‘Theodor Wantoch, er wurde in China krank und starb in der
Provinz Henan. An diesem Abend erschien auch Ernst Hoch.
Sehr zum Missfallen der anderen versuchte er den Musikabend
zu einer prinzipiellen politischen Diskussion umzufunktionieren.
Ernst Hoch gehörte zu den „Ziel und Weg*-Studenten. Wantoch,
über Hochs Aktion erzürnt, erzählte davon in seinen Kreisen.
Die Parteizentrale reagierte rasch.
Die Ziel-und-Weg-Studenten, die meisten studierten Chemie
oder Medizin, waren damals vor allem im Kommunistischen
Jugendverbandes organisiert und Josef Lauscher unterstellt. Im
Kommunistischen Jugendverband waren ihre Ansichten bekannt
und wurden zunächst toleriert. Nach dem Kammermusikabend
wurde Ernst Hoch zunächst beurlaubt dann aber doch ausge¬
schlossen. Josef Lauscher verlor seine Funktion und wurde we¬
gen mangelnder Wachsamkeit gemaßregelt. Ich hab damals als
„blutiger Tschekist“ — meiner späteren Frau — sie war damals
im Studentenverband für die Technik verantwortlich — war die
Rolle, die ich damals gespielt habe, immer recht peinlich — im
Auftrag der Partei gehandelt und zum Beispiel den Bruder von
der Stella Kadmon, den Juristen Otto Kadmon, die Frau vom
Ultsch und eine gewisse Lola ausgeschlossen.
Im November 1937 waren an der Universität neue administra¬
tive Schikanen‘ geplant. Die Studenten empörten sich. Unsere
Gruppe war der Meinung, man sollte die Hochschülerschaft
in den Protest miteinbeziehen. Wir haben Flugzettel gestreut.
1937 waren wir noch nicht illegal. Es hat sich ein halblegales
Streikkomitee gebildet. Ich selbst war nicht in diesem Streikko¬
mitee. Sepp Lebersdorfer hat uns vertreten. Er, Siegfried Köhl
und Rudolf Scherbichler haben damals gemeinsam in einem
Untermietzimmer in der Wasagasse gewohnt. Außer uns waren
in dem Komitee natürlich auch Nazi, „die Waffenbrüder“ und
einige von der damals illegalen NSDAP. Aber es waren auch
Studenten dabei, die nicht direkt mit uns zu tun hatten, aber
auf der linken Seite standen, z.B. ein Mediziner mit dem Namen
Poddany. So wie sich die Aktion damals abgespielt hat, ergeben
sich fast Parallelen zu den jüngst vergangenen Ereignissen in Paris
(Vide: Datum des Interviews). Der Aufruf zum Streik, den das
Komitee ausgegeben hat, wurde aufallen Hochschulen befolgt,
auch dort, wo wir keinen Vertreter hatten. Sogar irgendeine
technische Mittelschule hat sich, wie wir erfahren haben, ange¬
schlossen. So zündend waren unsere Parolen. Der Höhepunkt
war die Straßendemonstration. Der Zug ging von der Uni bis
zur Kärntnerstraße.
Besonders interessant war ein Teil der Vorgeschichte: Der Vertreter
der Nazi erklärte auf einer Sitzung des Streikkomitees, er habe
die direkte Weisung von der NSDAP in der Teinfaltstraße — dort
saß damals die sogenannte illegale Leitung - , diese Studentenbe¬
wegung in nationale Bahnen zu lenken, also für ihre Nazisache
umzumodeln. Die Nazis hielten sich unter den Studenten dafür
stark genug. Die allgemeine Empörung über dieses Ansinnen
war bei den anderen Mitgliedern des Komitees groß. Aber „Die
Waftenbrüder“ und die farbentragenden Studenten blieben bei der
nationalen Linie. Der linksgerichtete Student Poddany erklärte:
„Wir haben genügend Verbindungen zur Arbeiterklasse. Wenn die
Nazistudenten versuchen, die allgemeine Aktion der Studenten
für ihre Ziele zu missbrauchen, dann werden sie es nicht mit den
Studenten, sondern mit der Arbeiterklasse zu tun bekommen!“
Der Nazivertreter, ich weiß nicht mehr, wie er geheißen hat — ob
es nicht der Spitzy? war? Er hat „Na ja, Na ja“ gesagt und dass
erin der Gauleitung berichten wird. Als er von der Gauleitung
zurückgekommen ist, hat er mitgeteilt, dass die Nazis das Pro¬
jekt fallen lassen. Trotzdem ist dann während der Kundgebung
auf der Ringstraße der Papen, damals Botschafter der Nazis in
Österreich, demonstrativ vorbeigefahren. Unsere Leute haben
gezittert, was passieren wird. Es ist aber nichts geschehen und
es ist den Nazis nicht gelungen, die Kundgebung für sich zu
vereinnahmen und das einige Monate vor dem Anschluss, als
sie praktisch schon legal waren.
Es klingt heute vielleicht unglaublich, dass es möglich war eine
solche Aktion gegen Nazi-Weisungen zu organisieren, genauso
wie die Tatsache, dass Juden und Nazis gemeinsam marschierten.
Man würde cher meinen, dass sie sich geprügelt hätten. Die Prü¬
geleien aber hörten mit dem Schuschnigg-Regime auf. Bis 1934
war die Universität autonom und daher polizeifrei. Daher hat
man sich geprügelt. Die Polizisten standen unten an den Stufen
und fingen die Verletzten auf. Es waren nicht einmal Österreicher,
die diese Prügeleien inszenierten, es war die deutsche NSDAP, die
regelmäßig Stoßtrupps schickte. Für sie war das kein bewusster
ideologischer Kampf gegen die Linken. Die Nazis sagten ganz
einfach: Alle Juden sind rot, alle Roten sind Juden.
An die letzte Prügelei erinnere ich mich noch ganz genau. Sie
war Anfang 1934° vor dem Anatomischen Institut. Ich glaube, es
war Jänner. Meist nach den Weihnachtsferien spielten sich solche
Szenen ab. Ich habe gesehen, dass es mulmig wird. „Komm,
gehen wir“ hab‘ ich gerufen!“
Wir sind zurück zum Josephinum. Aber wie wir zum Josephinum
gekommen sind, waren die Tore schon geschlossen. Sie haben
sie ganz einfach zugesperrt.
Das Josephinum, das heutige medizinhistorische Institut in der
Währingerstraße, war der Stützpunkt der illegalen Medizin¬
studenten, ein revolutionäres Zentrum. Dort war ein großer
Lesesaal mit primitiven Holzbänken. Dort haben wir gelernt,
besonders diejenigen unter uns, die sich ein Kaffeehaus nicht
leisten konnten. Im Lesesaal haben wir uns auch aus politischen
Gründen getroffen. In den Gängen zwischen Kisten und Öfen
haben wir nach 1934 unser Propagandamaterial versteckt, Ganze
Haufen voll, heute weiß ich nicht mehr, was das alles war. Es hat
ja zuerst verschiedene Gruppen gegeben. Kennengelernt habe ich
damals: Maria Szeczi, Wantoch, Ulf, Braude, Spira, Häuselmeier,
Christian Broda, Lenslikow, Popper.’
In den Anschlusstagen war ich das einzige Mal bei Ernst Bauer
zu Haus, auf dem Heuberg. Der Sigi, den wir wegen seiner Ähn¬
lichkeit zum Bundeskanzler und Frontführer der VF Schuschnigg
genannt haben, war auch dabei. Ich erinnere mich noch an das
kleine Häuserl, und dass wir dann von dort den späteren Han¬
delsminister Bock angerufen haben. Er hatte damals schon das
Studium beendet und war Propagandaleiter der Vaterländischen
Front. Und mit dem, hat es geheißen, kann man gut zusammen¬
arbeiten. Der Volksfrontgedanke war noch nicht ganz erloschen.
Ich habe das als äußerst bizarr empfunden, dass wir mitten in
der Illegalität solche legalen Verhandlungen pflegten.
Dass die Arbeiterschaft und die revolutionäre Vorhut, die die
Kommunisten damals waren, nicht versucht haben, einen Wi¬
derstandsherd zu bilden, das war ein Fehler. Aber es entsprach
der allgemeinen Stimmung: Man hat gesagt: „Wenn Schuschnigg
umfällt, kann man eben nichts machen, dann ist eben Schluss.