einfachen Sarg, Kränze des 1. FC Stein, dessen Präsident Ger¬
asimos war, rote Gerbera von der KPÖ, Kränze von Freunden,
ein Lied von Mikis Theodorakis und Maria Farantouri. Das
offizielle Griechenland nimmt Abschied von einem Patrioten:
Der Metropolit und der Konsul sind mit einer Delegation nach
Krems gekommen, der Bruder ist aus Korfu angereist. Sie sind
doch nicht allein, denn mehrere Dutzend Kremser sind an diesem
eisigen Märztag auf den Friedhof in Stein gekommen. Das Grab
von Gerasimos Garnelis liegt ganz in der Nähe des Massengrabes
der 386 Opfer des Massakers.
Der Roman „April in Stein“
Erst 2015 konnte ich den Roman über das Massaker, mit dem ich
bereits 1995 begonnen hatte, fertigstellen. Der Roman erschien im
Residenz Verlag. Die Basis dafür waren die rund 20 Interviews, die
ich mit chemaligen politischen Häftlingen geführt hatte und durch
Recherchen zu einigen Opfern des Massakers ergänzt hatte. Für den
Roman „April in Stein“ hatte ich mich entschlossen, die Namen
aller Beteiligten, Opfer wie Täter zu ändern. Ich wollte durch diese
Maßnahme auch eine Distanz schaffen. Um nicht noch mehr Akteure
zu schaffen, hatte ich auch einige Biographien zusammengezogen.
Unschwer zu identifizieren ist die Geschichte von Gerasimos Garnelis,
der im Roman als Kostas Genidis auftritt.
Im Vorwortzum Roman „April in Stein“ istauch ein Programm
für die Zukunft festgelegt: „Mit der Fertigstellung des Romans werden
die Geschichten festgeschrieben, dies bedeutet jedoch nicht das Ende
der Geschichte. Nach jeder Diskussion, öffentlichen Intervention
oder Gedenkaktion meldeten sich Personen, die Hinweise auf das
eine oder andere Detail parat hatten. So hoffe ich, dass auch dieser
Roman eine ähnliche Wirkung hat. Die Geschichte der griechischen
Antifaschisten und Widerstandskämpfer muss ebenso noch geschrie¬
ben werden wie das Schicksal der Häftlinge anderer Nationalitäten.“
Parallel zum Roman hatte der Verfasser die Verantwortlichen
in der Stadt Krems überzeugen können, eine Gasse neben der
Justizanstalt Stein in Gerasimos Garnelis Gasse umzubenennen,
was 2015 tatsächlich geschah. Denkmäler können manchmal
tatsächlich Denkanstöße liefern. Was für den Verfasser das „Grie¬
chen-Denkmal“ vor dem Gefängnis war, ist für einen griechischen
Besucher von Krems Jahrzehnte später die Gerasimos Garnelis-Gasse.
Ein Straßenschild eröffnet eine neue Welt
Was hat Stefan Zweig mit Griechenland und dem Massaker
in Stein zu tun? Seit April 2015 heißt die kleine Gasse von der
Justizanstalt Stein entlang des Alauntalbaches zur Ringstraße
Gerasimos Garnelis Gasse. Mit dieser Benennung ehrt die Stadt
Krems jenen griechischen Häftling, der wegen seines Widerstandes
im besetzten Griechenland gegen den Nationalsozialismus einge¬
sperrt wurde, 1944 nach Stein kam, das Massaker überlebte und
bis zu seinem Tod in Krems gelebt hat. Eine Straßenbenennung
ist nicht nur ein Erinnerungszeichen, sondern kann auch neue
Welten erschließen. Die Garnelis Gasse ist dafür ein Beispiel. Im
Sommer war der griechische Ingenieur Achilleas in Krems auf
Urlaub. Er habe sich nicht zu viel erwartet und sich nicht einmal
die Mühe gemacht, nach Schenswürdigkeiten vorab Ausschau zu
halten, gibt er zu. Krems sei ihm halt ein Begriff, denn immerhin
komme es ja in einer Novelle von Stefan Zweig vor. Bereits an
dieser Stelle werden die literaturinteressierten kundigen Krem¬
serInnen stutzen. Stefan Zweig und Krems? Nie gehört. Dafür
braucht es einen griechischen Ingenieur. Tatsächlich wird in der
Erzählung „Buchmendel“ und in einem Romanfragment „Rausch
der Verwandlung“ namentlich Krems zumindest erwähnt. Doch
warum erreicht diese Erfahrung eines Griechen Krems? Weil es
die Garnelis Gasse gibt.
Der 40-jährige Ingenieur erkundet Krems. Als eram Abend an¬
kommt, scheint ihm die Stadt verlassen (obwohl es noch gar nicht
so spät war: halb acht Uhr abends) und er befürchtet kein Lokal
mehr zu finden, wo er auch noch eine Kleinigkeit essen kann. Am
Dreifaltigkeitsplatz hat er Glück und so kann er am nächsten Tag
seine Erkundung beginnen. Er spaziert Richtung Stein und seine
Aufmerksamkeit wird im Vorbeigehen unwillkürlich vom Straßen¬
schild Gerasimos Garnelis Gasse in Beschlag genommen.
Wie elektrisiert sei er gewesen. „I felt like I found a bridge
between my country and Krems which is worth crossing and of
course learn about it.“ Da er nicht Deutsch kann ist die Recherche
nicht ganz einfach, er begreift, dass hier zu Kriegsende mehr als
300 griechische Häftlinge inhaftiert waren und nicht wenige beim
Massaker am 6. April 1945 ermordet worden waren. Zu Hause
in Griechenland angekommen, hat er mehr Zeit im Internet zu
recherchieren, er findet einen Hinweis auf den Roman „April in
Stein“ und schreibt dem Verfasser eine E-Mail. Achilleas hat bei
seiner Suche in Griechenland einen weiteren Häftling gefunden,
der als Geistlicher in einem Kloster lebt. In einer seiner Nach¬
richten erwähnt er natürlich auch die Geschichte mit Stefan
Zweig und Krems. In der Zwischenzeit versucht Achilleas einen
Freund zu überzeugen, den Roman in griechischer Übersetzung
zu verlegen. Ein kleines Straßenschild kann ein Gedankentor zu
einer neuen Welt eröffnen.
Eine Zusatztafel: Wie durch ein Wunder
Mit der Benennung einer Gasse ohne zusätzliche Informationen
erschließt sich die Geschichte für die Besucher in Krems nur
dann, wenn sie Geduld und Zeit aufwenden und im Internet zu
recherchieren beginnen. Eine Zusatztafel könnte dem Abhilfe
schaffen. Nachdem ich einen Entwurf für eine derartige Tafel
formuliert und ins Englische und Griechische übersetzen ließ,
wurde mir von Seiten der Stadt mitgeteilt, dass dies nicht ins
Erscheinungsbild passen würde. Wenige Wochen später habe
ich zwei Tafeln anfertigen lassen, natürlich mit dem Logo der
Stadt Krems und die Tafeln mit meinem Vater in Eigenregie
anbringen lassen. Manche in der Stadt glauben heute, dass sie
die Tafel selbst in Auftrag gegeben haben.
Durch den Kontakt mit dem griechischen Zweig-Leser Ingeni¬
eur Axilleas gelang es auch den Kontakt zu Kostas Anastopoulos
vom Alfeios Verlag herzustellen, in dem 2018 die griechische
Übersetzung von Marianna Chalari von „April in Stein“ erschien.
Um das Verhältnis der Griechen und Stein begreiflich zu ma¬
chen, genügt es nicht auf den Zufall zu warten, daher entschloss
sich der Verfasser mit Hilfe des Fotografen Nick Mangafas nach
Namen im griechischen Telefonbuch zu suchen, die den Namen
der 299 Häftlingen entsprachen, die aus dem Eingangsbuch der
Zuchthauses Stein für das Jahr 1944 erfasst werden konnten.
Durch Wochen erfasste Nick insgesamt 400 Adressen, an die auf
Griechisch ein Schreiben Wortlaut’ verschickt wurde. Parallel