Dabei nimmt sich Zur Mühlen kein Blatt vor
den Mund, wie der ebenfalls in die Edition auf¬
genommene, 1933 in der „Arbeiter-Zeitung“
abgedruckte Briefwechsel zwischen dem Stutt¬
garter Engelhorn Verlag und der Autorin zeigt,
in dem sie die Aufforderung des Verlags, sich
von der Exilzeitschrift „Neue Deutsche Blätter“
zu distanzieren, mit klaren Worten zurückweist
— laut Weinzierl ein „programmatischer Text“
für die Literatur Zur Mühlens.
Aus ihrem umfangreichen Romanwerk, zu
dem auch Kriminalromane zählen, hat der
Herausgeber dementsprechend vornehmlich
jene Werke ausgewählt, die den politischen und
moralischen Anspruch, den die engagierte Au¬
torin an Literatur stellte, ihren Glauben an die
kämpferische Kraft des geschriebenen Wortes,
deutlich bezeugen. Neben ihrem Erstingsroman
»Der Tempel“ (1922; Band 1) sind dies „Unsere
Töchter, die Nazinen“, 1934 im österreichischen
Exil verfasst und im selben Jahr als Vorabdruck
in der saarländischen Zeitung „Deutsche Frei¬
heit“ erschienen (in Buchform 1935 im Wiener
Gsur-Verlag), und „Als der Fremde kam“, dessen
Konzeption in die tschechoslowakische Exilzeit
zurückreicht, den die Autorin jedoch erst in
London zu schreiben begann und 1946 zunächst
als „Come the Stranger“ auf Englisch veröf¬
fentlichen konnte, bis dann 1947 die deutsche
Publikation im Wiener Globus-Verlag folgte
(Band 2, Romane). Hier, wie auch in anderen,
in der Edition leider nicht abgedruckten Ro¬
manen wie „Ewiges Schattenspiel“, der bis zur
Revolution von 1848 reichende erste Teil der als
Trilogie geplanten Familien-Saga über die Fami¬
lie Herdegen, sind es die Leben und Schicksale
von Frauen, die die Autorin besonders interes¬
sieren, die weibliche Erfahrung von Exil und
Fremdheit wird in ihnen genauso thematisiert
wie Frauenfiguren, die aus christlicher, humanis¬
tischer und antifaschistischer Überzeugung dem
Nazi-Terror widerstehen, aber auch Frauen, die
zu Anhängerinnen des Systems werden. Diese
antifaschistischen Romane sind bedrückende
literarische Zeugnisse der Ausbreitung der na¬
tionalsozialistischen Ideologie, zeigen aber in
ihrer formalen Konzeption auch Zur Mühlens
Modernität als Schriftstellerin.
T4: Die harmlose Abkürzung stand für Mas¬
senmord. Um das deutsche Volk von „unnüt¬
zen Essern“ zu befreien, ließen die Nazis geistig
und körperlich Behinderte systematisch töten.
Zwecks Täuschung der Angehörigen wurden
natürliche Todesursachen erfunden. Die Be¬
völkerung ahnte zwar die Wahrheit, doch kaum
jemand wagte zu protestieren. Es gab aber Aus¬
nahmen. Der Bischof von Münster, Clemens
August Graf von Galen, prangerte das Verbre¬
chen in seinen Predigten an. In Salzburg leis¬
tete die Vinzentinerin Anna Bertha Königsegg
Widerstand. In mehreren Briefen bat sie die
Behörden, vom Abtransport der in Schernberg
im Salzburger Pongau untergebrachten Behin¬
derten Abstand zu nehmen. Sie schlug sogar
vor, ihre Schützlinge auf Kosten des Ordens
zu versorgen, um den Staat nicht zu belasten.
Ihren Mitschwestern gebot sie, keinesfalls mit
den Nazischergen zu kooperieren. Es nützte alles
nichts. Anna Bertha kam ins Gefängnis, das sie
ironisch „Grand-Hotel Polizei“ nannte. Da sich
einflussreiche Verwandte für sie einsetzten, wur¬
de sie nach ein paar Wochen entlassen, musste
aber ihre Tätigkeit aufgeben und wurde nach
Baden-Württemberg auf das Gut ihrer Familie
verbannt. Der Orden wurde enteignet. Nach
Kriegsende kehrte Königsegg nach Salzburg
zurück und arbeitete wieder als Visitatorin der
Vinzentinerinnen, die heute als Gemeinschaft
der Barmherzigen Schwestern bekannt sind.
Sie starb 1948.
Anna Berthas Briefe, die in dieser Biographie
ausführlich zitiert werden, zeugen von Gottver¬
trauen und Nächstenliebe, von Mut und Hu¬
mor. Dagegen fällt der Text der beiden Autoren
deutlich ab. Es gelingt ihnen zwar recht gut,
Pünktlich zum 80. Jahrestag des Attentats Georg
Elsers auf Adolf Hitler am 8. November 1939
ist das Buch des jungen Philosophen und His¬
torikers Matheus Hagedorny erschienen. In Ös¬
terreich ist das Attentat des Schreiners Elser im
Vergleich zu den Heldentaten um Stauffenberg
und der Geschwistern Scholl wenig bekannt,
allenfalls durch den Film-Ihriller von 1989
mit Klaus Maria Brandauer. Der Schreiner und
Kommunist Georg Elser verübte ganz allein,
ohne jegliche Unterstützung einer Widerstands¬
gruppe, an dem Abend, an dem Hitler und seine
Entourage des gescheiterten Putsches von 1923
im Bürgerbräukeller gedachten, ein Sprengstoff¬
attentat, bei dem acht Menschen getötet und 63
verletzt wurden. Hitler aber entkam, da er 13
Minuten früher als geplant den Saal verlassen
hatte. Die offizielle Version des Hitler-Regimes
war, dass der britische Geheimdienst hinter dem
Attentat stecke. Die Hitlergegner gingen von
einer Propagandainszenierung aus.
Im Folgenden beschreibt Hagedorny die Re¬
aktionen auf das Attentat und dessen Wirkung
von Kriegsende bis heute. Bei seiner Analyse der
Haltung der Kommunisten zum Attentat zitiert
Hagedorny das wenig bekannte Telegramm der
sowjetischen Regierung vom 11.11.1939 an
den deutschen Botschafter in Moskau: ,,Die
sowjetische Regierung driickt ihr Bedauern und
ihre Entrüstung über den ruchlosen Anschlag
Dass Hermynia Zur Mühlens schriftstelleri¬
sches Werk auch (oder gerade) in unseren Zei¬
ten noch, um mit ihren Worten zu sprechen,
„lebendig“ ist, davon kann man sich dank der
vorliegenden Edition einmal mehr überzeugen.
Es bleibt demnach immer noch Karl-Markus
Gauß zu zitieren, der im Nachwort zur 1994
erschienenen Neuausgabe von „Als der Frem¬
de kam“ fordert, dass „was diese unbeugsame
und mutige Frau, was diese originelle und kluge
Schriftstellerin vor allem verdiente, sind Leserin¬
nen und Leser, die ihr längst vergriffenes Werk in
neuen Ausgaben kennenlernen.“ (Karl-Markus
Gauß: Nachwort. In: Als der Fremde kam.
Wien: promedia 1994, S. 299)
Corina Prochazka
Hermynia Zur Mühlen: Werke. 4 Bände im Schu¬
ber. Herausgegeben von Ulrich Weinzierl. Mit ei¬
nem Essay von Felicitas Hoppe. Im Auftrag der
Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
und der Wüstenrot Stiftung. Wien: Paul Zsolnay
Verlag 2019. 2581 S. _ 50,40 (Bibliothek Wüs¬
tenrot Stiftung. Autorinnen des 20. Jahrhunderts).
Episoden szenisch lebendig zu gestalten, doch
es fehlt ihnen der Zugang zur tiefen Religiosität
ihrer Heldin. Ärgerlich ist, dass der Verlag am
Lektorat gespart hat, sonst gäbe es nicht so viele
Tippfehler und manch sprachliche Unbehol¬
fenheit. — Trotz der genannten Schwächen ein
wichtiges Buch zur Erinnerung an eine tapfere
Frau, der ihr christlicher Glaube die Kraft zum
Widerstand gab und die beim letztlich erfolg¬
losen Versuch, Wehrlose zu retten, ihr eigenes
Leben aufs Spiel setzte.
Renate Langer
Kurt und Elisabeth Leininger: Grüße aus dem
Grandhotel Polizei. Eine Ordensschwester leistet
Widerstand. Salzburg: Edition Tandem 2019.
2205. € 18,50
von München, ihre Freude über die glückliche
Errettung Adolf Hitlers aus der Lebensgefahr
und ihr Beileid für die Opfer des Attentats aus.“
Hinter dieser Tatsache steht zunächst, dass die
KPD gegen den „Tyrannenmord“ war, wie es
Rosa Luxemburg und der exkommunizierte Leo
Trotzki vorgaben. Entscheidender jedoch war
der Hitler-Stalin-Pakt, der eine Unterstützung
von Elsers Attentat unmöglich machte.
Nach dem Krieg war es insbesondere der
protestantische Pfarrer Martin Niemöller, der
kein gutes Haar an Elser ließ. Er verbreitete
das diffamierende Gerücht, Elser sei SS-Un¬
terscharführer gewesen, das Attentat von den
Nazis inszeniert, Elser sei „nicht einmal eine Null