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wenn es Zeit war zu gehen. Tante Georgia hat die meiste Zeit ihres
Lebens bei ihrem Onkel in München verbracht und war damit
auch recht zufrieden. Ihre große Schnsucht ist Batumi geblie¬
ben. Gelegentlich kamen georgische oder russische Musik- und
Tanzgruppen nach München. Das war für sie der Himmel, da
war sie täglich dort und hat keine einzige Vorstellung versäumt.

Großmutter in Griechenland war nach dem Krieg von Ptole¬
maida nach Saloniki gezogen. Mit Thomas und Fifi haben sie ein
kleines Häuschen am Stadtrand gemietet, mit ein paar Hühnern
und einem großen Feigenbaum im Hof. Thomas arbeitete als
Fernfahrer, Automechaniker und später auch als Autohändler.
Er hat in Deutschland, meist bei seiner Schwester in München,
gebrauchte Autos gekauft, in Griechenland repariert und wei¬
terverkauft. Davon hat er mit seiner Mutter und seiner kleinen
Schwester Fifi gelebt. Hunger gab es keinen mehr, aber die Armut
ist geblieben. Daß Fifi einen Beruf erlernt, um ebenfalls Geld
verdienen zu können, war nicht vorgesehen. Großmutter fand
es nicht standesgemäß, daß Frauen arbeiten gehen. Und Fifi
hatte ohnehin keine Absicht, einen bürgerlichen Lebenswandel
zu führen. Heiraten und Kinder bekommen lag nie in ihrer
Lebensplanung. Sie wollte Malerin werden, Gitarre spielen und
im Übrigen durch die Welt ziehen. Ganz so ist es nicht gekom¬
men. Meine Großmutter hoffte noch lange auf die Rückkehr
ihres Mannes. Das Internationale Rote Kreuz wurde beauftragt
Nachforschungen anzustellen. Zu Sowjetzeiten waren die Archive
noch nicht geöffnet und wir haben nur erfahren, daß er in das
berüchtigte Strafgefangenenlager nach Magadan gebracht wurde.
Danach verliert sich seine Lebensspur.

Nach Beendigung des Bürgerkrieges in Griechenland kam
das Leben meiner Großmutter allmählich in ruhigere Bahnen.
Ihr großer Sohn Ioannis, mein Vater, ist nach dem Krieg in
Wien geblieben, um Malerei und in weiterer Folge Bildhauerei zu
studieren. In den ersten Jahren hat er sich mit Gelegenheitsarbei¬
ten über Wasser gehalten, zeitweise auf Parkbänken geschlafen,
bis er bei einer alten Dame eine Küchenbank bekam, auf der
er übernachten durfte. Tagsüber mußte er verschwinden, was
ihn nicht weiter störte, weil er ohnehin den ganzen Tag an der
Akademie war. Dort war es auch gut geheizt und die Frau seines
Professors, Andersen, versorgte ihn täglich mit einem riesigen
Frühstück, das auch für den Rest des Tages reichte. Mein Vater
hat über die zwei Jahre im Arbeitslager fast nie gesprochen. Er
konnte bald an der Akademie inskribieren und war damit ge¬
nau dort, wo er schon seit Jahren hinwollte. Auf Grund seiner
totalen Fokussierung auf sein Studium hat er die schwierigen
Begleitumstände der Nachkriegsjahre einigermaßen gelassen
bewältigen können. Zumal er bald auch schr viel Unterstützung
erfahren hat. Großmutter verfolgte aus der Ferne seinen Aufstieg.
Reisen waren vorerst aus Geldmangel kaum möglich. Als seine
internationale Karriere begann, erfüllte sie das mit großem Stolz
und großer Zufriedenheit. Tochter Georgia war in München bei
Onkel Miltiades und sie selbst lebte mit den beiden Jüngeren,
Thomas und Fifi, in Saloniki und später in Athen.

Lange Zeit sah es so aus, als hätte die Familie all die Schrecken
von Flucht und Vertreibung, Krieg und Hunger und vor allem
den Verlust ihres Vaters einigermaßen gut überstanden. Dennoch
sind die Wunden jener Zeit geblieben. Das war immer wieder klar
zu erkennen. Großmutter hat bald eine schwere Herzkrankheit
entwickelt und benötigte die Pflege ihrer Tochter. Zusätzlich hat

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Fifi noch die bürokratischen Arbeiten für ihren Bruder Thomas
erledigt (ziemlich großzügig) und wenn dann noch Zeit blieb,
war da ihre Malerei, ihre große Passion.

So vergingen die Jahre. Wenn ich jetzt an meine Großmutter
zurückdenke, fällt mir auf, daß ich sie kein einziges Mal weinen
gesehen habe. Sie war stimmungsmafig eigentlich immer sehr
stabil. Eine leichte Heiterkeit gemischt mit einer leisen Melan¬
cholie und immer in einer gewissen Distanz zu den Dingen der
Welt. Sie hat sich niemals über irgendetwas beschwert oder ihr
Schicksal beklagt. Tante Fifi und Onkel Thomas sind beide ledig
geblieben und haben auch nach dem Tod meiner Großmutter
weiter zusammengelebt.

Zu ihren Herzproblemen kam eines Tages noch eine Krebser¬
krankung. Man hat sie nach Wien gebracht und sie war glücklich
noch einmal bei ihrem großen Sohn zu sein. Die Ärzte in Wien
gaben ihr nur mehr wenige Monate zu leben. Und so war es
dann auch. Tante Fifi und meine Mutter haben sie die letzten
Monate gepflegt und Gott sei Dank hatte sie keine Schmerzen.
Sie starb im Alter von 79 Jahren in Wien. Es war so unendlich
traurig, daß mir jetzt wieder die Tränen kommen, wo ich das
niederschreibe. Obwohl es doch eigentlich ein guter Tod war,
wenn man das überhaupt sagen kann. Es waren alle ihre Kinder
und Enkelkinder versammelt. Tante Georgia war aus München
gekommen, Onkel Thomas aus Athen und alle anderen waren
schon in Wien.

Nachdem auch Onkel Miltiades gestorben war, hat mein Tante
Georgia München verlassen und lebte fortan in Athen in der
Nähe ihrer beiden Geschwister. Sie starb in hohem Alter und
war zuletzt fast vollkommen erblindet.