Als Dokument für diese Geschichte sei hier auch der Brief von
Max Hoffmann an Karl Maria Amreich vom 9. Juni 1946 zitiert:
Lieber Karl,
heute komme ich erst dazu, Deinen Briefzu beantworten. Im Übrigen
habe ich mich gefreut, dass Du doch noch an mich gedacht hast. Ich
werde Dir kurz schildern, wie es mir nach Deiner Abreise erging. Man
brachte uns restliche Überlebende in das Allgemeine Krankenhaus
zu Krems. Das Essen war dort wohl besser als im Zuchthaus, aber
die ärztliche Behandlung ließ immerhin noch zu wünschen übrig.
Der Arzt, ehemaliger Wehrmachtsangehöriger, war anscheinend für
uns Politische nicht besonders eingenommen. Nebenbei bemerkt waren
mit einmal auch die kriminell Bestraften alle politische Häftlinge.
Die Verwundeten der Deutschen Wehrmacht wurden jedenfalls
besser behandelt als wir. Ich bekam dann infolge meines hohen Blut¬
verlustes noch Wasser in die Füße und erst nach Hinzuziehen einer
Spezialärztin verschwand dieses nach drei Wochen zu zirka I0%.
Am 13. Juni fuhr ich dann trotz Fieber von Krems ab, um nach
Mauthausen zu fahren. 20 km vorher warf man uns aber aus dem
Zug und wir mussten bis zum nächsten Morgen aufdem Bahnsteig
zubringen. Dann marschierte ich 20km zu Fuß und gelangte mit
39,8 Fieber und Wasser in den Füßen in Mauthausen an.
Mit Mühe gelang es mir, in einem Frauenkrankenhaus unterzukom¬
men. Auferdem hatte mich der Kremser Arzt mit Rotlauf fahren
lassen, der durch meine Augenschussverletzung verursacht wurde.
Hinzu kam noch Bindehautentzündung und Vereiterung des Lides
desselben Auges. Ich blieb aber nur acht Tage in Mauthausen, dann
gelangte ich aus der russischen Zone heraus in die amerikanische.
In Linz verbrachte ich dann wieder acht Tage im Krankenhaus und
[kam] dank amerikanischer Verpflegung bald wieder [auf die Beine]
und von dort nach Bad Hall/Oberösterreich in eine Augenklinik.
Dort kam ich dank der Verpflegung bald wieder in meine alte Kör¬
perfassung. Ich musste aber doch noch bis Ende Oktober warten,
bis ich nach Berlin zurückkehren konnte. Und das auch nur durch
einen Alliierten Güterzug.
Zuhause fand ich glücklicherweise alles unversehrt vor. Die Schauer¬
märchen, die man mir in Österreich über die Zustände in Deutsch¬
land, besonders aber von Berlin erzählt hatte, entsprachen keineswegs
der Tatsachen. Lieber Karl, Du müsstest nur sehen, wie Berlin zerstört
ist, und Du könntest ermessen, welch verbrecherisches Gehirn dieser
Führer des 1000jährigen Reiches besessen hat, um den Krieg bis zu
seinem „siegreichen Ende“ zu führen.
Trotzdem haben auch bei uns viele noch nichts gelernt. Es macht aber
nichts Karl, denn die Geschichte geht doch ihren Gang und einige
Jahre früher oder später werden wir doch unser Ziel erreicht haben.
Wenn auch manche meinen, sie müssten heute ihren besonderen Weg
gehen, so wird die zwangsläufige wirtschaftliche Entwicklung sie
doch eines anderen belehren. Ich selbst bin heute anerkanntes Opfer
des Faschismus, habe bei meiner Rückkehr #50 Mark erhalten, bin
den Winter über mit Lebensmittel, Kohlen, Kleiderstücken und
Rauchwaren unterstützt worden.
Außerdem habe ich als Opfer des Faschismus durch den Berliner
Magistrat ein Fuhrunternehmen erhalten, das ich aber meinem
Bruder überlassen habe. Ich bin jetzt bei der Kriminalpolizei, was
mir bedeutend mehr zusagt.
Meine Schussverletzungen sind besser ausgeheilt als ich selber angenommen
habe. Mein rechts Auge ist erhalten geblieben und die Sehkraft habe ich
nicht eingebüfst. Nur der untere Augenhöhlenrand ist zersplittert. Den
Steckschuss habe ich noch im rechten Oberarm. Er hat mich bisher noch
nicht gestört. Meine Armschüsse sind gut verheilt, und nur durch den
Mundschuss ist die Zunge verkürzt worden, die Halsmuskel ebenfalls und
7 Zähne habe ich durch ihn verloren. Außerdem habe ich noch einen
Geschosssplitter in der Zunge und in der Wange. Mein Sprechvermögen
habe ich auch wiedererlangt.
Wenn es bei euch Leute gibt die unsere Erlebnisse anzweifeln, so
kann man diese Leute nur zu jener zähen Rasse kompletter Deppen
zählen, die ja bekanntlich in keinem Land der Welt aussterben.
Ich willnur kurz wiederholen: 6. April 1985. Wegen der Nähe der
Roten Armee wollte man uns entlassen. Stattdessen rückt die SS
an und schiefst mit Karabinern, Maschinenpistolen, Maschinenge¬
wehren und Pistolen in die Menge der auf dem Hof versammelten
Häftlinge. Die sich in den Lufischutzbunkern verkrochen, wurden
mit Handgranaten erledigt. Die sich in den Ecken versteckt hatten
wurden hervorgeholt und ebenfalls erschossen. Einige wurden aus
den Zellen geholt und an die Wand gestellt. Dann mussten einige
Häftlinge alles was zusammengeschossen war, auf den Leichenhaufen
schleppen, während andere ein Massengrab ausheben mussten. Auch
ich kam mit 9 (neun) Schüssen auf den Leichenhaufen.
Unterdessen wüteten die Mordbestien der SS weiter. Was sie noch
lebend fanden, wurde von ihnen erschossen. Sie waren wie Raubtiere
die Blut gerochen hatten. Trotz Befehl zum Feuereinstellen, machten
sie noch Jagd auf Menschen, solange sie noch einen fanden. Dann
erschossen sie die Häftlinge, die die Leichen zusammengetragen
hatten. Dann die, die das Massengrab ausgehoben hatten. Zwi¬
schendurch führte man Trupps in Stärke bis zu 15 Mann herein,
die man draufsen wieder eingefangen hatte. Es waren die Häftlinge,
die vor Eintreffen der SS entlassen waren, oder denen es gelungen
war, bei der Schießerei über die Mauer zu entkommen. Man führte
diese Trupps an die Mauer vor dem Leichenhaufen, auf dem ich lag,
und erschoss sie mit einem Maschinengewehr.
Dann wandte sich ihre Mordgier dem Leichenhaufen zu. Es waren
doch noch einige die lebten. Meistens waren es solche, die vorher be¬
sinnungslos waren und dann wieder das Bewusstsein erlangt haben.
Das Gehirn spritzte umher. Auch mein Mantel war davon bedeckt.
Ich hielt die Luft an, wenn ich sie in meiner Nähe hörte, um nicht
durch mein Atmen zu verraten. Dann, und das hatte nicht mal
ich von diesen Bestien erwartet, plünderten sie die Leichen. Mein
Nebenmann, den ich mit meinem linken Auge wahrnehmen konnte,
20g man seine Lederjacke aus. Einige hatten bereits ihre Zivilsachen
angehabt und ihre Habseligkeiten ausgehändigt bekommen. Diesen
20g man die Gegenstände aus den Taschen und steckte sie ein.
Bei einigen fanden sie sogar Schnaps. Dieser wurde an Ort und
Stelle ausgetrunken. Das war Adolf Hitlers Elitegarde. Auch die
Österreicher haben dazu ihren Teil beigetragen. Auch ihre Truppen
wurden lobend im Wehrmachtsbereich erwähnt. Du wirst Dich ja
auch noch erinnern können, als wir verwundet in unseren Betten
lagen, dass die SS in dieser Zeit immer noch einige angriff, darunter
auch Zivilisten, die dann auch an die Mauer gestellt wurden und ihr
Ende im Massengrab fanden. Im August las ich in Oberösterreich
in der Zeitung, dass man auch einen katholischen Pfarrer am 26.
April an dieselbe Wand gestellt hatte.
Du weifst ja auch, dass die Beamten zu feige waren, den Überle¬
benden auf der Entlassungsbescheinigung zu bestätigen, dass sie von
der SS zusammengeschossen wurden. Umso erstaunter war ich, als
Du mir schriebst, dass man einen Teil dieser Bestien erwischt hat
und ihnen nun den Prozess gemacht hat.
Ich bedaure es sehr, dass man mich nicht als Zeugen geladen hat,
denn ich könnte direkt als Kronzeuge in diesem Prozess auftreten, da
ich von Anfang an den Vorfall beobachtet habe und auch nicht eine