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in Griechenland anzukommen. Warum war dann dieses Kreuz
so wichtig gewesen? Vermutlich aus Respekt und im Andenken
an meinen Großvater.

Batumi

Mein Großvater Konstantinos Ayramidis war ebenfalls pontischer
Grieche, geboren 1885 im türkischen Trabesountion am Schwar¬
zen Meer. Er war großgewachsen, von athletischer Konstitution,
ein ausgesprochen gutaussehender junger Mann. Sein Vater, so
sagt man, war ein ziemlich genialer Schiffskonstrukteur, der
viel herumreiste und im Übrigen ein rechter Hallodri gewesen
sein dürfte, was seiner Frau viel Kummer bereitete. Großvater
jedenfalls war ein Mensch von hohem Verantwortungsgefühl
und Pflichtbewußtsein. Es gibt ein Foto aus dem Jahre 1908,
welches alle männlichen Bewohnern eines griechischen Dorfes
in der Türkei zeigt. In der oberen Ecke dieses Gruppenfotos ist
das Porträt meines damals noch jungen Großvaters eingefügt
worden. Er hatte ein Schiff gemietet und das gesamte Dorfin
das damals noch zaristische Georgien übersiedelt, wohin zwei
seiner Brüder bereits übersiedelt waren. Zu unserem großen Er¬
staunen erschien genau dieses Foto vor etwa 15 Jahren in einer
großen griechischen Tageszeitung, in einer Sonderausgabe zum
Gedenktag an den großen griechisch-türkischen Bevölkerungs¬
austausch von 1922-23. In welchem Archiv dieses Foto unseres
Großvaters aufgetaucht ist, weiß ich nicht. Jedenfalls ein Beleg
dafür, daß schon vor dem großen Bevölkerungsaustausch Teile
der griechischen Minderheit die Türkei verlassen haben.
Dezember 1917 kaufte mein Großvater ein Haus mit einem
großen Garten, direkt am Meer in Batumi in Georgien. Einige
Gassen weiter mietete er Werkstätten für seine Manufaktur, in
der Trenchcoats hergestellt wurden. Dieses Gebiet war nach der
bolschewistischen Revolution bis 1921 eine eigenständige demo¬
kratische Republik. Aus diesem Grund ist mein Großvater dorthin
gezogen. In seiner Heimat an der türkischen Schwarzmeerküste
und in Anatolien wurden die Armenier systematisch ermordet
oder in die syrische Wüste getrieben, wo ein Großteil von ihnen
ums Leben kam. Die griechische Minderheit litt unter enormen
Repressionen durch die türkischen Behörden.

1923 kam es zum großen griechisch-türkischen Bevölkerungs¬
austausch. In Griechenland als die „Kleinasiatische Katastrophe“
bekannt, war das eine Zwangsumsiedlung von ca. 1,2 Millionen
Griechen aus der Türkei, die ihren gesamten Besitz verloren haben
und nach Griechenland flüchten mußten. Im Gegenzug haben
ca. 400.000 Türken Griechenland verlassen und gingen in die
Türkei. Vermutlich haben auch sie alles verloren. Griechische
Siedlungen in Kleinasien und am Schwarzen Meer sind fast
3000 Jahre alt und das Pontische Griechisch der Schwarzmeer¬
griechen wird in Griechenland kaum verstanden. Eine Sprache,
die grammatikalisch dem Altgriechisch noch viel näher ist und
heute weitgehend vom Aussterben bedroht ist. Diese 1,2 Milli¬
onen griechischer Flüchtlinge aus der Türkei wurden in ihrem
Mutterland keineswegs mit offenen Armen empfangen. Grie¬
chenland mit seinen damals ca. 4,8 Millionen Einwohnern war
ein schr armes Land und nun mit 1,2 Millionen Flüchtlingen
konfrontiert, die gar nichts mehr hatten.

Flüchtlinge waren wohl nie beliebt. Dennoch haben genau diese
Flüchtlinge Griechenland ein großes Geschenk gemacht — den

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Rembetiko. Auch der „Griechische Blues“ genannt, wurde er vor
Kurzem in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit
aufgenommen. Der Rembetiko hat sich in den Flüchtlingslagern
in Piräus und in Nordgriechenland entwickelt-zwischen Hunger,
Alkohol und Haschisch.

Auch der Vater meiner Großmutter, jener Konstantinos Trian¬
tafilidis aus Erzerum, mußte damals, wie alle anderen Griechen,
ebenfalls seinen gesamten Besitz aufgeben und die Türkei ver¬
lassen. Er ging nach Athen mit seiner Familie. Keiner von ihnen
ist je wieder nach Erzerum zurückgekehrt.

Doch zurück nach Batumi. Eine elegante Hafenstadt mit
subtropischen Klima die bei der russischen Aristokratie als Ur¬
laubs-und Kurort sehr beliebt war. 1920 hat meine Großmutter
geheiratet und war hierher gezogen. Das Leben in Batumi war
vorerst sehr gut. Sie fuhr wieder in die Oper nach Tiflis, ging zum
Hafen, wenn die Handelsschiffe aus aller Welt eintrafen, um sich
mit der neuesten Mode aus New York und Paris einzukleiden.
Man hatte Hauspersonal, nur das Kochen für die Familie wollte
Großmutter niemandem überlassen. Sie kochte wunderbar und
was ihr besonders wichtig war: es mußte alles schön angerichtet auf
den Tisch kommen. Chaos auf dem Teller hat sie nicht geduldet.
Bis ins hohe Alter und selbst in Zeiten bitterster Armut, als es
nur noch Kartoffel mit Zwiebeln gab, hat sie darauf bestanden.
Irgendwie hat mir das gefallen als Kind, obwohl ich fand, daß
beim Essen sowieso wieder alles durcheinander kommt.

Es gab einen wunderbaren Garten in Batumi, umgeben von
einer langen Steinmauer mit einem großen Einfahrtstor, von dem
aus der Weg direkt zum Haus führte. Ein Garten mit Mandarinen,
Kirschen, Khakibäumen und vor allem Rosen. Mein Großvater
hat mit großer Leidenschaft Rosen gezüchtet und jeder Dame,
die auf Besuch kam, wurde zum Abschied ein großer Rosenstrauß
mitgegeben. Einmal im Monat kam ein Arzt aus Tiflis mit der
Kutsche vorbei und untersuchte die ganze Familie.

In der Trenchcoat-Manufaktur meines Großvaters soll es ca.
100 Nähmaschinen und Näherinnen gegeben haben, was vermut¬
lich übertrieben ist, es werden wohl nur 30 bis 40 gewesen sein.

Die Schilderungen aus jener Zeit klingen paradiesisch, und
ich frage mich, wie das möglich war, denn die Rote Armee war ja
bereits 1921 einmarschiert und „Kapitalisten“ wie mein Großvater
wurden doch eigentlich enteignet. Georgien war nach 1921 Teil
der Transkaukasischen Union; die vollständige Eingliederung in
die Sowjetunion dürfte wohl erst 1937 erfolgt sein.

1922 wurde mein Vater Ioannis geboren und danach Tante Geor¬
gia, Onkel Thomas und zuletzt mit großem Abstand meine Tante
Sophia, genannt Fifi, was durchaus zu ihrem unkonventionellen
Charakter passt. Eine weitere Schwester ist schr jungan Tuberku¬
lose gestorben. Nachdem ein Bruder meines Großvaters ebenfalls
verstorben war, wurde dessen Witwe mit ihren vier Söhnen ins
Haus aufgenommen. Das klingt für heutige Ohren ungewöhn¬
lich, war aber in den extrem patriarchalen Gesellschaften dieser
Zeit notwendig. Es gab ja keinerlei soziale Auffangsysteme und
Familie bedeutete einfach alles. Der familiäre Zusammenhalt war
eisern. Auf Gedeih und Verderb, das muß man auch dazusagen.
Ein Patriarch herrschte nicht nur, im besten Fall trug er auch die
Verantwortung für die ganze Sippschaft.

Da gab es nun acht oder eigentlich sieben (Fifi wurde erst viel
später geboren) Kinder im Haus und der absolute Chef war die
kleine Georgia, der Liebling ihres Vaters, nachdem ihre ältere