Depression glaubte, dass es ihre Wohnung sei, öffnete sie das
Paket mit dem syrischen Kaffee, das du für besondere Anlässe
aufgehoben hast, und bereitete vier Tassen Kaffee zu, drei für sich
und eine für dich. Ohne Zucker, anders als du es magst. Vielleicht
versuchte sie, ihre Anwesenheit noch bitterer zu machen, sodass
du sie nicht ignorieren kannst, auch wenn du es versuchst.
Während du deinen bitteren Kaffee schlürfst, rufst du einen Fre¬
und an, um ihn einzuladen, sich mit dir die Zeit zu vertreiben.
Ihr sprecht über unterschiedliche Themen, die es dir ersparen,
mit deiner Depression zusammensitzen und den bitteren Kaffees
winken zu müssen. Es klappt, denn nach ein paar übermütigen
Lachern von euch wandern deine Augen durch das Zimmer, und
du siehst niemanden vor dir neben deinem Freund sitzen. Was dich
sehr erleichtert. Gewiss ist die Depression schr verärgert darüber,
dass du sie ignoriert hast, und hat sich in aller Stille davonges¬
chlichen, um aus deinem Leben zu verschwinden. Doch tief in
dir weißt du ganz genau, dass sie dich wieder überfallen wird,
ohne Vorwarnung, sodass du dich nicht auf ihre bedrückende
Anwesenheit vorbereiten kannst.
Dein Freund beschließt, zu gehen und dich nach diesem un¬
terhaltsamen Besuch, den ihr ganz spontan einrichten konntet,
allein zu lassen. Du begleitest ihn zur Tür, dankbar und froh
darüber, dass du durch die Einladung eines netten Gastes, der dir
Gesellschaft leistete, einen unangenehmen Gast losgeworden bist.
Doch kaum hast du die Tür hinter deinem Freund geschlossen
und bist wieder in dein Zimmer zurückgekehrt, ist die Depression
wieder da, hockt auf dem Sofa, mit dem gleichen strengen Blick.
Du setzt dich wieder vor sie und versuchst herauszubekommen,
ob sie deine Wohnung wirklich für einen Augenblick verlassen
oder sich nur unter dem Bett versteckt hat und dort auf der Lauer
lag, um im geeigneten Augenblick wieder aufzutauchen.
In der Nacht wälzt du dich im Bett und versuchst zu schlafen. Du
weißt nicht, ob der morgige Tag so schlimm werden wird wie der
heutige. Du verspürst ein Gefühl von Verlust der Kontrolle über
deine tägliche Routine angesichts dieser Depression, die so schwer
ist wie Honig, der sich zähflüssig auf deinem Arm ausbreitet, und
die genauso schmerzt wie wenn du versuchst, ihn abzuwischen.
Du wälzt dich nachts im Bett, ohne wirklich schlafen zu können.
Du weißt, dass du etwas tun musst. Du wartest und wartest, bis
du das Schnarchen deiner Depression auf dem Sofa vernimmst.
Elnara Zülfügarova
Asylleben. Zweiter Teil
Der erste Teil erschien in ZW Nr. 34/2020, S. 17-18.
Einige Tage nach Ferienbeginn ruft mich Anja an und sagt, dass
sie sich mit mir treffen möchte. Sie lädt mich zu sich nach Hause
ein. Das freut mich wirklich sehr. Mein Vater begleitet mich zum
Bahnhof. Ich liebe die “Montafoner Bahn”. Es macht mir immer
wieder Freude, mit dem Zug zu fahren, da ich das in Aserbaid¬
schan nie gemacht habe. Ich genieße es. Mittlerweile habe ich
die Haltestellen auswendig gelernt und zähle sie eine nach der
anderen auf, bevor es die Tonbandstimme tut. Manche Menschen
im Zug werden wohl denken, dass mit mir etwas nicht stimmt.
Es ist das Zeichen dafür, dass sie es sich bequem gemacht hat und
einen längeren Aufenthalt plant. Du stehst auf und tauschst ihre
dünnen Gummischlappen gegen Holzpantinen, du bestreichst das
Fußbett mit einer stark klebenden Masse, wie man es für Ratten¬
fallen benutzt, und steckst sie ihr schnell an ihre Füße, während
sie schnarchend in tiefem Schlaf liegt. Dann hebst du sie ganz
sachte wie ein Bündel Federn auf und legst sie auf die Schwelle
vor der Tür, schließt die Tür und gehst erleichtert wieder schlafen.
Am nächsten Tag schaust du durch dein Fenster nach draußen. Von
Zeit zu Zeit kommt es zu verschiedenen Filmszenen, während du
deinen mit Milchpulver gesüßten Kaffee trinkst. Du weißt nicht,
ob die Frau in der gegenüberliegenden Wohnung Selbstgespräche
führt oder ob sie mit jemandem spricht, der außerhalb deines
Blickfeldes sitzt. Du weißt auch nicht, ob der Wind heftig gegen
die Betonmauern vor dir schlägt oder sie sanft umspielt. Aber
du bist dir sicher, dass der Hund dieses Mal deine Depression
anbellt, die wie verrückt rennt und versucht, vor dem Klappern
ihrer neuen Holzpantinen wegzulaufen, das laut genug ist, um ihr
Kommen anzukündigen. So kannst du ihr aus dem Weg gehen,
ohne dich ständig umdrehen zu müssen, aus Angst, dass sie dich
von hinten überrascht.
Hamed Abboud. Geb. 1987 in Deir Ez-Zor, Syrien. Ende 2012
Flucht aus Syrien, nach Zwischenstationen in Ägypten, Dubai und
der Türkei kam er Ende 2014 in Österreich an. Öffentliche Lesever¬
anstaltungen seit 2005 in Syrien und Ägypten, seit Ende 2015 in der
Schweiz, in Deutschland und Österreich. Regelmäßige Veröffentlichun¬
gen von Texten in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften seit 2005
in Syrien und im Mittleren Osten. 2012 Veröffentlichung des ersten
Gedichtbands “Der Regen der ersten Wolke”. 2015 Nominierung für
und Verleihung des Jean-Jacques-Rousseau-Stipendiums der Akademie
Schloss Solitude, Stuttgart in Deutschland. 2017 Veröffentlichung des
zweiten Werks “Der Tod backt einen Geburtstagskuchen” in arabischer
und deutscher Sprache im schweizer Verlag pudelundpinscher (aus dem
Arabischen von Larissa Bender). Nominiert fiir den renommierten
“Internationalen Literaturpreis”, der vom Berliner “Haus der Kulturen
der Welt” vergeben wird. Veröffentlichte zuletzt: “In meinem Bart
versteckte Geschichten” (Wien: Edition Korrespondenzen 2019). Die
arabischen Texte wurden von Larissa Bender und Kerstin Wilsch ins
Deutsche übertragen.
Anja holt mich vom Bahnhof ab und wir gehen zu ihr nach
Hause. Ich begrüße ihre Mutter Cornelia und unterhalte mich
kurz mit ihr. Da sie Lehrerin ist, fragt sie mich, wie es mir im
Unterricht geht und sagt, dass ich mich melden soll, wenn ich
Hilfe brauche. Anja und ich gehen hinauf in Anjas Zimmer. Anja
hat ein sehr schönes Zimmer. Ich wünschte, ich hätte auch so
eines. Ich will nicht mehr wie eine Nomadin leben. Ich will, dass
wir für immer ein Zuhause haben.
Anja erzählt mir viel über das Montafon. Wir spielen einige
Spiele. Nach einiger Zeit kommt die Sprache auf ihre Freund¬
innen, und sie sagt mir, dass sie nicht mehr so gut mit ihnen ist.
So wie ich es verstehe, hat sie mit Lena immer noch Kontakt.