Evelyn Adunka ist eine jener HistorikerInnen,
die sich mittlerweile seit Jahrzehnten beharrlich,
wenn auch vielfach un(ter)bezahlt, der Erfor¬
schung unterschiedlichster Aspekte der Wiener
jüdischen Geschichte widmen. Ein Blick in den
Katalog der Österreichischen Nationalbibliothek
macht die Vielfalt ihrer Publikationen deutlich.
Hinzu kommt ihr ebenfalls langjähriges Enga¬
gement für die Österreichische Gesellschaft für
Exilforschung und fir die Zeitschrift der Theodor
Kramer Gesellschaft Zwischenwelt. Außerhalb
des etablierten Wissenschaftsbetriebs zu for¬
schen, wie es Evelyn Adunka tut, birgt zwar
etliche Nachteile nicht nur materieller Art, aber
immerhin auch einige wenige Vorteile. So ist es
beispielsweise möglich, sich den eigenen Zugang
zu einem Thema zu erhalten und jenen Fragen
nachgehen zu können, die sich oft erst „im Ge¬
hen“, d.h. während eines Forschungsprozesses
ergeben — immerhin auch eine Art von Luxus.
So birgt auch dieses Buch einige Überraschun¬
gen und Fundstücke, die sich die Leserin/der
Leser in einer Dokumentation zur Geschichte
der Zionistenkongresse nicht erwarten würde.
Dass die Fülle an Informationen streckenweise
etwas notizenhaft Aufzählendes an sich haben,
ist wohl nicht zuletzt den prekären Forschungs¬
bedingungen geschuldet. Es empfiehlt sich je¬
denfalls, auch einen Blick in die von Adunka
verwendete Hauptquelle für ihre Forschung
zu werfen, nämlich die online zur Verfügung
stehenden Stenographischen Protokolle der
Kongresse auf dem Portal Compact Memory
der Universitätsbibliothek Frankfurt/Main.
Dort sind nicht nur Protokolle, Berichte und
Zeitungsartikel vom I. Kongress in Basel 1897
bis zum XX. Kongress im Jahr 1937 in Zürich
einsehbar, sondern auch zahlreiche digitalisierte
jüdische Zeitschriften.!
Deutlich spürbar wird bei der Lektüre die
Aufbruchsstimmung, die auf den zionistischen
Kongressen herrschte. Da wurde zwischen den
unterschiedlichen politischen und mehr oder
weniger religiösen und/oder säkularen Flügeln
leidenschaftlich gestritten und um die Verwirkli¬
chung einer Utopie gekämpft, die teilweise recht
unterschiedlich aussah, wie Adunka am Beispiel
eines Vertreters der Misrachi, Hermann Struck:
„Misrachi ist Zionismus plus Religion“, und des
säkularen Zionisten Adolf Böhm verdeutlicht.
(Leider fanden die beiden Genannten sowie
auch andere in der Studie erwähnte Personen
nicht ihren Weg in den ausführlichen, rund die
Hälfte des Buches umfassenden Biographieteil.)
Der Kongress in Wien fand im September
1913 statt und umfasste auch ein umfangreiches
Rahmenprogramm mit Ausstellungen, Thea¬
terstücken, Filmen und Sportveranstaltungen.
Die Frauenversammlung des Verbandes jüdi¬
scher Frauen in Palästina gehörte ebenfalls nicht
zum Haupt- sondern zum Nebenprogramm
der Konferenz. Dort begegnen mir auch alt¬
bekannte Namen wieder, jene Frauen, die um
die Jahrhundertwende, ebenfalls in politisch
unterschiedlichsten Flügeln, in Wien aktiv
waren.” Ebenfalls im Umfeld der Konferenz
fanden im Jahr 1913 in Wien auch die zweite
Hebräische Weltkonferenz und die Konferenz
der Sepharden statt.
Damals hochfliegende Pläne der ZionistInnen
waren jene zur Gründung einer Jüdischen Nati¬
onalbibliothek in Palästina sowie einer Hebräi¬
schen Universität. Die Idee zur Gründung einer
Jüdischen Universität gab es bereits seit dem 1.
Zionistenkongress, bezüglich des Ortes hatte
man sich damals allerdings noch nicht festge¬
legt. In Wien nahm dieses Vorhaben konkrete
Formen an. Der Landkauf am Mount Scopus
in Jerusalem durch Arthur Ruppin erfolgte nach
der Wiener Konferenz. Auch der Beschluss zur
Gründung einer Jüdischen Nationalbibliocthek
war bereits 1907 gefasst worden. Beide Pläne
fanden nicht nur Zustimmung. Nach Meinung
vieler TagungsteilnehmerInnen gab es in Paläs¬
tina Wichtigeres zu tun als wissenschaftliche
Einrichtungen zu gründen, so etwa die Schaf¬
fung von Schulen, Volksbildungseinrichtungen
oder sog. Musterfarmen.
Adunka zeigt bei der Entstehung der beiden
wichtigen identitätsbildenden Institutionen
auch die personellen Verflechtungen zu Wien
auf. Ein kurzes Kapitel widmet sie ihren per¬
sönlichen Erinnerungen an die Aufenthalte an
der Hebrew University in Jerusalem gemeinsam
mit ihrem Lebensgefährten, dem Journalisten
Edwin Roth. Eine der ersten graduierten Frau¬
en an der Fakultät für Jüdische Studien an der
Hebräischen Universität war Pnina Navé Le¬
vinson (1921 — 1998). Navé Levinson befasste
sich insbesondere mit der Rolle der Frauen im
Judentum und mit feministisch-theologischen
‘Themen.?
Lesenswert sind auch die Schilderungen zur
zeitgendssischen Wahrnehmung bzw. Nicht¬
Wahrnehmung der Kongresse in der jiidischen
und der nichtjüdischen Presse. Dabei war die
Rezeption in ersterer schr lebhaft und reichte
von Berichten in Czernowitz und Ungarn bis zu
Artikeln in Berlin, Frankfurt/M. und London.
In Wien kommentierten u.a. die Arbeiterzeitung
und die antisemitische Reichspost die Konferenz.
Abschließend vergleicht Adunka den Kongress
von 1913 mit dem zweiten in Wien stattge¬
fundenen XIV. Zionistenkongress im August
des Jahres 1925. Dazwischen lag nicht nur der
Erste Weltkrieg, sondern auch die Balfour De¬
claration des Jahres 1917 mit dem Versprechen
einer „jüdischen Heimstätte“. Diese stärkte
zwar die zionistische Bewegung auf internatio¬
naler Ebene, in Wien aber fand die Konferenz
bereits in einer stark antisemitisch aufgeheiz¬
ten Stimmung statt — so wie bereits die zwei
Jahre zuvor ebenfalls in Wien stattgefundene
Weltkonferenz jüdischer Frauen.‘ Viele Kon¬
gressteilnehmerInnen des Jahres 1925 hatten
im April desselben Jahres an der Eröffnung der
Hebräischen Universität in Jerusalem teilge¬
nommen. In Wien jedoch kam es bereits im
Vorfeld der’ Tagung zu heftigen antisemitischen
Attacken in der deutschnationalen Presse, wie
Adunka schreibt. Politiker fürchteten eine
„Gefährdung der inneren Ordnung“ und eine
„Schädigung der Interessen der bodenständi¬
gen Bevölkerung“. Eine von der KPÖ geplante
Demonstration gegen „den Zionistenkongress
und gegen die Provokation der Hakenkreuzler“
wurde verboten. Bei der Eröffnung der Konfe¬
renz gab es eine Bombendrohung und gegen
antisemitische Demonstrationen und Tumulte
mussten die TagungsteilnehmerInnen von 7.000
Polizisten geschützt werden. Zugleich versuchte
der Gastgeber der Konferenz, Jakob Ehrlich,
Präsident des Zionistischen Landesverbandes, die
TeilnehmerInnen mit folgenden Worten zu be¬
ruhigen: „[...] Wien ist die Stadt einer hohen, fei¬
nen Kultur, in Wien ist eine schwer arbeitende,
schwer geprüfte Bevölkerung; in Wien ist eine
alte glänzende Zivilisation, deren Glanz nicht
verdunkelt werden kann durch die Streiche der
Gasse. [...]“ (S. 94). Er sollte sich irren.
Elisabeth Malleier
Evelyn Adunka: Zionistenkongresse in Wien. Der
XI. Zionistenkongress 1913 im Musikverein mit
der Gründung der Hebräischen Universität und
der XIV. Zionistenkongress 1925 im Konzerthaus.
Wien: Edition Illustrierte Neue Welt 2018. 275 S.
1 http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm und:
http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/
titleinfo/3476254
2 Elisabeth Malleier: Jüdische Frauen in der bürgerlichen
Frauenbewegung in Wien. Wien 2001. Die Studie konnte
damals aufgrund mangelnder Druckkostenförderung
leider nicht als Buch erscheinen, ist aber in der ÖNB
einsehbar.
3 Pnina Nave Levinson: Was wurde aus Saras Töchtern?
Frauen im Judentum. Gütersloh 1989. Und: Eva und ihre
Schwestern - Perspektiven einer jüdisch-feministischen
Theologie. Gütersloh 1992.
4 Malleier, Forschungsbericht wie Anm. 2, S. 125-141.
Und: Dieter Hecht: Die Weltkongresse jüdischer Frauen
in der Zwischenkriegszeit: Wien 1923, Hamburg 1919.
In: Margarete Grandner, Edith Saurer (Hg.): Geschlecht,
Religion, Engagement. Die jüdischen Frauenbewegun¬
gen im deutschsprachigen Raum, 19. und frühes 20.
Jahrhundert. Wien, Köln, Weimar 2005, S. 123-156.