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Traunstein in der sogenannten leidigen „Iep¬
pichschmuggelaffäre“ und ein Dankesbrief an
den Salzburger LH Dr. Rehrl. Dazu kommen
zwar bereits publizierte, jedoch schwer zugängli¬
che Texte zu Leben und Werk Haringers seit den
1930er Jahren bis nach 1945 (S. 244-292) — so
kann man etwa einen wohl aus dem Jahr 1930
stammenden Beitrag von Siegfried Freiberg aus
der Zeitschrift „Radio Wien“ und - zur Gänze
— jene unsägliche Stigmatisierung Haringers aus
der Feder eines E(berhard?) Wolfram aus den
„NS-Monatsheften“ vom Oktober 1936 nach¬
lesen, aus der Werner Amstad 1966 auch bereits
zitierte, ebenso wie Rudolf Felmayers Essay über
Haringer aus dem „Österreichischen Tagebuch“
(1947). Besonders wertvoll ist die Wiedergabe
des Faksimiles einiger der Haringerschen „Stun¬
denblättern“, wie Haringer seine „Einsiedelei“
(zwischen 1928 und 1933/34 erschienen)
nannte, und die — typisch Haringer und auch
einer literarischen Mode der Zeit entsprechend
— einen nochmals „anderen Haringer“ zeigen,
den an Orientalischem, Asiatischem, Siidsee¬
Pazifischem und Satirisch-Pamphlethaftem des
16. Jahrhunderts (Pierre de Ronsard, Mathurin
Régnier) Interessierten. Unerfindlich bleibt aller¬
dings, warum Braeg dieses Literatur-Faksimile
unter seinen sekundärliterarischen „Anhang“¬
Materialien einreiht und auch kein erläuterndes
analytisches Wort zu diesen besonderen Texten
verliert — so wie es auch zu fast allen anderen
Dichtungen Haringers im ganzen Buch kaum
erläuternde Kommentare gibt.

Schließlich bietet Braeg an zwei Stellen Biblio¬
graphien an, die aber sehr defizitar ausgefallen
sind und keinem halbwegs wissenschaftlichen
Standard genügen können bzw. weitere For¬
schungen erleichtern würden.

Der Haringer zugeneigte Leser wundert sich
nicht nur einmal, woher Braeg denn all sein
biographisches Detail-Wissen bezieht, das er in
seinem einführenden Abschnitt mit dem Titel
„Leben“ auf 80 Seiten ausbreitet. Schnell aber
macht die Re-Lektüre von Werner Amstads
Haringer-Dissertation „Leben und Werk“ aus
dem Jahre 1966 — entgegen der Behauptung
Braegs, sie wäre „leider nur in wenigen Archiven
[sic] zu finden“ (S. 13), ist sie praktisch in allen
Bibliotheken der BRD, Österreichs und der
Schweiz, oft mehrfach wie etwa in Salzburg,
vorhanden - vieles klar. Und man ist bass er¬
staunt, dass sich Braeg de facto an dieser bahn¬
brechenden, aus dem Haringer-Nachlass (Köniz/
Bern) erarbeiteten Biographie entlang arbeitet,
ja sich ihrer bedient — prekär bis hinein in fast
idente Formulierungen Amstads -, einer Arbeit,
die praktisch alle relevanten lebensgeschichtli¬
chen Aspekte Haringers ausreichend aufarbeitet
und — auf dieser Basis und im Gegensatz zu
Braeg — dariiber hinaus auch noch Haringers
Werk literarasthetisch wiirdigt (Gattungsfra¬
gen, sprachliche Form, Stilistik). Aber Braeg
ist fast ausschließlich vom im engeren Sinne
Biographischen seines Helden fasziniert und
weiß Amstads Basis-Arbeit nur durch einige

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letztlich nicht das Wesentliche ändernde bio¬
graphische Funde (aus seinen bereits erwähnten
Archiv-Recherchen) zu ergänzen. Peinlich und
nicht gerade vertrauenserweckend ist es über¬
dies, dass Braeg den Namen seines wichtigsten
Gewährsmannes Amstad systematisch falsch
schreibt, so wie dies auch bei Ortsnamen und
Buchtiteln geschieht - also fehlende Präzision.
Davon, dass das Lektorat „hervorragend“ gear¬
beitet hatte, wie Braeg behauptet, kann keine
Rede sein. Symptomatisch ist auch, dass Braeg
nicht einmal Friedemann Spickers wichtige
literaturgeschichtliche und literarasthetisch
ausgerichtete Arbeit zur „Deutschen Wande¬
rer-, Vagabunden- und Vagantenlyrik in den
Jahren 1910-1933. Wege zum Heil - Straßen
der Flucht“ aus dem Jahre 1976 zur Kenntnis
nimmt. Symptomatisch und bedenklich des¬
wegen, weil dies Braegs weitgehend fehlendes
Interesse am Literarisch-Ästhetischen seines Ge¬
genstandes und allem, was damit zu tun hat,
anzeigt. So bleiben etwa die mehr als spannende
und verwickelte Rezeptions- und Medienge¬
schichte dieses Werkes, Haringers literarische
Sozialisation (angedeutet in Haringers auch bei
Braeg wiedergegebenem Pamphlet ,,Leichen¬
haus der Literatur oder Goethe* 1929) oder
die literarischen Traditionen (z. B. Romantik,
Volksliedtradition, expressionistische Moderne,
Sprachexperimentierendes, „Neusachliches“)
sowie Genrefragen seines Schaffens und der Ha¬
bitus dieses Schriftstellers im Kontext der Zeiten
außen vor. Stattdessen erfährt man Äußerlichstes
oder es wird dazu überhaupt geschwiegen. Was
hätte der Dichter Haringer dazu gesagt? Selten
dringt die Darstellung von der Ausbreitung des
Biographistischen vor zur Erhellung poetischer
Widerspiegelung lebensgeschichtlicher Erfah¬
rung, etwa nur dann, wenn Braeg hier und dort
in seinen Fließtext einige Gedichte Haringers
einfügt.

Braegs Kapitel „Leben“ zeichnet sich an meh¬
reren Stellen durch eine Art unausgewogenem
„Kinde-mit-dem-Bade-Ausschütten“ aus. Dort,
wo mehr Information, ein Kommentar und
umfassendere Recherche gefragt wären, z. B. zu
vielen Biographien/Nachlässen von Freunden/
Bekannten im Umfeld des Spätexpressionis¬
mus oder hinsichtlich einer ANNO-Online¬
Recherche(AustriaN Newspapers Online), sind
diese defizitär oder der Leser/die Leserin wird
allein gelassen, und dort, wo es unnötig wäre,
weil Haringer — erstaunlicherweise — nicht
betroffen ist (z.B. Bücherverbrennungen seit
1933), werden zur Gänze alle „Feuersprüche“
der Deutschen Studentenschaft herzitiert und
schlichtweg vergessen, dass „Jacob Haringers
Sämtliche Werke“ auf der „Liste des schädlichen
und unerwünschten Schrifttums“ (Ausgabe 12.
Dezember 1938) der Reichsschrifttumskam¬
mer des NS-Regimes gestanden sind, was frei¬
lich besonders beklemmend ist, weil dies der
Vernichtungswille einer staatlichen Behörde
war. Ein Kommentar aber gerade dazu fehlt,
etwa über die Gründe, Inhalte und Ziele der

„Anordnung des Präsidenten der Reichskultur¬
kammer“ (1933).

Was die Auswahledition an Prosa und Lyrik
betrifft, die Braeg bietet, so ist diese sicher zu
begrüßen, aber man hätte vom Herausgeber
doch erwarten dürfen, dass man auch ein kla¬
res Wort zu den Auswahl-Kriterien und zur
Repräsentativität seiner Auswahl liest —- man
kann sie nur erraten. Zudem geht es nicht an,
dass man, was diese Lyrik-Auswahl betrifft, mit
dem pauschalen Hinweis auf einige Haringer¬
Ausgaben seit 1921 abgespeist wird, aber keine
verlässlichen Quellennachweise mitgeteilt be¬
kommt, ganz zu schweigen von etwaigen Kom¬
mentaren, wie es für jede kritische Leseausgabe
inzwischen zum Standard gehört. Und wie steht
es mit der Abfolge der wiedergegebenen Texte?
Da macht es sich einer einfach zu leicht — die
meisten der von Braeg wieder präsentierten
Gedichte finden sich bereits in den Auswahl¬
Editionen seit 1955 und sind m. E. leicht zu¬
gänglich. Was diese Lyrik-Auswahl betrifft, so
dürfte das Spezifische dieser Auswahl sein, dass
Braeg einen Schwerpunkt auf die Wiedergabe
von Gedichten legt, die Orte und Gegenden im
Titel tragen und in bisherigen Ausgaben nach
1945 nur selten enthalten sind, z.B. „Abend in
Salzburg“, „Braunau“, „Im Prater“, „In Prag“,
„Morgenspaziergang im Park zu Hellbrunn“,
„Mühle bei Anif“, „Münchner Hofbräuhaus“,
„Reichenhall“, „Salzburg/Sigmundplatz“, „Wan¬
derung über Gmain nach Salzburg“, „Wien“
— Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber Braeg
bietet auch Gedicht-Beispiele, die nicht zum
sprachlich Besten gehören, was Haringer zu
bieten hat. Sollte sich Braegs Geschmack auch
damit identifizieren? Das darf man nicht un¬
terstellen. Es mag auch mit dem unausgespro¬
chenen Gedanken zu tun haben, etwa neben
den gelungenen Kinder-, Abschieds- und Kla¬
geliedern, Augenblicks-Stimmungsbildern und
Glücks- und Verschmelzungs-Beschwörungen
auch noch die Manierismen spätexpressionisti¬
scher Sprachgebung zu vermitteln: „Mansarde
blökt nach jungen Himmelsleitern“, „Der Alchi¬
mist zerhurt Propheteneuter“, „Myrte /Verelfter
Schlafhand sommert schwangren Neid“ (Der
Jahrmarkt, S. 203). Der Rezensent ist geneigt,
denälteren Auswahl-Editionen etwa von Jürgen
Serke (1979) oder Hildemar Holl (1988) ob ih¬
rer Exemplarik noch immer mehr zu vertrauen.

Objektiv festzuhalten ist, dass im Bereich der
Prosa erfreulicherweise einige Texte — wohl
wiederentdeckt über ANNO (z.B. „Der Affe
als Heiratsvermittler“ 1936, „Nekrolog auf die
arme Dienstmagd Leopoldine Weiss“ 1936,
„Die Heimkehr“ 1936) — und zwei für die geis¬
tige Identität Haringers symptomatische, zwar
erneut 1982 und 1983/1996 wieder zugänglich
gemachte längere Texte Haringers („Das Räu¬
bermärchen“ 1925, „Leichenhaus der Literatur
oder über Goethe“ 1928) zur Verfügung gestellt
werden.