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während des Zweiten Weltkriegs, für das
Informationsministerium arbeitete. Die Fa¬
milie kehrte oft nach Lomnice, einem “ver¬
lorenen Paradies” zurück. Das Bild der in¬
zwischen schr schön renovierten Synagoge,
das Otto malte, befindet sich, wie Grauman
schreibt, in einem Museum in Brünn. Ottos
2014 verstorbener Sohn Peter publizierte
2011 über seine Mutter Eva Haas, die nach
Italien flüchtete und in Auschwitz ermordet
wurde, das berührende Buch My Morber was
Viennese. Richard Flatter war Shakespea¬
te-Ubersetzer, Journalist und Schriftsteller
in Wien. Er flüchtete 1938 nach London
und kehrte 1953 nach Wien zurück, wo er
1960 starb. In einem der eindrücklichsten
Kapitel ihres Buches beschreibt Grauman
Richard Flatters Internierung und Depor¬
tation auf der Dunera nach Australien. Die
beiden Töchter Emma und Klara heirate¬
ten zwei Brüder Graumann, deren Fami¬
lie Schuhgeschäfte in Brünn besaß. Art¬
hur, Emmas Ehemann, arbeitete als Jurist

für die Britisch-Ungarische Bank, später
für das Chemieunternehmen Solvay. Das
Paar konvertierte zum Katholizismus und
schickte die Söhne, Ernest und Robert, den
Vater der Autorin, in das Wiener Schotten¬
gymnasium. Der Familie gelang die Flucht
in die USA. Arthur und Emma trennten
sich, Arthur ging nach Europa zurück und
Emma erwarb eine Hühnerfarm in New
Jersey. Robert (Bob) diente kurz im Zweiten
Weltkrieg und arbeitete danach für das In¬
ternational Labour Office in Genf und die
Unesco in Paris. Klara und ihre Ehemann
Fritz lebten 1938 in der Tschechoslowakei;
sie wurden in Sobibor ermordet. Im Alter
von zehn Jahren lebte Brigid mit ihrer iri¬
schen, katholischen Mutter, der Tochter des
irischen Botschafters in London, die ihren
Ehemann Robert verlassen hatte, ein Jahr
in Tel Aviv. Sie schreibt über die Widersprü¬
che ihrer Kindheit: “Wir hatten eine Mut¬
ter, die wollte, dass wir Juden sind, und ei¬
nen Vater, der keinen Grund dafür sah, dass

von Karl-Markus Gauß

In meinem Bücherregal steht ein Buch
namens “Im Wald der Metropolen” von
Karl-Markus Gauß und ich war geneigt,
seine neuste Veröffentlichung “Die unauf¬
hörliche Wanderung” vom Titel her für ei¬
nen Zwilling dieses Buches zu halten. Diese
neuste Sammlung entpuppte sich jedoch als
eine ungleich heterogenete, die thematisch
zwat hier und da Schwerpunkte setzt, aber
letztlich keine übergeordneteT'hematik hat,
sondern in vier Kapiteln Reiseberichte und
Pamphlete, Historisches und Gesellschaft¬
liches, Breitgefächertes und Zugespitztes
darbietet. Auch zeitlich liegen die Texte
teilweise weit auseinander: der älteste aus
dem Jahr 1999, die neusten aus den letzten
beiden Jahren.

Da sich in einem einzelnen Buch schon
mal derart vielfältige Landschaften auf¬
tun, möchte ich die LeserInnen auf einen
kleinen Streifzug einladen. Er beginnt in
Albanien, einem Land, das unter anderem
für die absurd vielen Bunker (ca. 200.000)
bekannt ist, die einige seiner Landschaften
prägen. Gauß erste Geschichte aber handelt
von der faszinierenden Begegnung mit ei¬
nem Sommelier in Berat, der, obgleich er
nie einen Tropfen Alkohol getrunken hat,
die Seele Albaniens in seinem Wein einge¬
fangen vermeint.

Fern von jenem gastlichen Abendbrottisch
mit dem roten Wein, finden wir uns im
nächsten Text an einer Straßenkreuzung
in Salzburg, Bäcker-Bacher-Kreuzung ge¬
nannt, auch wenn die himmlischen Düfte
der Bäckerei Bacher längst einem Geschäft
mit den höllischen Utensilien des Grillens
gewichen sind. Von hier aus entwickelt
Gauß die Vielgestalt seiner Heimatstadt.
Doch der erste Satz des nächsten Textes
bringt wieder Neues, ködert uns mit anek¬
dotischer Verheißung:

“Wer ein tschechischer Surrealist werden
wollte, tat gut daran, das Gymnasium von

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Tfebié zu besuchen.” In dem Text selbst
geht es dann nicht ganz so viel um tsche¬
chische Surrealisten, mehr um die Abwe¬
senheit der jüdischen Bevölkerung in der
in vielerlei Hinsicht vom jüdischen Leben
geprägten Stadt. Man kommt an einer Fest¬
stellung vorbei, die Gauß in seine Schilde¬
rung der Stadt und ihrer Geschichte, genau¬
er des jüdischen Friedhofs, eingebettet hat:

Natürlich war es vermessen, an diesem Ort an mei¬
ne eigene Geschichte zu denken und die Schicksale
dieser Menschen auf mich selbst zu beziehen und
doch ist gerade dies eine häufige erneuerte Erfah¬
rung meines Lebens: dass es fast nichts gibt auf der
weiten Welt, das sich nicht mit meiner Existenz
verbinden ließe |... ].

Hier zeigt sich Gauß als der nicht nur be¬
schreibende, sondern sich als Beschreiber
zu erkennen gebende Autor, der er in vie¬
len Texten ist. Er möchte berichten, was er
geschen hat, was es zu sehen gibt, wahrzu¬
nehmen gilt, aber er will auch präsent sein
in seinen Geschichten; ein Wille, der auch
seinen Reiseberichten immer den Zug des
Essayistischen verleiht. Kaum ein Text von
ihm, in dem nicht ein Bekenntnis unterge¬
bracht ist, eine mitunter leicht camouflierte
Fortführung jener montaigneschen Traditi¬
on der Selbsterkundung, Selbstdarstellung.

Aus der von Abwesenheit geprägten Stadt
TfebiC treten wir ein in die fast schon grel¬
le Atmosphäre Venedigs, einer Stadt voller
Überanwesenheit, die selbst von denen, die
sie besuchen, sich in ihr bewegen, kaum
mehr als Wirklichkeit wahrgenommen
wird.

Schon das Abbiegen von den touristisch
eingefahrenen Sehenswiirdigkeitsrouten
öffnet den Zugang in ein anderes, stilleres
Venedig. Gauß führt uns am Ende auf einen
offenen leeren Platz, in ein kleines Cafe, wo
die Intensität des Mythos einer unverfäng¬
licheren Zeitlosigkeit weicht, welche von
einer alten Frau repräsentiert wird, die ihn

wir uns als Juden fühlten.” Die Hauptquelle
für das Buch sind die Erinnerungen von
sieben Mitgliedern ihrer Familie, die mit der
Ausnahme des erwähnten Buches von Peter
Flatter nicht publiziert wurden. Obwohl ihr
bewußt ist, dass es in der Geschichte “viele
Grauzonen” gibt, haben Brigid Grauman
und der Verlag ein authentisches, schr le¬
bendiges und gut lesbares, auch äußerlich
besonders schön gestaltetes und illustrier¬
tes Buch vorgelegt. Für die 1953 in Genf
geborene Autorin, die lange Jahre das wö¬
chentliche Nachrichtenmagazin The Bulletin
herausgab, ist ihr Buch auch eine Hommage
an ihren 2009 verstorbenen Vater.

Evelyn Adunka

Brigid Grauman: Onkel Ottos Papiertheater. Eine
Jüdische Familiensaga. Wien: Edition Konturen
2020. 231 S. € 24,80

bedient und die er später auf einem fünfzig
Jahre alten Foto wiederzuerkennen glaubt.
Den Blick von dieser Schwarz-Weiß-Fo¬
tografie abwendend, geraten wir in einen
Text über das Gaffen, den Auftakt zu drei
gesellschaftskritischen Beiträgen. Gauß hat
die Gabe, weder sonderlich dem Zynismus,
noch dem Sarkasmus, noch der Ironie zu
frönen, seine Texte aber dennoch mit einer
(mitunter pointierten) Angriffslust aufzula¬
den, die ihnen Nachdruck verleiht und die
kritischen Aspekte betont, ohne allzu erha¬
ben oder überheblich zu wirken (wie sagte
Marc Aurel: “Die Menschen sind füreinan¬
der geboren, lehre oder ertrage sie”); man
hat das Gefühl er greife nach dem Kern des
Problems und diktiere nicht nur einen Be¬
ticht darüber, am Rande stehend. Über die
fotografierenden Gaffer, die regelmäßig an
Unfallorten die Rettungskräfte behindern,
schreibt er:

Was immer ihnen politisch zugemntet und sozial
über sie verhängt wird, nur höchst selten empören
sie sich dagegen. Aber wer sie im digitalen Vollzug
ihrer Existenz einschränkt und ihnen das Recht
streitig macht, vom zuschauenden zum fotografie¬
renden Gaffer zu werden, der wird sich wundern,
wie viel unberechenbare Revolte in befriedeten Men¬
schen steckt. Gauß akzentuiert:

Tatsächlich wird der politische Diskurs von einer
Sprache falscher Empfindsamkeit geprägt, welche
sich an ein für infantil gehaltenes Publikum wendet
und anf dessen Bereitschaft abzielt, sich fortwah¬
rend von irgendwas und irgendwem gekränkt zu
‚fühlen. Die Verhübschung der Begriffe möchte aber
nicht die soziale und politische Realität verändern,
sondern einzig deren Wahrnehmung.

Die vorgeblich achtsame Sprache der Zwangshar¬
monie hat auch den Nachteil, dass sie ihrem Wi¬
derpart den Boden bereitet: jener populistischen
Reae, die vorsätzlich gegen Konvention und Regeln
verstößt und es darauf abgesehen hat, zu beleidigen,
zu verdächtigen, verächtlich zu machen.

Sodann führt uns der Pfad in das eiser¬