Albert Lichtblau ist Professor für Zeitgeschichte
und stellvertretender Leiter des Zentrums für
Jüdische Kulturgeschichte der Universität Salz¬
burg. Er studierte in Wien und war bis 1989
unter Herbert A. Strauss Mitarbeiter des Zent¬
rums fiir Antisemitismusforschung der Techni¬
schen Universitat Berlin. 1993 publizierte er mit
Michael John das Standardwerk Schmelztiegel
Wien- einst und jetzt. Bis 2003 sammelte Licht¬
blau als Mitarbeiter des Instituts für jüdische
Geschichte in St.Pölten in Zusammenarbeit
mit dem Leo Baeck Instituts New York jüdi¬
sche Erinnerungen. Aus diesem Bestand gab
er 1999 im Böhlau Verlag das Buch Als hätten
wir dazugehört. Österreichisch-jüdische Lebensge¬
schichten aus der Habsburgermonarchie heraus.
2006 war Lichtblau einer der Autoren des vom
St.Pöltner Institut im Rahmen der Buchreihe
Österreichische Geschichte im Ueberreuter Verlag
herausgegebenen Bandes Geschichte der Juden in
Österreich. Sein Kapitel über die Zeit von 1848
bis zur Gegenwart enthält auch einen Abschnitt
zur Kultur- und
Literaturgeschichte.
Im Rahmen der von Steven Spielberg gegrün¬
deten Shoah Foundation führte Lichtblau auch
zahlreiche Interviews, unter anderen mit Erich
Lessing und Simon Wiesenthal.
Anläßlich seiner Emeritierung erhielt Licht¬
blau nun eine beeindruckende Festschrift, die
nicht weniger als 44 Beiträge enthält. Von Karl
Müller von der Universität Salzburg kam der
Aufsatz Über die Zumutungen der Welt und Au¬
genblicke des Glücks. Zu einem Aspekt der Lyrik
Theodor Kramers (1897 — 1958). Die persén¬
lichste Erinnerung stammt von den beiden
Töchtern des Jubilars, Katharina Fest-Lichtblau
und Theresa Saxl-Lichtblau. Zahlreiche Kollegen
Die Geschichte der sogenannten Landjuden ist
in Österreich bisher vielfach unbeachtet und
unerforscht geblieben. Umso erfreulicher, dass
mit dem Sammelband Eine versunkene Welt das
frühere jüdische Leben in der Region Bucklige
Welt — Wechselland im südlichen Niederös¬
terreich in einer Anschaulichkeit rekonstruiert
wird, der durchaus eine Vorbildwirkung zu¬
kommen kann. In mehrjähriger Arbeit wurden
für alle Orte, in denen Jüdinnen und Juden
lebten, deren Lebensumstände erhoben und bis
zur Beraubung, Vertreibung und Ermordung
nachverfolgt.
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun¬
derts ermöglichte die spät gewährte Nieder¬
lassungsfreiheit Juden eine Zuwanderung, die
vorwiegend aus den jüdischen Gemeinden des
deutschsprachigen Westungarn erfolgte. Die
Bucklige Welt war zwischen den Sprengeln der
Kultusgemeinden von Wiener Neustadt und
Neunkirchen aufgeteilt; dem lokalen religiö¬
sen Leben dienten zwei Synagogen in Erlach
und Krumbach. Die soziale Bandbreite reich¬
te von Hausierern bis zu Industriellen. Der
am häufigsten ausgeübte Beruf war der eines
Gemischtwarenhändlers. Auffallend ist, dass
jüdische Männer um die Integration in die
örtlichen Gesellschaften vor allem durch akti¬
ves Engagement in der Freiwilligen Feuerwehr
bemüht waren. Temporäre jüdische Präsenz in
der Region gab es auch durch Sommerfrische
und Wintersport, besonders in Mönichkirchen
am Wechsel.
Über insgesamt 26 Orte werden die Geschich¬
ten in separaten Abschnitten von 21 AutorInnen
abgehandelt und durch einzigartige historische
Bildquellen bereichert.
In einem Schlusskapitel wird auf die aktuelle
Flüchtlingssituation und die Unterbringung der
betroffenen Menschen in der Buckligen Welt
seit den 1980er Jahren eingegangen.
Besonders bewegend und gut dokumentiert ist
das Schicksal mehrerer Generationen der Familie
Winkler aus Hochwolkersdorf. Martha Winkler
führte über ihre Flucht, auf der sie unfreiwillig
bis nach Mauritius gelangte, ein Tagebuch. Eine
befreundete Familie in Hochwolkersdorf machte
den Winklers Mut zur Wiederbegegnung. Auch
offizielle Erinnerungsgesten wie eine Gedenk¬
tafel trugen dazu bei, neue Brücken über die
alten Abgründe zu errichten, wenngleich das
eher Ausnahmen blieben: Auf welche Wider¬
stände und Anfeindungen eine Gedenktafel
für die Kaufmannsfamilie Daniel noch im Jahr
1990 stieß, zeigt der Beitrag über Kirchberg
am Wechsel.
In Kirchschlag in der Buckligen Welt präg¬
ten die beiden Kaufmannsfamilien Riegler und
Hönigsberg mehr als sieben Jahrzehnte lang das
jüdische Leben. Oskar Hönigsberg hat 1946 als
Überlebender in einem Brief nach Kirschschlag
das ausgedrückt, was damals wohl alle emp¬
funden haben werden, deren Lebensgrundlage
in der Region nach 1938 für künftige Zeiten
zerstört und eine Rückkehr verunmöglicht wur¬
de: ... ich glaube, Ihr könnt diese Schandtaten
gar nicht so erfassen wie wir vom Auslande aus.
Dabei habe ich die Urheber, Verantwortlichen
und Mitverantwortlichen dieser Scheußlichkeiten
immer vor Augen, so wie in Kirchschlag ein L[....],
Sl...) Pl...) Kl....] und Konsorten, glaube
mir, man kann darüber nicht so leicht hinwegkom¬
men. (S.143) Befremdend an dem Sammelband
wirkt der Umstand, dass an mehreren Stellen des
Buches die Täternamen anonymisiert wurden.
Als die Nationalsozialisten noch die Vertrei¬
bung forcierten, wurde 1939 am Hammer¬
hof bei Otterthal ein Lager der Jugend-Alijah
und Kolleginnen, Studenten und Studentinnen
blicken im Abschnitt Exkursionen mit Albert
Lichtblau von A bis Z zurück auf Reisen in die
USA, nach Israel und Afrika.
Im Vorwort schreibt der Rektor der Univer¬
sität Salzburg Heinrich Schmidinger, Lichtblau
habe „mit seinen umfangreichen Aktivitäten in
Forschung und Lehre und seinen wissenschaft¬
lichen Spezialgebieten wesentlich zur Profilbil¬
dung des Fachbereichs Geschichte beigetragen.“
E.A.
Regina Thumser-Wöhs, Martina Gugglberger,
Birgit Kirchmayr, Grazia Prontera, Thomas Spiel¬
büchler (Hg.): Außerordentliches. Festschrift für
Albert Lichtblau. Wien, Köln, Weimar: Böhlau
2019. 5125. € 78,¬
eingerichtet, in dem jüdische Jugendliche auf
ihre Ausreise nach Palästina vorbereitet wurden.
Vor allem Erlach war ein Zentrum wirtschaft¬
licher Tätigkeit im Bereich der Textilindustrie:
Leopold Abeles, Heinrich Chaimowicz und
Samuel Wolf betätigten sich als Unternehmer.
Die Familien des Weingroßhändlers Simon
Hacker, des Kaufmannes Max Hacker und des
Fleischhauers Max Brückner trugen vor Ort das
jüdische Gemeindeleben. Heute erinnert im
Kulturzentrum Hackerhaus in Bad Frlach die
Ausstellung „Mit ohne Juden“ an das zerstörte
jüdische Leben der Region.
In Trattenbach errichtete der Textilindustrielle
Isidor Mautner eine Weberei. Dessen Sohn Ste¬
phan (ein Bruder des Volksliedforschers Konrad
Mautner) fühlte sich der Gegend und ihren
Bewohnern emotional besonders verbunden,
widmete sich der Malerei und veröffentlichte
auch ein Buch über Trattenbach. 1939 flüchtete
er nach Ungarn, 1944 wurde er in Auschwitz
ermordet.
In Wiesmath war die Gemeinde Nutznießer
geraubter jüdischer Vermögenswerte. Das hin¬
derte den Gemeinderat nicht, in der Zweiten
Republik einen vorgeschlagenen Vergleich ab¬
zulehnen und gegen die „Juden Jaul und Reinin¬
ger“ (so die Diktion im Gemeinderatsprotokoll)
zu prozessieren. Es fügte sich in dieses Sittenbild,
dass der letztlich zu entrichtende Restitutionsbe¬
trag als „von den Juden verursachte Kosten“ dar¬
gestellt wurde, der das Gemeindebudget belaste.
In Pitten wurde der Sommerwohnsitz der
Familie Weiss von der NSDAP-Ortsgruppe
in Beschlag genommen. Anhand der Fluch¬
todyssee der Familienmitglieder wird auch auf
deren kulturelles und politisches Engagement
im kolumbianischen Exil eingegangen.
1938 lebten in der Region Bucklige Welt —
Wechselland 130 Jiidinnen und Juden, die in