Thimig den Jedermann zu inszenieren und dabei Neuerungen
plante, protestierte diese in einem Schreiben an das Unterrichts¬
ministerium unter Berufung auf Max Reinhardt.“ Es ging hier
mehr um die Frage des Besitzstandes, denn seitens der SF war
man ohnehin darauf bedacht, möglichst wenig zu ändern, um
eine „Enttäuschung“ beim „Salzburger Publikum“ und bei den
„ausländische[n] Stammgästen“ zu vermeiden.“ Lothar hielt sich
daran und es wurde zum offiziellen Standpunkt, dass die Inszenie¬
rung nur aufgefrischt werde und alles im Stile Reinhardts bleibe.“
Außer der alljährlichen Einrichtung des Jedermann inszenierte
Ernst Lothar in den folgenden Jahren Kabale und Liebe (1955),
Egmont (1956), Emilia Galotti (1957) sowie Juarez und Maximi¬
fan von Franz Werfel (1958), bis dahin das einzige bei den SF
aufgeführte Stück eines Exilautors, das allerdings bereits 1924
bei Paul Zsolnay erschienen war. Max Reinhardt hatte es 1925
am Theater in der Josefstadt herausgebracht.
In der Saison 1959 gab es mit der Uraufführung von Fritz Hoch¬
wälders Donnerstag einen Ausflug ins Gegenwärtige. Das Stück
trägt seine Salzburger Legitimation im Untertitel — Zin modernes
Mysterienspiel— und ist eine säkularisierte Teufelspaktgeschichte;
den Unterteufel Wondrak spielte Helmut Qualtinger. Hochwälder
war damals der erfolgreichste österreichische Dramatiker; weniger
bekannt war, dass er 1938 als jüdischer Flüchtling in die Schweiz
entkommen war und auch nach 1945 in seinem Exilland blieb.
Er hatte sich ausbedungen, dass Lothar mit dem Stück nichts zu
tun haben dürfe, denn er misstraute dem stets aufs Umschreiben
bedachten Schriftsteller-Regisseur.* Als er erfuhr, dass Lothar
die Abschrift seines Exposes gelesen hatte, wollte Hochwälder
die Uraufführung absagen.“ Für die Regie von Donnerstag, das
kein Erfolg wurde, war, im Einvernehmen mit Hochwalder, von
Beginn an Oscar Fritz Schuh festgelegt worden. Dieser war ab
1946 in Salzburg der Regisseur für die von Karl Böhm diri¬
gierten Opern. Mit Böhm hatte Schuh aber schon während des
NS-Regimes an der Wiener Staatsoper gearbeitet, an die er 1940
engagiert worden war. Schuh, der für Salzburg zunehmend den
Part des modernen Regisseurs übernahm, war bereits 1957 mit
Eugene O’Neills Fast ein Poet ins Fach des Theaterregisseurs der
SF gewechselt — Adrienne Gessner spielte die Nora Melody, Attila
Hörbiger ihren Ehemann Cornelius Melody.
Ernst Lothar, der die SF so oft als Paradies österreichischer
Kultur verklärte, schied im Unfrieden mit dem Direktorium.
Der Turm von Hugo von Hofmannsthal in der Felsenreitschu¬
le, 1959, sollte dort seine letzte Inszenierung werden. In diesen
Jahren spielten nur wenige Schauspielerinnen und Schauspieler,
die im Exil gewesen waren - im Turm etwa, neben Adrienne
Gessner in der kleinen Rolle einer Bauernfrau, Ernst Ginsberg
als König Basilius. Ginsberg hatte in Salzburg schon in anderen
Lothar-Inszenierungen gespielt, er war Ensemble-Mitglied des
Zürcher Schauspielhauses und sein Wiederauftritt in Deutschland
war erst 1952 erfolgt. 1960 inszenierte er selbst Molieres Tartuffe
und verkörperte die Titelrolle.
Ab 1960 war Ernst Haeusserman für den Bereich Schauspiel
verantwortlich, seine Verbindung mit Max Reinhardt im Exil
und seine Burgtheaterdirektion ab 1959 konnten als symbolische
wie strukturelle Voraussetzungen ftir diese Rolle gelten, zu der
ab 1973 die Regie des Jedermann gehörte. Biografisch mochte
manches an Lothar erinnern, dessen einstiger Schwiegersohn er
war, nicht zuletzt auch die frühere Funktion als amerikanischer
Kulturoffizier. Man wird bei ihm aber weder eine Nähe zur Li¬
teratur noch dauerhafte inhaltliche Positionierungen festmachen
können. Haeusserman, der ins Direktorium der SF berufen wurde,
agierte dabei stets freundlich und verbindlich, war hilfsbereit
und pflegte die Intrige. Er wurde gleichermaßen als Förderer wie
Verhinderer wahrgenommen, wirkte allmächtig und war zugleich
dienstbarer Geist, hatte in Wien und Salzburg die Leitung von
Theaterinstitutionen über und folgte bei den SF den Wünschen
Herbert von Karajans. Je nach Anlass konnte er Konventionalität
oder Neuerung vertreten.
Für die Jedermann-Regie war weiterhin eine Beziehung zu
Max Reinhardt ausschlaggebend, und wie nebenher spielte bio¬
grafisch das Exil eine Rolle. In der Folge inszenierten Wilhelm
Dieterle (1960), Co-Regisseur von Max Reinhardts Sommernachts¬
traum-Verfilmung von 1935, Max Reinhardts Sohn Gottfried
Reinhardt (1961 und 1962) und schließlich ab 1963 wieder
Helene Thimig. Dass ihr in dieser Funktion 1969 für einige Jahre
Leopold Lindtberg, der keine Reinhardt-Nahe hatte, nachfolgte,
wirkt wie ein Zwischenspiel. Lindtbergs Wiederkehr nach Salz¬
burg (vornehmlich fiir Goethes Faust I/I, 1961 und 1964)*°
bedeutete nicht die Uberwindung der Ressentiments gegen seine
Person. In einer Zeitungsattacke anlässlich seiner Inszenierung von
Nestroys Lumpazivagabundus (1962) — für die er gemeinsam mit
Georg Kereisler eine Bearbeitung erstellt hatte - wurde er erneut
als jemand gebrandmarkt, dem Österreich und Wien fremad seien.
Diese und andere in der Theaterkritik der Oberösterreichischen
Nachrichten platzierte Herabwürdigungen führten aufgrund einer
Klage Lindtbergs zu einem Gerichtsprozess.7
Ernst Haeusserman knüpfte Verbindungen in alle Richtungen,
er verkörperte geradezu eine Harmonie der Gegenwart, bei der
die jüngere Vergangenheit ausgeklammert blieb und die eine
Eintracht zwischen ehemaligen Verfolgten und ehemaligen Na¬
tionalsozialisten gewahrleistete. Auch in der Reinhardt-Verehrung
kooperierte der zurückgekehrte Exilant Haeusserman solcher¬
maßen mit dem ehemals führenden nationalsozialistischen Thea¬
terwissenschaftler Heinz Kindermann und ließ sich von diesem
sogar mit einer Dissertation über Max Reinhardts Theaterarbeit
in Amerika promovieren.“® Kindermann, 1945 seines Amtes ent¬
hoben und 1954 wieder auf einer Professur, hatte Reinhardt einst
mit antisemitischen Invektiven geschmäht®, sich dann jedoch
unter den gewandelten Bedingungen im Nachkriegsösterreich
damit genützt, dass er ihn stetig pries und durch Gründung ein¬
schlagiger Institutionen ehrte.
„Ich traf sie in Hollywood ...“, lautete der Titel eines Artikels,
der 1946 in der Salzburger Volkszeitung erschien.” Gezeichnet war
er von Ernst Haeusserman, der zu diesem Zeitpunkt bereits, wie
es im Vorspann hieß, als „Radio-Programm-Officer der ISB“ in
Österreich arbeitete. In dem Artikel ist vom „gewaltigen Exodus
nach 1938“ die Rede, beginnend mit Max Reinhardt werden
zahlreiche Iheaterleute und Musiker genannt. Viele von ihnen
waren vor 1938 bei den SF aufgetreten, aber nur wenige sollten
nach 1945 dorthin zurückkehren. Sie waren nicht mehr dabei,
und dass nach ihnen auch offiziell nicht gefragt wurde, gehört
zur Brutalität jener Lieblichkeit der festlichen Sommer. Die fort¬
wirkenden Ausschlüsse der Überlebenden und der Toten wurde
durch jene alljährlich ins Feierliche gesteigerte Vorspiegelung von
Normalität verdeckt. Ein hektisches Ineinander von Tradition und
Novität, zunehmend auch ein gemütliches Miteinander, im Land