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Frankreich und Russland anders als in Deutschland. (RF 173)
Damit meint er wohl den Unterschied zwischen dem politischen
Nationalismus, dem die völkische Zugehörigkeit ziemlich gleich¬
gültig, und dem völkischen Nationalismus in Deutschland, wo
sie von entscheidender Bedeutung ist. Darauf geht Schroers gar
nicht ein. Stattdessen stellt er im nächsten Brief seine Freund¬
schaft mit Celan auf einen neuen und ganz schweren Prüfstand.
Indem er sich auf Carl Schmitts Freund-Feind-Unterscheidung
als Grundstruktur des Politischen beruft, stellt er im Brief vom
15. Januar 1960 seinem jüdischen Freund die Frage, ob er denn
an eine „duldsame Weise der Abwehr des Jüdischen“ glaube, die
dem Vergasen des Juden und der Absprechung seiner Existenz
nicht hoffnungslos verfallen wäre. Denn das wäre vielleicht kein
Antisemitismus mehr, meint Schroers. (RF 178) Auf diese Frage
reagiert Celan zunächst gar nicht mehr“, so dass sich zwei Monate
später Schroers bei Freunden beklagt: „leider muß ich schreiben,
daß Paul Celan offenbar mit mir gebrochen hat. [...] Ich hatte ihm
im Januar einen Brief geschrieben, dem er aus mir unbegreiflichen
Anlässen eine antisemitische Gesinnung unterstellt.“ (RF 559)
Man muss also annehmen, dass Schroers in aller Aufrichtigkeit
seine Frage nach der Möglichkeit einer „duldsamen Abwehr des
Jüdischen“ nicht als Antisemitismus verstanden wissen wollte.
Der Bruch ist aber noch nicht endgültig, denn am 17. März
1960 nimmt Celan endlich Stellung zu Schroers‘ merkwürdiger
Frage mit den Worten: „Ich kann in dieser ‚Frage‘ keine Frage
erblicken, ich sehe nur, was ich, nach so vielen Jahren der Freund¬
schaft geschrieben sche - von Deiner Hand.“ Schroers möge die
Nachdenklichkeit finden, die ihm derartige „Fragen“ durch Fragen
beantworten hilft. (RF 183) Celan will sich also gar nicht auf eine
Diskussion über Carl Schmitt und seinen Begriff des Politischen
einlassen, dem sein Freund aufgesessen ist.

Nun reagiert Schroers seinerseits gekränkt: Celan lehne feind¬
selig ihn und seine Art zu denken ab, scheue sich nicht, das unter
dem verletzenden Schlagwort des Antisemitismus zu tun, und er
habe außerdem keine Vorstellung von Carl Schmitt. (RF 184f.)

Carl Schmitt war gewiss kein Unbekannter für Paul Celan,
nur hatte er vom „Kronjuristen des Dritten Reiches“ eine andere
Vorstellung als Schroers, der nun den Verdacht schöpft, Celan
lehne seine Art zu denken ab, weil er eigentlich kein Jude sein
will: „Was ich nicht weiß, ist, ob Du Jude sein willst [...] Dann
habe ich Dich damit verletzt, daß ich dieses Nicht-Wollen nicht
respektierte.“ (RF 184) Damit rückt er seinen Freund erneut in
Jüngers Gestalt des „Zivilisationsjuden“, der vorgebe, kein Jude
zu sein und sich in dieser Gestalt unsichtbar gemacht habe. Allein
schon aus Solidarität mit den jüdischen Opfern steht Celan ganz
entschieden zu seiner jüdischen Herkunft, ansonsten ist er aber
schon wegen seiner „wohl unrettbaren Gott-losigkeit“ (Mikrolithen
101) sowieso nicht der Jude, wie ihn Schroers haben möchte. In
einem Brief an Siegfried Lenz vom 30. Januar 1962 erklärt er
z.B. „Schen Sie, Siegfried Lenz, ich bin Jude. Womit ich nicht
zuletzt sagen möchte, daß ich mich keineswegs für einen Vertre¬
ter des Judentums oder gar für dessen Anwalt halte.“ (GA 558,
Hervorhebung im Original) Eine andere Notiz Celans lautet:
„Repräsentanz, welcher Art immer, kann ich mir nicht arrogieren;
ich bin Jude und bin Autor deutscher Sprache.“ (Mikrolithen 121)
Gelegentlich nannte er sich „ein verspätetes Kind des alten Ös¬
terreich“ (PCM 185) oder auch „Ich angeböhmter Deutsch- und
Judenjude aus der Nordbukowina“. (Mikrolithen 57) Er ist ein
Jude, wie er auch ein deutscher Dichter ist, und dazu auch noch
ein Franzose, genauer: ein Bürger der Französischen Republik.

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(Mikrolithen 119) Und er sah sich von der Sprache her auch als
Deutscher, wie er im oben erwähnten Brief an Siegfried Lenz
erklärt: „Und bin mit dem Gelebten — auch das Geschriebene
gehört dazu — dorthin gegangen, wo ich, meiner Sprache nach,
immer war und immer zuhause bleibe: nach Deutschland.“ (GA
558, Hervorhebung im Original) In einer Notiz vom 24. Januar
1967 ärgert sich Celan über Enzensberger, der in einer Rezension
im Spiegel die Metapher „Zusammenbruch“ für die Niederlage
Deutschlands gebraucht hat, und setzt nach: „Ich: Diese Niederlage
war, für mich, der Sieg jenes Deutschlands, dem ich, auf meine,
mir eigene, Weise angehöre.“ (Mikrolithen 122, Hervorhebung
im Original) Und in einem der letzten Briefe an Schroers nimmt
er aus Anlass des gerade erschienenen Mandelstamm-Nachlasses
(„das Ergreifendste, das ich seit Jahren gelesen habe“) mit bei¬
ender Ironie auch noch „ein Russisches“ für sich in Anspruch:
„Ein Russe, das bin ich wohl auch, auf irgendeine Weise. Alles
Russische also! — Dein Paul“. (RF 221)

Celan wehre sich gegen Unterscheidungen und lehne ,,die
Unterscheidung eines Jüdischen vom Nichtjüdischen“ ab, stellt
Schroers an seinem jüdischen Freund fest. Er selber hingegen finde
es vermessen, nicht zu unterscheiden, ja, fast eine Hochstapelei,
denn indem er „ein Jüdisches“ zu unterscheiden versucht, will
er es erkennen. (RF 192) Den Juden sehen zu können, ganz im
Sinne Jüngers und Carl Schmitts, scheint ihm sehr wichtig. Es
steckt aber mehr dahinter. „Ist es nun erlaubt, ein Jüdisches zu
unterscheiden?“ — fragt Schroers rhetorisch und ergänzt: „Der
kleine Aufsatz, mit dem ich das unternahm, will etwas vom
Schicksalhaften aufzeigen, das hier gewollt und zugefügt war.
Das außergewöhnliche, verhängnisreiche Schicksal ist die wohl
einzig mögliche Definition des Begriffs überhaupt.“ (RF 191f.) Der
Völkermord an den europäischen Juden, eine Tat des politischen
Willens, geplant und durchgeführt von konkreten Tätern, wird
als ein Schicksal dargestellt, das die Juden heimgesucht hat, mit
dem Ergebnis, dass auf diese Weise das Schicksal gleichsam die
Täterschaft übernimmt, während die Täter unter der Hand zu
Vollstreckern des Schicksals mutieren. Ein Schicksal, das Schroers
dann auch noch als das Unterscheidungsmerkmal des Begriffs
des „Jüdischen“ erkannt haben will. Man könnte hier eine Ent¬
lastungsstrategie erkennen, zu der Schroers wohl das Bedürfnis
hatte. Es sind auf jeden Fall die Konsequenzen des völkischen
Denkens, dem sich Schroers in den Fußstapfen von Jünger und
Carl Schmitt verschrieben hat. Er steckt in den Begriffsfallen
dieses Denkens wie „Artgleichheit“, „Volk“ und „Schicksal“,
die ihn zu weiteren abstrusen Schlüssen führen. Zum Beispiel,
dass er, Schroers, als Deutscher, und nicht etwa als Individuum,
seinen „Schuldanteil an der letzten, grausamen Heimsuchung“
habe (RF 193), oder, wie er in seiner Schrift Juden ausführt, dass
konkret für die Deutschen das Schicksal heiße, schuld an sechs
Millionen ermordeten Juden zu sein. (RF 171) Auch heute noch
hört man deutsche Literaten und Politiker so palavern, indem sie
etwa „Auschwitz“ zum konstitutiven Bestandteil einer deutschen
„Identität“ erklären.

Fassen wir zusammen: Die Freundschaft zwischen Paul Celan
und Rolf Schroers zerbrach an einer Frage, die mehrfach als State¬
ment im Gedankengut Ernst Jüngers und Carl Schmitts belegt ist:
man muss den Juden sehen können, damit man ihn unterscheiden
und aus der eigentümlichen deutschen Gestalt ausscheiden kann.
Schroers greift für seine Frage das Vokabular dieses Ideologems auf,

als möchte er seinem jüdischen Freund vorführen, wie virulent