Vom Weiterleben des Nazismus im Denken
Dieses Buch taucht nicht auf. Das deutsch¬
sprachige Feuilleton ignorierte es. Keine
Besprechung nirgends. Das Erscheinen
von “Schiffbruch eines Propheten. Hei¬
degger heute” von Francois Rastier liegt
nun schon vier Jahre zurück. Und man
kann wohl kaum entschuldigend anführen,
dass die Themen Heidegger und der Nati¬
onalsozialismus in der Öffentlichkeit nicht
vorkämen. Nach Erscheinen der “Schwar¬
zen Hefte” gab es gar heftige Auseinander¬
setzungen um den Meisterdenker. Rastiers
Auseinandersetzung mit dem Fortwirken
des heideggerischen Ungeists: der Vertei¬
digung des Nationalsozialismus, des Anti¬
semitismus, der Verachtung für die aufge¬
klärte Moderne wurde nicht besprochen.
Das ist skandalös und verständlich zugleich.
Worüber man nicht reden will, darüber soll
man schweigen. Also muss hier davon ge¬
sprochen werden. Das Denken Heideggers
ist vom Nationalsozialismus nicht zu tren¬
nen, faschistoid schon seit den 1920er Jah¬
ren und unbelehrbar noch Jahrzehnte nach
der Shoah. Das steht für Rastier, der als
Linguist und Semiotiker im Centre national
de la recherche scientifique in Paris arbeitet,
nicht zur Debatte. Vielmehr stellt er die sich
aufdrängende Frage nach der politischen,
ethischen Verantwortung seiner Vertei¬
diger, Apologeten, Verharmloser und Be¬
schwichtiger. Wie ist es möglich sich heute
noch auf Heidegger positiv zu beziehen, ja
sich auf sein jeder Argumentation abholdes
Denken zu stützen? Welch Geisteshaltung,
welche Gesellschaftsordnung vermag solch
extremistisches Gedankengut weiterzuspin¬
nen? Rastier stellt nicht die Frage, ob Hei¬
degger nun auf den Müllhaufen der Geistes¬
ge-schichte entsorgt werden soll, oder in den
heiligen Hallen der Meisterdenker verweilen
darf, sondern wie mit den Gefahren, die
diesem Denken innewohnen, umzugehen
ist. Nicht die Einordnung und Beurteilung
von Heideggers Werk in einer abgelegten
Geschichte der Philosophie steht zur Dis¬
position, vielmehr die philosophische Legi¬
timierung neonazistischer Ideologie. “Der
aktive Antirationalismus, die Ablehnung
der Ethik und die Fetischisierung der Äs¬
thetik, die Ablehnung der Technik und des
wissenschaftlichen Denkens, das alles zog
die universitären Radikalismen von rechts
und links ungemein an, die sich schon seit
Jahrzehnten im Heideggerischen Programm
des “Abbaus’ befinden, eines Begriffs, der
auch in seiner schönfärberischen Form
‘Dekonstruktion’ bekannt ist.” (21) Rastier
beschreibt die unterschiedlichen Verteidi¬
gungsstrategien von Heideggers Gefolgs¬
chaft und stellt sie in ihrer Unredlichkeit
bloß. Von der intransparenten, manipula¬
tiven Herausgeberschaft seiner Schriften,
über die Trennung vom Nazi Heidegger und
dem davon unberührten philosophischen
Werk, die Verharmlosung seines Antisemi¬
tismus, die Beschwörung seiner Kritik am
real existierenden Nazismus (auch wenn
diese von rechts kommt), die Entschuldung
durch den Verweis auf berühmte jüdische
Schüler, bis hin zur Behauptung der Un¬
entbehrlichkeit seines radikalen Denkens
für das Verständnis der Moderne. Letzteres
ist wohl der perfideste Rettungsversuch.
Nur ein Heidegger kann uns noch retten!
Ohne seine Philosophie ließe sich die Mo¬
derne nicht verstehen, radikale Politik nicht
betreiben, gar die Shoah nicht denken. Gi¬
orgio Agamben, Donatella di Cesare und
Peter Trawny überziehen Heideggers na¬
tionalsozialistisches Prophezeien mit dem
glänzenden Panzer vermeintlich radikals¬
ter Gesellschaftskritik. Allein der Meister
vermag uns aus den Katastrophen des 20.
Jahrhunderts herauszuführen. Gegen solch
wahnwitzige Verteidigung eines durchwegs
antiintellektuellen und antihumanistischen
Denkers erhebt Rastiers Buch Einspruch.
“Es wird Zeit, diesen endlosen Aporien,
dem grinsenden Zynismus, der undefinier¬
Erzählt wird das Leben zweier Schulfreun¬
de, Avner Rosenbaum und Rubi Weinstock;.
im ersten Teil aus der Sicht des späteren
Chirurgen und Onkologen Avner, im zwei¬
ten Teil dann aus der des späteren Regis¬
seurs Rubi. Beide sind jüdischen Glaubens,
lernen sich in der Schule in Tel-Aviv ken¬
nen, verlieren sich dann weitgehend aus den
Augen, bis sich ihre Lebenswege anlässlich
des Todes von Rubis Eltern nach vielen Jah¬
ren wieder kreuzen. Alle Figuren, denen wir
begegnen, sind direkt oder indirekt vom
Holocaust betroffen. Avner, dessen Eltern
als Zionisten noch rechtzeitig nach Palästi¬
na ausgewandert sind, insofern, als Großel¬
tern und Tanten alle im Holocaust ermordet
wurden. Und Rubi ganz direkt, überlebte er
doch als Fünfjähriger die Zeit rund um die
sogenannte Kristallnacht in Wien und wur¬
de, nachdem sein Vater bereits im KZ inter¬
niert war, alleine nach Israel in ein Kinder¬
heim geschickt. Beide Eltern überleben, fol¬
gen ihm nach, können aber nur das nackte
Leben retten, weswegen die einstmals wohl¬
habende Familie in Israel nun in großer Ar¬
mut vom Schrotthandel lebt. Im ersten Teil
ten Umkehrbarkeit, die aus Schergen Opfer
macht und umgekehrt, zu entkommen und
in dieser Ruinenlandschaft eine Ethik der
Verantwortung neu aufzubauen. Ist Heideg¬
ger wirklich notwendig, um die Vernich¬
tung und die moderne Welt zu verstehen?
Wer kann glauben, dass nur die Verbrecher
ihre Verbrechen beurteilen und sich also
selbst freisprechen oder gar die eigenen Ver¬
brechen zu mutigen Wundertaten erklären
können? Wir brauchen ein Denken nach der
Katastrophe - ein solches das diese wünscht
und gutheißt, wird sie nicht denken können.
Hören wir auf die Überlebenden.”(198f)
Eine Stimme der Zeugenschaft wurde erst
heuer wieder vernehmbar gemacht. Carl
Laszlos Erinnerungen eines Überlebenden
“Ferien am Waldsee”, zuerst 1955 erschie¬
nen und ignoriert, wurden neu aufgelegt.
In ihnen beschreibt der 1923 in Ungarn
geborene Laszlo in klarer, präziser Sprache
die verstörenden Schreckensbilder seiner
Erlebnisse in nationalsozialistischen Ver¬
nichtungslagern. Man lese diesen eindrück¬
lichen literarischen Bericht, überspringe das
unpassend reißerische Vorwort, verzichte
auf das anekdotische Nachwort und man hat
so viel mehr verstanden von der Barbarei als
all die postmodernen Antihumanisten und
Heideggerianer auch nur erahnen. Und man
lese Francois Rastiers wichtige Studie über
die Zerstörung der Vernunft durch jene ir¬
rationalistische Denkschule, die die Opfer
verhöhnt, indem sie die Täter zu Lehrmeis¬
tern verklart.
Bernd Zeller
Frangois Rastier: Schiffbruch eines Propheten. Hei¬
degger heute. Übersetzung Ulrich Hermann. Berlin:
Neofelis Verlag 2017. 215 S. € 25,¬
Carl Laszlo: Ferien am Waldsee. Erinnerungen
eines Überlebenden. Hg. und mit einem Geleitwort
von Albert C. Eibel. Wien: Das Vergessene Buch
2020. 160 S. € 22,¬
erfahren wir viel über Zeitgeschichte vom
Beginn der kriegerischen Auseinanderset¬
zung zwischen Israelis und Arabern aus¬
schließlich aus Sicht der Israelis. Im zweiten
Teil, als Rubi seines Studiums wegen nach
Wien zurückkehrt, geht es viel um europä¬
ische Zeitgeschichte, schr kritisch wird da¬
bei der fortbestehende Antisemitismus in
Österreich gesehen.
Gershon Shaked zeichnet sich in seinem
Schreiben durch eine ungeheure Menschen¬
liebe aus, welche die Fehler und mitunter
schlechten Charaktereigenschaften seiner