstandsgruppen mussten aus¬
gespart bleiben.

Was tun außer Wut und Trauer empfinden
beim Porträtfoto eines jungen Mannes mit
Steirerhut und Gamsbart, Hirschknöpfe am
Kragen, Bildtitel: „Karl Feldhammer (1909 —
1945) wurde bei seiner Festnahme am 17. Jänner
1945 von der Gestapo erschossen.“ (Kapitel
Partisanenwiderstand, Ausseerland, S. 557). Es
ist nur eines von vielen derartigen Zeugnissen.

Heimo Halbrainer schreibt einführend: „Der
vorliegende Band umfasst zwei große Teilbe¬
reiche: zum einen den Widerstand der organi¬
sierten ArbeiterInnenbewegung, also jenen von
sozialistischen und kommunistischen Wider¬
standsgruppen; zum anderen den bewaffneten
Widerstand, also jenen von PartisanInnengrup¬
pen. Im Mittelpunkt stehen hier die bewaffneten
Gruppen der ‚Österreichischen Freiheitsfront‘,
dann die Österreichischen Freiheitsbataillone,
die 1944/45 im Rahmen der Jugoslawischen
Volksbefreiungsarmee im Einsatz waren, sowie
die Kampfeinsätze im Rahmen der alliierten Ar¬
meen. ... Das ganze Spektrum von Widerstand,
Opposition und Unzufriedenheit, von Diskrimi¬
nierung und Verfolgung in der Steiermark wird
in den Nachfolgebänden dokumentiert werden.“
Dies lasst hoffen. Der Tag der Befreiung ist lange
her, 8.Mai 1945. Es muss gefordert werden, dass
viel mehr als bisher diese Periode der Terrorherr¬
schaft ihren Platz im Schulunterricht findet.

Das Buch gliedert sich in drei Abschnitte.
Dokumentiert sind sowohl Schriftstiicke der
Verfolgten als auch der Verfolger, zum Teil
einzelne Personen als Denunzianten, Gericht¬
sanklageschriften und Urteile. Aus inhaltlichen
Griinden wird die Chronologie nicht immer
eingehalten, um den thematischen Zusammen¬
hang zu bewahren.

Der erste Abschnitt „ArbeiterInnenbewegung“
enthält „Sozialistischen Widerstand“ und „Kom¬
munistischen Widerstand“, wobei zu bemerken
ist, dass bereits im Austrofaschismus österreich¬
weit Zehntausende aus diesen beiden Gruppie¬
rungen inhaftiert worden waren. Beispiel: Her¬
mann Lackner aus Bruck an der Mur, geboren
1899, Sozialist, seit 18. Januar 1934 bis zum 29.
April 1945 in 16 verschiedenen Haftanstalten,
von der Anstalt Karlau in Graz bis zuletzt im KZ
Dachau, wo er befreit wurde. Andere Gründe
der Anklage waren bloße Mitgliedschaft in der
Gewerkschaft oder etwa das Singen des Liedes,
mit dem sich die Sozialdemokraten begrüßen:
„Seid gegrüßt, ihr wackern Streiter, kämpfend
für der Freiheit Recht ...“

Der Unterabschnitt „Kommunistischer Wi¬
derstand“ gliedert sich in eine Einleitung über
die zentralen Parteistellen der KPÖ 1938/39
und behandelt dann die regionalen Organisa¬
tionen der Steiermark, von Graz, Judenburg,
Leoben, Bruck an der Mur und Kapfenberg,

Mürzzuschlag, Weiz, Voitsberg über die Südöst¬
liche Steiermark und endet mit dem Ennstal. Für
eine Verurteilung genügte es, „kommunistische
Propaganda“ zu betreiben oder „vom März 1938
bis Ende August 1939 wiederholt die deutschen
Nachrichten des Moskausenders“ abgehört zu
haben; das Urteil: zwei Jahre und zwei Monate
Zuchthaus wegen Vorbereitung zum Hochver¬
rat, Oberlandesgericht Wien (Tagungsort Graz),
16. Oktober 1940. Der Angeklagte wurde später
zu weiteren sieben Jahren Zuchthaus verurteilt,
als sich seine Beteiligung am Aufbau der KPÖ
in Frohnleiten herausstellte. Dies ein Beispiel
von vielen. Auffallend, dass hauptsächlich ideo¬
logische Gründe zur Verfolgung führten, keine
Gewalttaten.

Etwas anders dagegen der zweite Unterab¬
schnitt „Widerstand mit der Waffe“, wo die
Schilderung mit den Kämpfen der Koralm-Par¬
tisanen beginnt und über die Obersteiermark,
Leoben-Donawitz, Eisenerz, Ausseerland bis zu
den slowenischen Widerstandsgruppen reicht.
Kleinere Gruppen „Österreichischer Freiheits¬
bataillone“ gab es auch in Jugoslawien.

Ein dritter Unterabschnitt widmet sich stei¬
rischen Freiwilligen im Spanienkrieg (1936¬
1939). Manchen Franco-Gegnern gelang die
Rückkehr nach Österreich.

Ein dritter — kurzer — Abschnitt „Überpar¬
teiliche und sonstige Widerstandsgruppen“
schildert einige mutige Menschen, etwa den
letzten Kommandanten von Graz, Oberst Oskar
Leonhardt. Ihn überredete eine überparteiliche
Widerstandsgruppe „Steirische Kampfgemein¬
schaft“, entgegen dem militärischen Befehl die
Grazer Mur-Brücken Anfang Mai 1945 an¬
gesichts des Heranrückens der Sowjettruppen
nicht zu sprengen; damit wurde ein sinnloser
Abwehrkampf vermieden, der die Stadt und ihre
Infrastruktur völlig zerstört hätte.

Nochmals Heimo Halbrainer: „Mit Stand
2013 konnten für ganz Österreich die Namen
von 7.974 Menschen gefunden werden, die als
Opfer politischer Verfolgung hingerichtet oder
ermordet wurden. ... Für die Steiermark sind
596 Opfer ausgewiesen.“

Hedwig Wingler

Widerstand und Verfolgung in der Steiermark.
ArbeiterInnenbewegung und PartisanInnen 1938
— 1945. Hg. vom Dokumentationsarchiv des ös¬
terreichischen Widerstandes (DOW). Mit einer
Einführung von Heimo Halbrainer. Bearbeitet
von Elisabeth Holzinger, Manfred Mugrauer und
Wolfgang Neugebauer. Graz: Clio 2019. 760 S.
€ 25,¬

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