OCR Output

In der Zwischenzeit hat ein Zeitzeuge das Museum besucht.
Dr. Walter Thaler, heute Honorarkonsul von Südafrika, wurde
als Kleinkind von seiner Mutter, die täglich ihre Schwester be¬
suchte, die bei einem Bauern in der Nähe des Lagers wohnte, im
Kinderwagen an diesem Lager vorbeigeführt. Später erfuhr er von
ihr, dass sie den Kriegsgefangenen, vor allem in jenem Teil des
Lagers, in dem die russischen Soldaten gefangen gehalten wurden,
des Öfteren Brot zusteckte, wissend, dass sie damit Gefahr lief,
in einem Konzentrationslager zu landen. Dieser Mut dürfte im
Lager auch unter den französischen Gefangenen bekannt gewesen
sein, denn nach der Befreiung bekam die Mutter ein Blumen¬
bild des französischen Gefangenen H Ronsin als Geschenk, das
bei Walter Thaler über seinem Schreibtisch hängt. Ein weiteres
Beispiel, dass Kunst auch die grausamste Geschichte überlebt.
Ein anderes Geschenk ist leider verloren gegangen, berichtet Dr.
Thaler: „Als Kleinkind hatte ich ein sonderbares Spielzeug, ein

aus einem Stück Holz geschnitztes Pferd. Dies hat meine Mutter

Jad Turjman

von einem russischen Kriegsgefangenen als Dank fiir einen Laib
Schwarzbrot durch den Stacheldraht des STALAG XVIIIC zu¬
gesteckt bekommen.“

Die Anfrage an das historische Militärarchiv in Caen über den
Verbleib von Jean Paul Gazier läuft. Nun ist Warten angesagt.
Zum Glück heißt es heute nicht mehr „Und keiner schaut hin“.

Das Museum Kunst der Verlorenen Generation wurde im Oktober
2017 inmitten der Salzburger Altstadt in einem historischen Gebäu¬
de eröffnet. Die Räumlichkeiten von 300 qm Größe sind im ersten
Stock des um 1300 erbauten „Steinhauserhauses“ in der Sigmund¬
Haffner-Gasse 12 zu finden. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag
11:00 — 17:00 Uhr

Als gemeinniitzige Privatstiftung finanziert sich das Museum Kunst
der Verlorenen Generation weitgehend selbst, insbesondere durch

Spenden und die Eintritisgebühr (regulär € 10,-/ermäßigt € 5,-).

Man hört immer wieder die Forderung von Rechten und Kon¬
servativen, andere Sprachen als Deutsch auf dem Schulgelände zu
verbieten. Dass an den Schulen Deutsch nicht nur im Unterricht,
sondern auch vor und nach dem Unterricht und in der Pause
Pflichtsprache sein solle.

Ich war vor der Corona-Krise fast wöchentlich an verschiede¬
nen Schulen und bot dort die unterschiedlichsten Formate an:
Vorträge, Schreibwerkstätten, Lesungen und Workshops. Ich
wurde oft sowohl von Lehrer*innen als auch von Schüler*innen
mit dem Ihema Mehrsprachigkeit konfrontiert. Ich war mit un¬
endlich vielen Haltungen und gegensätzlichen Meinungen zu
dem Thema konfrontiert.

In erster Linie erlebe ich Lehrer*innen, die sich Sorgen um den
Unterrichtsverlauf machen, und deren hauptsächliches Ziel ist, dass
keine Schülerin, kein Schüler auf der Strecke bleibt. Als nächstes
erlebe ich gekränkte Schüler*innen, die Deutsch als Muttersprache
haben und sich immer wieder ausgeschlossen fühlen, wenn sich
ihre Mitschüler*innen in ihrer Anwesenheit in einer fremden
Sprache unterhalten. Schüler*innen, die mehrsprachig aufwachsen
oder Deutsch als Fremdsprache lernen, berichten mir hingegen
über ihren Missmut und das Gefühl, jemand versuche ihnen den
Mund zuzuhalten, so als wäre ihre Muttersprache eine Schande.
Natürlich gibt es diese Probleme an manchen Schulen mehr, an
anderen weniger, doch eine gewisse Stigmatisierung kann man
immer wieder auch außerhalb der Schule erleben.

Mir selbst ist dieses Problem ebenfalls nicht fremd. Ich habe
mich oft gescheut, in Österreich an mein Handy zu gehen, wenn
ich im Supermarkt war und meine Mutter mich anrief. Ich wollte
die skeptischen Blicke vermeiden, wenn ich Arabisch apreche.
Andererseits nervt es mich auch extrem, wenn ich mit meinen
kurdischen Freunden unterwegs bin und sie untereinander nur
Kurdisch reden. Oft nahm ich an deutschsprachigen Fachsemi¬
naren Teil und konnte nicht Schritt halten, weil ich viele Fach¬
begriffe nicht kannte.

Ich wurde oft gebeten, das Ihema in der Klasse anzusprechen
und meine Meinung dazu zu sagen. Doch genau das wollte ich
nicht tun. Ich konnte keine Aussage machen, die für alle fair wäre

und alle Faktoren umfasste. So versuchte ich, wenn Mehrspra¬
chigkeit zu einem Thema im Workshop wurde, die Schüler*innen
zu ermutigen, die Rollen zu tauschen und sich empathisch in die
Lage von anderen hineinzuversetzen.

So waren zum Beispiel Burak und Can der Meinung, dass es
nicht schlimm sei, in der Klasse etwas in ihrer Muttersprache
zu sagen. Ich habe ihnen zugestimmt und erklärt, dass dies von
der Situation abhänge und der Ton die Musik mache. Ich habe
den Rest der Klasse gefragt, ob es in Ordnung sei, wenn ich mit
Mohamad, der wie ich Arabisch spricht, kurz auf Arabisch rede.
Ich fing an, mich mit Mohamad zu unterhalten, und habe dabei
immer wieder Burak und Can anschaut, als würde ich über sie
reden. Im Nachhinein sagten die beiden: „Es war unangenehm.“

Thomas und Julia haben sich bestätigt gefühlt. Ich hatte sie
gebeten, sich noch einmal genauso leidenschaftlich über Ed Shee¬
rans letzten Auftritt zu unterhalten, wie sie das am Anfang der
Stunde getan hatten — nur diesmal auf Englisch. Das Feedback
war: „Wir konnten nicht so frei und fließend reden wie zuvor.“

Ich habe ihnen erzählt, dass es mir persönlich auch so geht.
Ich habe das Bedürfnis, über manche Sachen, besonders über
Emotionen, auf Arabisch zu reden. Aber ich vermeide es strikt,
Arabisch zu sprechen, wenn unter den Anwesenden jemand ist,
der diese Sprache nicht versteht, und wir ohnehin alle Deutsch
können. Es soll nicht um die Frage gehen, wer Recht oder Un¬
recht hat, sondern darum, wie wir respektvoll miteinander und
mit unseren Unterschieden umgehen.

Es war für mich klar, dass trotzdem eine konkrete Auseinan¬
dersetzung mit der Thematik erforderlich ist. Ich habe zuerst
den Schüler*innen zugehört und sie gefragt, wie sie die Sache
empfinden. Ich habe mit Liberalen, Konservativen, Expert*innen
und Lehrer*innen darüber geredet. Und vor allem habe ich mich
mit der wissenschaftlichen Sicht auf die gesamte Problematik
auseinandergesetzt.

Die wissenschaftliche Sicht ist eindeutig - nämlich, dass die Mut¬
tersprache von Kindern mit Migrations-, und Fluchthintergrund
eine entscheidende Rolle beim Erlernen der deutschen Sprache
spielt. Sie zu stärken, richtig zu lernen und beim Unterricht zu

Dezember 2020 35