jedoch mit den alltäglichen Dingen des Lebens auseinandersetzen
muss, da sie Portugiesisch besser spricht als Stefan Zweig. Da
will sie der Köchin in den Tropen die Zubereitung von Stefan
Zweigs Lieblingsmehlspeise, der Linzertorte beibringen. Oder sie
muss ein Mittel suchen, den Hund Plucky von seinen Flöhen zu
befreien. Und immer wieder finden sich von tiefer Zuneigung
geprägte Briefe an die Schwägerin, die sie als Gesprächspartnerin
sehr vermisst.
Nachdem sich die Zweigs in Petröpolis in den Bergen über Rio
de Janeiro niedergelassen haben, scheint eine bleierne Schwere
auf ihnen zu lasten. Stefan Zweig beklagt sich immer wieder über
seine „schwarze Leber“ und Lotte leidet vermehrt unter Asthma¬
anfällen. In manchen Briefen ziehen die Zweigs in Erwägung, Eva
zu sich zu nehmen. Doch tun sie dies nicht, da sie dem Mädchen
das Erlernen einer neuen Sprache nicht zumuten wollen. Der
Leser kann sich nicht des Gedanken erwehren, dass die Zweigs
vielleicht nicht den Freitod gewählt hätten, wenn Eva Altmann
bei ihnen gewohnt hätte.
Ich hatte die große Ehre, Stefan and Lotte Zweigs South Ame¬
rican Letters ins Deutsche zu übersetzen und war somit vor die
einzigartige Aufgabe gestellt, Stefan und Lotte Zweigs englische
Worte auf Deutsch so klingen zu lassen, als hätten sie die Sch¬
reiben in ihrer Muttersprache verfasst. Die Lektüre von Stefan
Zweigs Briefen aus den Jahren vor der Reise nach Brasilien half
mir dabei sehr. Auch flocht ich immer wieder ein österreichisches
Wort wie „Rauchfang“, „Erdäpfel“ oder „Bub“ ein. Im Jahr 2017
erschien die deutsche Fassung bei Hentrich & Hentrich mithilfe
der freundlichen Unterstützung des österreichischen Zukunfts¬
fonds. Die Briefsammlung erschienen auch auf Portugiesisch bei
Versal, auf Französisch bei Grasset und auf Chinesisch bei Zheji¬
ang. Der Andante Verlag arbeitet an einer türkischen Version. Da
sich im Laufe der Zeit auch immer wieder neue Fakten auftaten,
überarbeiteten die Autoren bei jeder weiteren Übersetzung das
Manuskript. Sie ordneten Briefe neu oder schlossen weitere Briefe
mit ein, die ihnen Eva Alberman zur Verfügung gestellt hatte.
Leser werden die Briefe sowie Fakten aus der wissenschaftlichen
Aufbereitung an Maria Schraders Spielfilm „Vor der Morgenröte“
(2016) erinnern, für den sie gemeinsam mit Jan Schomburg das
Drehbuch schrieb. Schrader und Schomburg scheinen reichlich
Anleihen von den Briefkommentaren von Davis und Marshall zu
nehmen, leider ohne im Nachspann in irgendeiner Weise dafür
zu danken. Schade!
Vor ein paar Jahren startete Eva Alberman ein weiteres Zweig¬
Projekt. Sie ließ die Bibliothek von dem deutschen Wissenschaft¬
ler Stephan Matthias im Rahmen seines Dissertationsprojektes
aufarbeiten. Gemeinsam mit dem Stefan-Zweig-Experten Oliver
Matuschek brachte er das Buch Stefan Zweigs Bibliotheken 2018
heraus, das Einblick in die Buchsammlertätigkeit Stefan Zweigs
gibt.
Die Liebe zur Musik verband Stefan Zweig mit Manfred Alt¬
mann. Letzterer wäre gerne Musiker statt Mediziner geworden.
Drei seiner vier Enkelkinder verwirklichten seinen Traum. Eva
Albermans Tochter Deborah ist Violinistin, Tochter Catherine
ist Musiklehrerin, Sohn Daniel ist zweiter Geiger beim London
Symphony Orchestra. Auch Sohn David, von Beruf auf Menschen¬
rechte spezialisierter Anwalt, kann beim Musizieren gut mithalten.
In Eva Albermans Haus steht auch ein Bésendorfer-Fliigel aus
dem Nachlass von Stefan Zweig. Um diesen versammelt sich die
Alberman-Familie oft fiir Hauskonzerte. Sowohl Kinder als auch
Enkelkinder spielen mindestens zwei Instrumente. Musikerfreun¬
de aus aller Welt finden bei Eva Alberman ein voriibergehendes
Zuhause, wenn sie ein Engagement nach London führt.
So war denn auch die Feier anlässlich des 90. Geburtstags von
Eva Alberman musikalisch untermalt. Es kamen sogar Familien¬
mitglieder aus Ägypten und Israel angereist. Im Garten tummelten
sich die Gäste, lauschten den schönen Klängen und feierten die
noch sehr riistige Jubilarin. Für das Dessertbuffet hatte ein Cousin
sogar eine Linzertorte gebacken.
Ab 1912 wurde mit den Kursen Ilse Arlts in Wien erstmals eine
Ausbildung zur Fürsorgerin angeboten, weitere folgten. Nach der
Annexion Österreichs durch NS-Deutschland wurden private
Einrichtungen geschlossen, staatlich wurde ab diesem Zeitpunkt
zur sogenannten „Volkspflegerin“ ausgebildet. Zahlreiche Be¬
richte weisen darauf hin, dass als jüdisch geltende oder politisch
unliebsame Fürsorgerinnen unverzüglich entlassen wurden. Was
sich nun durchsetzte, waren Ideologie und Maßnahmen der na¬
tionalsozialistischen Volkswohlfahrt.
Während die meisten Berufsgruppen die Geschichte von Ent¬
rechtung, Verfolgung, Vertreibung und Ermordung bereits aufge¬
arbeitet haben, ist dies für die Berufsgruppe der FürsorgerInnen
noch ausständig. Ein einjähriges Forschungsprojekt an der FH
Campus Wien im Department Soziales, durchgeführt von Dr."
Irene Messinger und Thomas Wallerberger, widmet sich deshalb
der explorativen Erschließung von Biographien jener Fürsorge¬
rinnen, die vom NS-Regime verfolgt wurden.
Falls Sie als Leser oder Leserin dieser Zeitschrift von verfolgten
oder ermordeten Fürsorgerinnen wissen oder auch Personen ken¬
nen, die sich erst im Exil einer sozialarbeiterischen Ausbildung
bzw. Tätigkeit zuwandten, ersuchen wir Sie um eine Nachricht
an das Projektteam. Auf Wunsch können die Informationen
selbstverständlich vertraulich behandelt werden. Kontakt zum
Forschungsprojekt per E-Mail: irene.messinger@fh-campuswien.
ac.at und thomas.wallerberger@rutgers.edu oder postalisch an:
Dr.” Irene Messinger, Department Soziales, Favoritenstraße 226,
1100 Wien.