des ISAR II bei Ohu auf. Wir erinnerten uns der Einsätze gegen die
bayrische Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf in unserer
Jugend, das schließlich 1989 „aus wirtschaftlichen Gründen“ sagte
die Politik, „aufgegeben“ — wir sagten „wegen unseres Widerstands
verhindert“ -wurde.!’ Rundherum das größte zusammenhängende
Hopfenanbaugebiet Mitteleuropas. Wir bewunderten das weitläu¬
fige helle Gelb der Senfsaaten, einer effektiven Gründüngung für
Nachfolgesaaten. Nach Landshut folgten wir der Bundesstraße, den
vereinbarten Termin um 15 Uhram Eingang der Justizvollzugsanstalt
stets eingedenk.
Es war nicht leicht gewesen, die Erlaubnis für einen Besuch der
heutigen Justizvollzugsanstalt zu erhalten. Mehrere Mails hin und her
waren notwendig, zuletzt, um ihn auch der Autorin!! zu erméglichen:
„Vor allem möchte ich kurz in der Anstaltskapelle verweilen dürfen,
weil mir bewusst ist, wo Maria Etzer während ihrer Gefangenschaft
Trost und wohl auch etwas wie Bestärkung gefunden haben mag:
Meine Großmutter hatte 1943 bei ihrem Aufnahmeverfahren ins
‚Frauenzuchthaus‘ beim Thema Religion angekreuzt ‚praktizierend
katholisch‘ — und das ist wohl ein weiteres Indiz für ihre Dissidenz
zum NS-Staat: Sie hat auch in ärgster Bedrängnis ihren Glauben
und ihre Überzeugungen nicht verleugnet. An dieser Stelle ist mir
das Gedenken an meine Großmutter besonders wichtig.“
Die Anstaltsleitung;: „Derartige Besuche desumwehrten Bereichs der
Justizvollzugsanstalt Aichach können allerdings nur ausnahmsweise
gestattetwerden und müssen daher auf Angehörige der während der
NS-Zeit hier inhaftierten Personen beschränkt bleiben.“ Wir durften
sogarbeidehinein, aber an der Pforte war strenge Ausweispflicht und
ich hatte nur den Führerschein dabei. „Für normal“ ginge das nicht,
hieß es, aber wir wurden trotzdem abgeholt-von Herrn Meier, dem
Leiter der Anstalt, und einer Wachebeamtin, die uns geradewegs in
die Anstaltskirche brachten. Wir betraten diese von oben, also hinter
dem prunkvollen Hochaltar, an der Spitze eines ziemlich großen,
V-förmigen Raumes, der sich vor uns in zwei langen Flügeln nach
links und nach rechts öffnete. '?
Herr Meier erklärte uns, dass heute hier durchschnittlich 400
Frauen und 120 Männer inhaftiert seien. 1936 waren hier 761
Frauen inhaftiert, zur Zeit der Inhaftierung meiner Großmutter
an die 1900"; die Anzahl stieg bis zur Befreiung am 30. April 1945
auf 3100.'?
Beidensonntäglichen Gottesdiensten, die heute abwechselnd nach
evangelischem und katholischem Ritus abgehalten werden’, sitzen
die Männer im linken Flügel, die Frauen im rechten. In der NS-Zeit
saßen links die Gefängnisinsassinnen, rechts die Zuchthäuslerin¬
nen. Die Sitzreihen beider Flügel sind wie in einem Amphitheater
übereinander gebaut, und es gibt keine Verbindung zwischen den
Flügeln außer an der Spitze des V, wo sich der Altar befindet. Das
muss man sich einmal vorstellen: Die Insassinnen wurden zu den
Gottesdiensten durch die in „Gefängnis“ und „Zuchthaus“ getrenn¬
ten Eingänge ihres Flügels ganz hinten von oben eingelassen und
mussten dann über steile Holztreppen nach unten auffüllen. Jeder
Sitz war vom Nachbarsitz, vom Sitz dahinter und von dem davor
durch hölzerne Wände getrennt, wodurch die Kontaktaufnahme der
Häftlinge untereinander so gut wie unmöglich war und auch heute
wohl noch ist. Dasaßen sienun und die meisten mussten aufschauen,
die anderen weit hinüberschauen zur heiligen Handlung, denn der
Altar war dazumal ganzoben- aufder Höhe des Einlasses.'° Seit der
Liturgiereform und seit dergemeinsamen Nutzung des Kirchenraums
durch zwei Konfessionen steht den inhaftierten Gläubigen heute ein
Volksaltar aufgleicher Höhe gegenüber, also unten am Bodenniveau
und tief unter dem ursprünglichen Hochaltar.
„80 - 100 Gefangene beschneiden Gummiteile von
Gasmasken für die Wehrmacht.“ Mai 1944
Wir haben uns nicht von der Empore des Hochaltars fortbewegt.
Warum auch? Mir war es wichtig, für einen Moment die Situation
der Großmutter als Zuchthausgefangene nachzuempfinden. Wie
sie diesen Raum als’ Iröstung und Zuflucht vor der sonstalltäglichen
Foltermaschinerie erlebt haben muss. Hier prallte alles ab von ihr
— auch die Denunzierung des Nachbarn, der Verrat ihrer Töchter?
Ihre Verlassenheit an diesem Ort ist mir nicht nachvollziehbar. Ich
habe sie in meiner Jugend als bigott abgetan, und sogar ihren Beruf
habe ich gering geschätzt, denn so arm sie war, rechnete ich sie den
„Besitzern ihrer Produktionsmittel“ zu, also den Kapitalisten. Ich
habe mich von BesserwisserInnen und der Verwandtschaft aufs
Glatteis führen lassen, und so habe ich damals nicht widersprochen
als sie sagten, „dass sie wohl auch selber schuld gewesen seian ihrem
Unglück“. Wie blöd von mir!
Jetzt bin ich hier um ihr zu danken, dass sie sich dem NS-Un¬
rechtsstaat widersetzt hat. Sie wird sich mit ihrem Gebetbuch, eine
der wenigen Habstligkeiten, die sie beim Aufnahmeverfahren ins
Zuchthaus Aichach bei sich hatte’”, in eine der „Hühnersteigen“
gesetzt haben, um ein wenig Abstand zu erlangen vom brutalen,
eintönigen Zuchthausalltag: von der SchindereizwölfStunden täglich
in den Anlagen und am Bau, von der Enge in den Zellen und von
den Sekkaturen der Wärterinnen, die sie als „Franzosenliebchen“
verhöhnt haben.
Hat es etwas wie Solidarität unter den inhaftierten Frauen gegeben,
wenigstens unter den „Politischen“? Zwischen den Frauen desaktiven
Widerstands sind ja einige „Heldinnengeschichten“ überliefert, für
gewöhnlich aber waren sich ausgelieferte Opfer, nehme ich an, aus
mangelnder Möglichkeit zur Distanzierung spinnefeind. Meine
Großmutter aber hat eine Freundin gefunden in Aichach, die hat
ihr für die Ansuchen um Opferfürsorge nach dem Krieg auch eine
eidesstattliche Erklärung abgegeben. Sie war wiesieeine Bäuerin, aus
dem Weinviertel und eine „Politische“ wegen „Schwarzschlachten“.'*
Von meiner Erinnerungsarbeit erzählte ich später den zahlreichen
BesucherInnen im Evangelischen Pfarrzentrum im Anschluss an
Marias Vortrag über die Frauen des politischen Widerstandes. Das
Frauenforum Aichach-Friedberg hatte uns aufgrund ihres Buches
(s. Fußnote 8) eingeladen.'? Unsere Veranstaltung wurde in meh¬
reren lokalen Zeitungen schr gut beworben.” Ich hatte auch — wie
immer — meine kleine Vitrine dabei mit dem Strähn handgespon¬
nener Wolle von meiner Großmutter. Dinge der Erinnerung sind
unverzichtbare Anknüpfungspunkte.”!— Bei der anschließenden
Diskussion sagte ein chemaliger Wachebeamter der Justizanstalt,