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einen friedlichen Weg zum Sozialismus statt
der Eroberung der Macht mit Gewehren und
Kanonen diskutiert; da bemerkten die neugie¬
rigen Kinder, die dort beschützt und gebor¬
gen aufgewachsen waren, früher oder später,
dass hinter dem Burggraben nicht nur Feinde
lebten, sondern auch Menschen, die in man¬
chem anderer Meinung waren, mit denen sie
aber dennoch so manches gemeinsam machen
konnten. Die Borodajkewycz-Demonstration
(1965) war der erste Schritt, der die Kinder
der Rückkehr aus ihrer politischen Isolation
herausführte (S.53). Und trotz anfänglicher
Ausgrenzung und Benachteiligung, trotz ihrer
anfänglichen „Außenseiter-(Feind-)Position“
konnten sie unter Kreisky Karriere machen — mit
dem Nachlassen des Kalten Krieges gelang es
den Kinderjausen-Kindern und -Enkelkindern,
mehr oder weniger gut, sich in die Mehrheits¬
gesellschaft zu integrieren. Mir scheint, mit
dem Aufweichen der Front fiel es den Kindern
leichter als ihren Eltern, auch außerhalb der
schützenden Festung zu leben.

Die Meisten traten dann nach 1968 aus der
KPÖ aus, oder wurden ausgeschlossen (S. 15
und 217); wenige blieben der Partei treu.

Ich vermute, kann es jedoch nicht belegen,
dass es auch in der KPÖ die Kinder derer,
die mehr sozioökonomisches Kapital erbten,
weiter brachten als die von Haus aus weniger
Privilegierten. Was wurde aus den Kindern,
die von Zuhause weniger mitbekamen als die
hier Interviewten?

Hier muss noch angemerkt werden, dass in
dieser Zeit dank Herta Firnberg und Genoss¬
Innen auch mehr Kinder aus bildungsfernen
Schichten studieren konnten, dass es heute in
Österreich mehr AkademikerInnen gibt als zu
Zeiten unserer Eltern und Großeltern.

In der österreichischen Arbeiterbewegung gibt
es, höre ich, seit 1888 Differenzen zwischen
ProletarierInnen und Intellektuellen, so auch
in der FÖJ:

Die einen haben sich irgendwie ein bisschen
verfolgt gefühlt, haben dauernd geglaubt, dass
die anderen antisemitisch und antiintellektuell
sind, und die anderen haben geglaubt, die sind
überheblich und stehen über uns Arbeiterkindern
... (S. 175)

In Kapitel drei von Die „Kinderjause“ und ihr
politischer Hintergrund zählt Ernst Berger die
Freundeskreise der Eltern — die Elite der Partei
— auf, und auf die Eliten gerichtet scheint mir
auch die Auswahl der InterviewpartnerInnen
zu sein. Die Kinder der kommunistischen
ArbeiterInnen-Betriebsräte, welche auf eine
Karriere, auf die Übernahme ins Angestellten¬
verhältnis verzichteten, um weiter als Arbeiter¬
Innen-Betriebsräte ihre KollegInnen vertreten
zu können, - sind auch sie „vom Rand in die

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Mitte“ gekommen? Sie kommen in dieser Studie
jedenfalls nicht vor.

Vielleicht kommen zu den „Kinderjausen“ vor
allem diejenigen, die, inzwischen in Pension, auf
ihr erfolgreiches Leben zurückblicken, und die,
die da keine Erfolgsstorys zu erzählen haben,
kommen nicht, und deshalb konnte aus der
Basispopulation keine repräsentativere Stich¬
probe gewonnen werden.
AlleinerzieherInnen und ihre Kinder waren
nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch
innerhalb der marginalisierten Partei margi¬
nalisiert; die Kinder von AlleinerzieherInnen
sind, so scheint’s, auch in der „Kinderjause“
marginalisiert.

So bleibt, trotz vieler bereichernder Erkennt¬
nisse, bei der Rezensentin eine Unzufriedenheit
zurück.

Ich wünschte, es käme ein zweiter Band heraus,
wo die Kinder zur Sprache kommen, deren
(Stief-) Eltern aus welchen Gründen auch im¬
mer, keinen großen Wert auf Bildung legten;
Kinder, die ihre Eltern nicht emotionsarm in
Erinnerung haben; Kinder, für die die Folter
eines Elternteils durch deren nächtliche Albträu¬
me und Schreie sehr präsent war; Kinder aus
Familien, in denen darüber gesprochen wurde;
Kinder, deren Eltern den Druck der Verfolgung
nicht aushielten und nach der Befreiung in den
Freitod flüchteten — wie diese, auch wenn sie von
Genossen ihrer Eltern unterstützt wurden, ihr
Leben meisterten, ist nicht Gegenstand dieser
Forschung; Kinder, die weniger resilient wa¬
ren und auf der Psychiatrie landeten, werden
nebenbei erwähnt:

Innerhalb der weiteren Gruppe (außerhalb des
Kreises der InterviewpartnerInnen) gab es ernst¬
hafte, lang dauernde psychische Erkrankungen
(S. 134) Es war und blieb nämlich der Aspekt
der positiven Lebensgestaltung im Vordergrund
unserer Betrachtung (S. 74).

Ich wünschte mir auch einen Platz für die Kin¬
der, die jetzt, am Ende ihres Lebens in De¬
pression verfallen. Für die Kinder der wenigen
KommunistInnen, die nicht „aufgeflogen“, von
der Gestapo verhaftet wurden, die in Österreich
im Untergrund überlebten, im Reichsarbeits¬
dienst, in Strafkompanien der Wehrmacht, im
Inquisitenspital (von Hartmann-Schwestern ge¬
pflegt), für die Kinder der Überlebenden der
„Mischlingsliga Wien“, die sich womöglich
von den aus dem Ausland Zurückgekehrten an
den Rand gedrängt fühlten‘; wo auch Kinder,
deren Eltern schon 1939, 1948, 1956 oder vor
1968 der KPÖ die Gefolgschaft verweigerten,
vorkommen, und Kinder von als TrotzkistInnen
oder als TitoistInnen von KommunistInnen
Verfolgten, und Kinder, die gegen ihre lini¬
entreuen Eltern rebellierten (die AutorInnen
fragen sich: „Wieso aber hat die Jugendgene¬
ration den gemeinsamen politischen Rahmen

nicht verlassen?“, S.161) Von den rebellischen
Kindern wissen sie nichts, weil sie in ihrem
Zufallssample nicht enthalten sind; die wurden
nicht befragt. Ebenso wenig die Kinder jener
Eltern, die ihre Kinder nicht in die Gemein¬
schaft der „demokratisch“ genannten „Massen“¬
Organisationen schickten.

Ich wünsche mir eine Fortsetzung, in der auch
ihre Geschichten für die Nachwelt aufgehoben
werden.

Ich danke allen Kindern von Zurückgekehr¬
ten, die in vielen Telefonaten, E-Mails und
Kaffeehaus-Runden ihre Geschichten erzählten.
Ich danke allen, die über diesen Text mit mir
geredet, ihn kritisiert, verbessert und ergänzt
haben, die diskutiert haben, was es heißt „in der
Mitte angekommen“ zu sein, sprich: es geschafft,
Erfolg gehabt, Karriere gemacht - seinen/ihren
Platz in der österreichischen — kapitalistischen
— Gesellschaft gefunden zu haben (S. 161).
Sozial gesichert zu sein, gebildet, sich miindlich
und schriftlich ausdrücken zu konnen... Wer
ist eine VerliererIn, AußenseiterIn, ein Loser?
Kämpfen wir hier und jetzt für eine „bessere,
neue Welt“ (S. 9)?

Elisabeth Fritsch

Ernst Berger, Ruth Wodak: Kinder der Rückkehr.
Geschichte einer marginalisierten Jugend. Wies¬
baden: Springer VS 2018. 333 S. ı 51,39

Anmerkungen

1 Vergleiche dazu als außenstehenden Zeugen: „Das über¬
proportional große Engagement von KommunistInnen
im antinazistischen Widerstand wird noch immer [2007]
totgeschwiegen und führte auch dazu, dass sich bis 1956
oder 1968 diese Partei zumindest in dieser Beziehung als
einzige glaubwürdige Alternative anbot.“ Peter Kreisky:
Linkssozialismus und „Neue Linke“. In: Raimund Löw
(Hg): Die Phantasie und die Macht. 1968 und danach,
Wien 2007, S. 348-380, hier Fußnote 15, S. 376; und
S. 357: „Die nach der nationalsozialistischen Vertreibung
und Vernichtung - im Vergleich zur Zwischenkriegszeit
— kleine überlebende oder zurückgekehrte Intelligenz
sammelte sich in den 1950er und frühen 1960er Jahren
im weiteren Umkreis oder innerhalb der KPÖ oder war
parteipolitisch heimatlos. Eine breitere Rückkehr von
geflüchteten Juden wie Nicht-Juden wurde in dieser Zeit
nahezu systematisch von ÖVP und der SPÖ-Führung
hintertrieben oder höchstens vereinzelt unterstützt. Der
Bund Sozialistischer Akademiker war von NS-Mitläufern
oder sonstigen karrierefixierten Akademikern dominiert
und hatte geringe intellektuelle Attraktivität ...“

2 Gerhard Sonnert, Gerald Holton: Was geschah mit
den Kindern? Erfolg und Trauma junger Flüchtlinge, die
von den Nationalsozialisten vertrieben wurden. Wien
2008, S. 217.

3 Eleonore Lappin-Eppel: Die „Mischlingsliga Wien“ —
Widerstandsgruppe und Jugendorganisatiion, in: Claudia
Kuretsidis-Haider, Christine Schindler (Hg.): Festschrift
für Winfried Garscha. Wien 2017, S. 141-164.

4 Otto Horn deutet das an in seinem Roman autobio¬

graphischen „Zeitzünder“. Wien: Globus Verlag 1972.