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Georg Pichler

Der einzige langere autobiografische Text, den Ilsa Barea-Kulcsar
über ihren Aufenthalt in Spanien verfasste, ist ein achtzehnseitiges
Typoskript, das wahrscheinlich im Herbst 1965 entstand. Anlass
war die Anfrage des deutschen Autors Hans-Christian Kirsch,
besser bekannt unter dem Namen Frederik Hetmann, der sie um
einen Beitrag für eine Anthologie über den Spanienkrieg bat, die
1967 unter dem Titel Der Spanische Bürgerkrieg in Augenzeugen¬
berichten erschien. Allerdings nahm Kirsch nur rund ein Drittel
des Textes auf. Das Typoskript befindet sich im Nachlass von Ilsa
Barea-Kulcsar und erscheint unter dem Titel „Madrid, Herbst
1936“ zusammen mit ihrem Roman Telefonica im September
2019 im Wiener Verlag ,,edition atelier“.

Wie sie in ihrem Bericht ausführt, hatte Ilse Kulcsar, 1902 in
Wien als Ilse Pollak geboren und seit 1922 mit Leopold Kulcsar
verheiratet, ein bewegtes politisches Leben hinter sich, als sie im
Herbst 1936 nach Spanien kam, um die junge Republik in ihrem
Kampf gegen die aufständischen Generäle zu unterstützen. Ob¬
wohl sie als Journalistin arbeiten wollte, wurde ihr aufgrund ihrer
Sprachkenntnisse bald ein Posten in der Zensurstelle angeboten;
hier mussten die ausländischen Journalisten ihre Texte überprüfen
lassen, bevor sie telefonisch an die Redaktionen weitergeleitet
werden durften. Die Zensurstelle befand sich in der Teleföni¬
ca, damals das höchste Gebäude Spaniens und ein Wunder der
zeitgenössischen Technologie. In ihr lernte Ilse ihren späteren
zweiten Mann kennen, Arturo Barea, der ihre Liebesgeschichte
im letzten Band seiner autobiografischen Trilogie La forja de un
rebelde (auf Deutsch: Hammer oder Amboß sein, 1955) ausführlich
nacherzählt hat.

8 _ ZWISCHENWELT

Aufgrund tiefgehender Auseinandersetzungen mit einigen ih¬
rer Vorgesetzten und in steter Gefahr, unter der Anschuldigung
des Trotzkismus vom Geheimdienst festgenommen zu werden,
beschlossen die beiden im Februar 1938, nach Frankreich ins
Exil zu gehen; ein paar Tage zuvor hatten sie geheiratet. In Paris
verbrachten sie ein finanziell schr schwieriges Jahr, in dem Ilsa,
wie sie inzwischen genannt wurde, an ihrem Roman Telefönica
schrieb und Arturo seine Autobiografie in Angriff nahm. Im Fe¬
bruar 1939 konnten sie sich dank einem kleinen Lottogewinn
nach England einschiffen.

Isa begann im Abhördienst der BBC zu arbeiten, übersetzte und
nahm ihre Eltern bei sich auf, die gerade noch vor dem Beginn
des Zweiten Weltkriegs Wien verlassen konnten; beide starben
1948. Nach Kriegsende zogen die Barcas in ein kleines Landhaus
in der Nähe von Oxford. Arturo war in der Zwischenzeit durch
seine Trilogie bekannt geworden, die Ilsa ins Englische übersetzt
hatte. Gemeinsam schrieben sie Bücher über spanische Themen,
Ilsa übersetzte aus dem Spanischen und Deutschen ins Englische,
arbeitete als Dolmetscherin bei Gewerkschaftskongressen und
wurde für die Labour Party Gemeinderätin ihrer Ortschaft. Am
24. Dezember 1957 starb Arturo unerwartet an einem Herzinfarkt
— fur Ilsa ein tief tragischer, unersetzlicher Verlust.

Sie zog nach London und war weiterhin als Übersetzerin und
Dolmetscherin tätig, arbeitete für Verlage und wurde zu einer be¬
deutenden Mittlerin zwischen der deutschsprachigen, spanischen
und englischen Literatur. 1966 erschien auf Englisch ihre einzige
Buchveröffentlichung, eine umfassende Kulturgeschichte Wiens:
Vienna: Legend and Reality, zwei Jahre später kamen Übersetzungen
ins Dänische und Spanische heraus. Finanzielle Missstände, die
sie zu übermäßiger Arbeit nötigten, die ihre ohnchin angegriffe¬
ne Gesundheit zusätzlich beeinträchtigte, veranlassten sie, 1965
nach Wien zurückzukehren. Hier schrieb sie für die Zeitung der
Eisenbahnergewerkschaft, wurde, wie in ihren Jahren vor dem Exil,
als Lehrerin und Ausbildnerin tätig, diesmal für den ÖGB, und
versuchte, ihre Schreibprojekte zu verwirklichen: eine Autobio¬
grafie, ein Buch über Franz Schubert, die deutsche Fassung ihrer
Kulturgeschichte Wiens und die Veröffentlichung in Buchform
ihres Romans Telefönica. Doch konnte sie keines dieser Projekte
zu Ende bringen, schwerkrank starb sie am 1. Jänner 1973.

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Foto: Nachlass Ilsa Barea-Kulcsar, Unversitat Oxford.