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oder ein Nichts“, er hatte einfach einen „verbre¬
cherischen Willen“. Dies kam dem Hang der
Menschen der Nachkriegszeit zu verdrängen und
zu vergessen schr entgegen. Auch wenn Hans
Gisevius, ein Verschwörer des 20. Juli 1944,
1946 unter Eid bezeugte, dass der Attentäter
von München „ein tapferer kommunistischer
Einzelgänger“ gewesen sei und auch in den
Fünfzigerjahren journalistische Recherchen in
die gleiche Richtung gingen.

Hagedorny untersucht ausführlich den Ein¬
fluss des Protestantismus auf den Nationalso¬
zialiimus unter Einbeziehung des Theologen
Dietrich Bonhoefers, der, wie Georg Elser, am
9. April 1945 ermordet wurde. „Jedes Unter¬
nehmen, Hitler um sein Leben zu bringen, war
geradezu widernatürliches Terrain für einen
deutschen Protestanten.“ (S. 70). „Schon wegen
der Veranlagung zur Staatstreue im deutschen
Protestantismus war kein fundamentaler Wider¬
stand zu erwarten.“ (S. 71). Niemöller beharrte
bis zu seinem Tod auf seiner Version.

Einen Georg Elser dafür zu loben, dem Führer
ohne Auftrag und privilegierten „Zugang zum
Machthaber“ (Carl Schmitt) ans Leben gegangen
zu sein, hätte gleich zwei Lebenslügen protestanti¬
scher Subjekte denunziert: zum einen die vorma¬
lige, moralisch indifferente Unterwerfung unter
die ‚Vorsehung‘ Adolf Hitlers, zum anderen die
blühenden Mythen vom lähmenden ‚Befehlsnot¬
stand“ und ‚innerer Emigration‘, in denen sich die
überwältigende Mehrheit rückwirkend wähnte.
(S 57).

Auch die Veröffentlichung der Verhörproto¬
kolle im Jahr 1969 (Lothar Gruchmann und
Anton Hoch) hatte keine durchschlagende
Wirkung auf das öffentliche Bewusstsein. Das
Desinteresse an dem Hitlerattentäter hielt prak¬
tisch bis zum Ende des Kalten Krieges an. Hitler
blieb im Focus, dem die Verantwortungan den
Verbrechen zugeschoben wurde. Erst in den
1990er-Jahren änderte sich die Situation. Es
erschienen einige Biographien, die das verzerrte
Bild von Elser korrigierten. Elser wurde nun
gleichwertig mit Stauffenberg und seinen Mit¬
streitern gewürdigt, Denkmäler wurden errichtet
und Straßen nach ihm benannt. Dennoch blieb
das Interesse an ihm mäßig.

1999 trat Lothar Fritze, außerplanmäßiger
Professor in Chemnitz und wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Hanna-Arendt-Institut in Dres¬
den, mit einer scharfen Kritik an der Ehre, die
Elser erwiesen wird, auf den Plan. Die kon¬
krete Ausführung des Attentats wäre moralisch
fragwürdig gewesen, er habe die Tötung Un¬
schuldiger in Kauf genommen, zu denen Fritze
auch die NSDAP-Teilnehmer zählt. „Fritzes
Argumentation geht davon aus, dass ein Vorbild,
das einstmals tödliche Gewalt ausübte, mehr
als bloß eine legitime Absicht und die Risiko¬
bereitschaft gehabt haben müsse, um heute als
uneingeschränktes Vorbild gelten zu dürfen,“ (S
106). Zehn Jahre später bekräftigt Fritze seine
Meinung in einer Buchpublikation.'

Hagedorny geht weiters auf die berechtigte
Kritik an den RAF-“Attentätern“ ein. Elsers

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Verdikt über Hitler und die nationalsozialis¬
tische Führung lässt sich nicht in den Postna¬
zismus verlängern, da es zeit- und situations¬
gebunden war.

Laut Fritz Bauer lässt sich der aufvergesetzliche
Widerstand nicht rechtfertigen, solange die Men¬
schenrechte gewahrt werden, solange eine Möglich¬
keit zur Opposition besteht und einem Parlament
Gelegenheit zur Gesetzgebung gegeben ist, solange
unabhängige Gerichte walten und die Gewalten
geteilt sind. (S 116).

Abschließend geht Hagedorny auf Auswüchse
und Missverständnisse des Elser-Mythos ein.
Seit 2001 wird der Georg-Elser-Preis verliehen.
Durch die Übertragung von Elsers Tat in die
Gegenwart wird, wie man inzwischen eingese¬
hen hat, der Preis problematisch trotz der Be¬
schränkung „auf nicht zum Mittel der Tötung
greifenden Aktivisten“ (S 118). Beschämend
und entwürdigend war die Preisverleihung 2011
an Dietrich Wagner, der bei einem Polizeieinsatz
bei Protesten gegen Stuttgart 21 fast vollstänig
erblindete. In seiner Dankesrede spricht Wagner
vom drittschlimmsten Verbrechen der deutschen
Geschichte. Woraufhin Hella Steinbacher von
der Gerg-Elser-Initiative Wagner nur mit großer
Mühe stoppen konnte. Hier wurde Elsers Tat
aus dem historischen Kontext abgelöst und in
gewisser Weise missbraucht, wie Hagedorny
richtig bemerkt. Auch an der Gesamtschau der
„Gedenkstätte deutscher Widerstand“ übt Ha¬
gedorny Kritik. Sie vermittelt den Eindruck,
„es habe den deutschen Widerstand gegeben,
dem sich der Einzeltäter Elser angeschlossen
oder irgendwie verpflichtet gefühlt hätte“. (S
121f.) Hagedorny kommt schließlich zu dem
Schluss, dass Elser heute kein handlungsleiten¬
des und legitimierendes Vorbild sein kann. (S
123). „Die begeisterte Entdeckung von einem
aus Deutschland, der den Lauf des Nationalso¬
zialismus hätte verändern können, darf nicht
überdecken, dass Elser schlussendlich ein Opfer
des Nationalsozialismus geworden ist.“ (S 123).

Statt als märtyrerähnliche Ikone wäre Johann
Georg Elser der Jugend als Beispiel vorzustellen.
Zum einen als Beleg für die Reichweite eines Ein¬
zelnen, der aus seinen Begabungen und Mitteln
einen möglichst effizienten antinazistischen Wi¬
derstand geformt hat, zum anderen als Exempel
für die Macht und den Vernichtungswillen der
deutschen „Volksgemeinschaft‘, die neben dem Leib
von Georg Elser beinahe auch dessen Erinnerung
auszulöschen vermochte. (S 124).

Als Angehöriger der Enkelgeneration ist Hage¬
dorny, wenngleich ein Linker, eine unbefangeren
Sichtweise möglich. So kritisiert er nicht nur
die durch und durch untragbare Behandlung
Elsers in der Nachkriegszeit, sondern auch die
Einstellung der linken 68er-Generation, die sich
schließlich auf ‚ferne militante Volkstümler‘ wie
Mao und Che bezogen, aber auch Schäubles
Laudatio aus dem Jahr 2008: „Er [Elser] habe
‚eine im Nachhinein bezwingend klare Sicht auf
die politische Entwicklung‘ gehabt“. (S. 99).
Was schließlich doch wieder auf eine Exkul¬
pierung der Deutschen hinausläuft.

Obwohl leider nur in einem kleinen Verlag
erschienen ist, es ein wichtiges, kritisches und
mit interessanten historischen Details versehenes
Buch über die in Österreich weniger bekannte
Geschichte und Rezeption eines wahren Helden,
auch wenn Hagedorny ihn nicht als solchen
sehen möchte.

Abschließen möchte ich mit einer persönli¬
chen Bemerkung über den erwähnten Professer
an der Technischen Universität Chemnitz und
Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut. Wie
weit darf die Freiheit der Wissenschaft gehen?
Darf ein Professor in Büchern und Schriften
jemanden, der beinahe die größte Katastrophe
des 20. Jahrhunderts verhindert hat, in übelster
Weise moralisch diffamieren? Fritze ist wissen¬
schaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt¬
Institut für Totalitarismusforschung (!) und
schreibt 2009: „Die Bombe dieses Attentäters,
der heute von vielen für einen der größten
Deutschen gehalten wird, hätte eine massen¬
hafte Menschenvernichtung [!] zur Folge gehabt
- eine Katastrophe großen Ausmaßes.“ (Lothar
Fritze, Legitimer Widerstand? Der Fall Elser.
Berlin 2009. Hier zitiert nach Hagedorny S.
110). Fritze spricht von einem „schauderhaften
Blutbad“, „zerrissenen Leibern, zerquetschten
Köpfen,“, einem Akt „bestialischer Grausam¬
keit“. Wie ist es möglich, dass jemand angesichts
der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges und
der Ermordung der europäischen Juden so etwas
heute ungestraft schreiben und lehren darf? Den
Holocaust zu leugnen, ist verboten, aber im
Jahr 2009 nach jahrelangen Forschungen und
Diskussionen zu bedauern, dass das Attentat
„eine massenhafte Menschenvernichtung zur
Folge gehabt“ hätte - „eine Katastrophe großen
Ausmaßes“, fällt offenbar unter die Freiheit der
Wissenschaft. Hitlers Ermordung und die der
obersten nationalsozialistischen Elite moralisch
verwerflich zu finden und sie als „bestialische
Grausamkeit“ zu bezeichnen, fällt unter die
Freiheit der Wissenschaft. Selbst wenn es sich
erschreckenderweise so verhält (Herr Fritze wird
sich hüten, etwas zu äußern, was strafbar ist), ist
es unbegreiflich, dass ausgerechnet so jemanden
das Hannah-Arendt-Institut als wissenschaftli¬
chen Mitarbeiter duldet. Das ist eine Schande
für das Institut.

Claudia Erdheim

Matheus Hagedorny: Georg Elser in Deutschland.
Freiburg: ca ira 2019. 136 5. € 12,¬