Als 1943 klar wurde, dass der Krieg zugunsten der Alliierten
ausginge, drängte Eva Altmann ihre Eltern, sie wieder heimzuho¬
len. Mit den Söhnen von Peter und Lotte Smollett (vor dem Exil:
Smolka), guten Freunden ihrer Eltern, trat sie die Heimreise auf
einem Schiff nach Lissabon an. Hannah und Manfred Altmann
wohnten mit den Smolletts zusammen, nachdem in ihrem Gar¬
ten in Golders Green eine Bombe gefallen war, die jedoch nicht
explodierte. Wie sich spater herausstellte, arbeitete der Wiener
Journalist Peter Smollett sowohl ftir den britischen als auch fiir
den sowjetischen Geheimdienst und half Graham Greene bei
Recherchen fiir seinen Roman Der Dritte Mann.
Von Lissabon nahmen die Jugendlichen Ende Mai 1943 ein
Flugzeug der British Overseas Airways Corporation nach England
und landeten sicher. Als die Douglas-DC-3-194 das nachste Mal
am 1. Juni zum Einsatz kam, mit dem britischen Filmschauspieler
Leslie Howard und weiteren Insassen an Bord wurde sie von der
deutschen Luftwaffe über dem Golf von Biskaya abgeschossen.
Das deutsche Militär hatte, nach unterschiedlichen Theorien,
entweder Leslie Howard im Visier, der in Spanien und Portugal
für die Alliierten Stimmung machen sollte, oder vermutete gar
Winston Churchill selbst an Bord.
Eva Altmann war sehr glücklich über die Wiedervereinigung mit
ihren Eltern. Ihre Beziehung hatte durch die dreijährige Trennung
keinen Schaden genommen. Nach Abschluss des Gymnasiums
begann sie Medizin zu studieren. Ihre Mutter hat als Erste in
ihrer aus Ettlingen stammenden Familie bereits im Jahr 1920 ein
Medizinstudium in Deutschland abgeschlossen. Im Gegensatz
dazu war Frauen im Vereinigten Königreich der Zugang zu diesem
Studium fast gänzlich verwehrt. Erst im Jahr 1948 wurden die
medizinischen Fakultäten durch gesetzlich gezwungen, in jedem
Studienjahr zehn Prozent Frauen aufzunehmen.
Eva Altmann interessierte sich hauptsächlich für das öffentliche
Gesundheitswesen und spezialisierte sich auf Epidemiologie. Im
Laufe ihrer langen Karriere führte sie am Wolfson Institut für
Präventivmedizin zahlreiche Forschungsprojekte über zerebrale
Kinderlähmung und Down Syndrom durch und veröffentlichte
viele wissenschaftliche Beiträge.
Im Jahr 1954 traf Eva Altmann ein Schicksalsschlag, der in
seiner Härte dem Freitod von Stefan und Lotte Zweig um nichts
nachstand. Ihre Eltern Manfred und Hannah Altmann kamen
bei einem Verkehrsunfall im Schweizer Kanton Wallis zusammen
mit Franz Neumann ums Leben. Mit einem Schlag war die junge
Ärztin mit der Verwaltung des gesamten Nachlasses der Zweigs
konfrontiert, nachdem ihr Vater den Großteil des Besitzes der
Zweigs geerbt hatte. Bis in die Siebzigerjahre kümmerte sich der
Literaturwissenschaftler Richard Friedenthal, ein guter Freund
Stefan Zweigs, um den literarischen Nachlass. So brachte er z.B.
auch Zweigs Biografie von Honor de Balzac heraus. Danach
verkaufte Eva Altmann die Rechte an Zweigs Werken. Das Haus
in Bath hatte sie schon zuvor veräußert.
Ende der Fünfzigerjahre heiratete Eva Altmann den Chemiker
Ken Alberman. Zur Familie gesellten sich bald zwei Töchter und
zwei Söhne. Tatkräftig Unterstützung im Haushalt und bei der
Kindererziehung erhielt das Ehepaar von Martha Kahn, derälteren
Schwester von Eva Albermans Mutter. Tante Martha war nach
ihrer Emigration im Jahr 1935 ins Haus ihrer Eltern gezogen und
hatte auch für die Zweigs in Bath als Haushälterin gearbeitet.
Eva Alberman schenkte der Hebrew University of Jerusalem,
der State University of New York at Fredonia und der British Lib¬
rary unschätzbar wertvolle Zweig-Dokumente, Manuskripte und
Partituren. Den von Zweig erworbenen Beethoven-Schreibtisch
stellte sie dem Beethoven-Museum in Bonn als Leihgabe zur
Verfügung.
Vor zirka 15 Jahren entschloss sie sich zahlreiche private Briefe
zur Veröffentlichung freizugeben. Jahrelang hatte sie diese Briefe als
zu intim betrachtet, als dass sie diese einem breiten Lesepublikum
zugänglich machen wollte. Dutzende Briefe, die Stefan Zweigan
Lotte von seinen europäischen Reisen vor ihrer Eheschließung
schrieb, gab sie dem deutschen Zweig-Biografen Oliver Matu¬
schek, der sie unter dem Titel Ich wünschte, dass ich Ihnen ein
wenig fehlte 2013 bei S. Fischer herausbrachte. Sie wandte sich
an die Historiker Oliver Marshall und Darien Davis, zwei Spe¬
zialisten für brasilianische Geschichte, um Briefe aufzubereiten,
die Lotte und Stefan Zweig von 1940 bis 1942 aus Brasilien,
Argentinien und New York an Mitglieder der Familie Altmann
schrieben. Davis und Marshall brachten diese Briefe im Jahr 2010
als Sammelband beim US-amerikanischen Verlag Continuum
heraus. Die Zweigs hatten die Briefe auf Englisch verfasst, denn
in deutscher Form hätten sie die Aufmerksamkeit der Zensur
erregt. In diesen Briefen zeigt sich, wie schr sich die Zweigs bei
wichtigen Entscheidungsträgern in Portugal, Kuba und Brasilien
dafür einsetzten, anderen Menschen Transit- und Einreisevisa zu
verschaffen. In Rio de Janeiro, Buenos Aires und Montevideo hielt
Stefan Zweig Vorträge und wurde gemeinsam mit seiner Frau wie
ein Star gefeiert. Das Satzgefüge nimmt manchmal Staccato-Form
an; der Leser spürt, wie die Zweigs von Ort zu Ort hetzen, sich
jedoch immer aus der Ferne um das Wohl ihrer Nichte kümmern.
Zum ersten Mal in der Geschichte vernimmt man Lottes Stim¬
me klar und deutlich. Von Zweigs erster Gattin Friderike wurde
Lotte als farblose, ,,schweigsame Frau“ hingestellt. In den Briefen
erkennt man in ihr eine einfühlsame, selbstbewusste Frau, die sich