OCR Output

ne Herz des Waldviertels, zum Truppen¬
übungsplatz Allentsteig, für den 1938 einige
Dutzend Dörfer weichen mussten und der
nach den Nazis und den Sowjets auch von
der österreichischen Armee genutzt wird,
die hauptsächlich dafür verantwortlich
ist, dass die teilweise nach dem Krieg und
der Besetzung noch erhalten Gebäude bei
Schießsübungen zerstört oder ansonsten
abgetragen wurden; lang sind wir hier un¬
terwegs, das Gelände ist so groß wie Lux¬
emburg.

den Ruinen entstiegen, finden wir uns in
Odessa wieder, der Stadt am Schwarzen
Meer, jenseits von Orient und Okzident,
mit ganz eigener multikultureller Ausrich¬

tung — und Bürgersteigen, wo man des Öf¬
teren schwarzen Geländewagen ausweichen
muss, deren Kennzeichen mit 777 enden,
gleichsam einer Potenzierung und Parodie
der angeblichen Zahl der Bestie, des Teu¬
fels. Nach Auskunft der BewohnerInnen
kennzeichnen diese Zahlen die VertreterIn¬
nen von Staatsanwaltschaft und organisier¬
tem Verbrechen.

eine Notiz meinerseits, die ich, auf den
Rand des Buches neben folgende Passage
gekritzelt habe, will ich mitteilen

Nein, wir sind nicht an allem schuld, aber wir sind,
‚gerade in der Ära der Globalisierung, an fast allem
beteiligt und in fast alles involviert. (Gauß).

In ungelenker Schrift steht da: “Wichtige

Eine fröhliche Musikkapelle mit Tuba,
Saxophon und Posaune, ein elegant mit
dreiteiligem Anzug, Gehstock und Melone
gekleideter Herr und der Fahrplan eines
Bahnhofs in Wien im Hintergrund-das
alles als Kulisse in einem Hollywood-Film
namens Champagne Waltz, Besser könnte
das Schwarz-Weiß-Foto des Covers für das
Buch Austria. Made in Hollywood nicht passen.
Die Verfasserin, Jacqueline Vansant, die an
der University of Michigan in Dearborn
lehrte, gehört zu jenen Germanistinnen in
den USA, die beständig zu Österreich for¬
schen, und damit auch zum österreichischen
Exil.

Ihr jüngstes Buch widmet sich (alt)-Öster¬
reichischen und deutschen Regisseuren und
Filmen in Hollywood, die Österreich thema¬
tisierten: politisch und kulturell, reflektiert,
aber auch mit all den Klischees behaftet, die
gerade in den dreißiger und vierziger Jahren
ein größeres Publikum ins Kino lockten.
Dazu zählten die Sehnsucht nach der ver¬
gangenen Monarchie, Österreich als ewiges
Operetten- und Walzerland mit Torten und
Lipizzanern, prächtiger Bergwelt und un¬
ergründlicher Seele, hinter deren Charme
sich das faschistische Potenzial nur schlecht
verbarg. Freilich, viele Filmschaffende wa¬
ren Flüchtlinge vor dem Nationalsozialis¬
mus, für aie spielten der “Anschluß” und
der Widerstand gegen die Nazi-Herrschaft
gerade dann eine Rolle, als Hollywood sich,
durch die Regierung von Franklin D. Roo¬
sevelt bestimmt, von einer Traumfabrik des
Entertainment zu einer Institution des war
time engagement wandelte. Dann imaginierte
etwa der Film The Strange Death of Adolf aus
dem Jahr 1943 ein vom Nationalsozialismus
zerstörtes, dank den USA und des heimi¬
schen Widerstands, befreites Österreich,
in dem ein zum Hitler-Klon gezwungener
Herr Huber von seiner eigenen Frau getötet
wird. Erich von Strohheim, Otto Premin¬

ger, Billy Wilder, Michael Curtiz (Mihäly
Kertez), Max Ophüls, Ernst Lubitsch, Jo¬
seph von Sternberg waren die klingendsten
Namen dieses von Filmmoguln geprägten
Mikrokosmos, in dem Frauen lediglich die
Rollen von Schauspielerinnen und Scriptgi¬
rls zukamen.

Jacqueline Vansant holt zahlreiche Streifen
aus so mancher Mottenkiste, wobei der Fo¬
kus auf Osterreich nach Sound of Music (1965)
zu verblassen begann. Doch der Welterfolg
dieses Musicals prägte die Vorstellung von
der Alpenrepublik so sehr, dass man in den
USA noch immer glaubt, der Hit Edelweiß sei
die Nationalhymne. Der theoretische rote
Faden, der sich durch Vansants Buch zieht,
ist Siegfried Kracauers Text National Types as
Hollywood Presents Them entlehnt.

Das erste Kapitel des Bandes widmet die
Autorin Erich von Strohheim und seiner
teils nostalgischen, aber auch kritischen
Sicht auf die Monarchie, in der er sein Lei¬
den über das Ende der kakanischen Welt
verarbeitet. Die Sympathie von Amerika¬
nern mit Österreich, freilich durch die Brille
von Hollywood gesehen, wird im zweiten
Kapitel erzählt. Während Champagne Waltz
(1937) den kulturellen ash zwischen alter
und neuer Welt mit Walzer und Jazz sym¬
bolisiert, ist The Emperor Waltz von Billy
Wilder (1948) ein asymmetrischer Vergleich
zwischen autoritarer, starrer und pompöser
Monarchie und den Tugenden der amerika¬
nischen, von Flexibilitat und Schlichtheit
getragener Demokratie. Dahinter verbirgt
sich auch Wilders Abrechnung mit der
Nazi-Ära. Denn drei Jahre zuvor war er
fiir das Office of War Information in Deutsch¬
land gewesen und hatte eine Doku über
den Holocaust gedreht. Das dritte Kapitel
des Buches nimmt den Widerstand gegen
Hitler in den Blick, verpackt in Schubert-,
Johann StrauB- und Mozart-Biopics. Die
Botschaft dabei war allerdings, dass das

Abenteuerlich, fast einer Erzählung He¬
mingways entsprungen, liest sich allein
schon die Biographie des Autors. Nachdem
der 1914 in Ljubljana geborene Vitomil Zu¬
pan als Jugendlicher beim Spiel mit der Waf¬

fe einen Freund erschoss, floh er und heuerte
auf einem Schiff an. Jahrelang fuhr er über
das Mittelmeer, besuchte Nordafrika, die
Türkei, Frankreich, Portugal und verdingte
sich als Matrose, Gelegenheitsarbeiter, Ski¬

Unterscheidung. Schuld verlangt nach
Rechtfertigung, Involvierung nach Aufklä¬
rung, Handlung”. Eine Passage schließlich
trifft mein eigenes Selbstverständnis auf
den Punkt:

Ich verfasse Literaturkritiken, weil ich mir über die
Bücher, die ich lese, erst klar werde, indem ich über
sie schreibe, ja, ich Rann erst schreibend wirklich
Klarheit über sie und meine Leseerlebnisse gewinnen.
Timo Brandt

Karl-Markus Ganß: Die unaufbörliche Wanderung.
Wien: Zsolnay 2020. 208 S. € 23,¬

wahre Österreich nicht deutsch sei. Seine
Bewohner liebten ihr Land und nicht den
Führer. Die im vierten Kapitel besproche¬
nen Filme senden diese Botschaften nicht
subtil via vergangene Hochkultur aus, son¬
dern politischer, aber deshalb nicht weniger
verklärend. Aus kriegspolitischen Gründen
wurde in Hollywood auch der “Anschluß”
mit einem einfachen Opfer-Täter-Schema
verarbeitet. Österreich war das erste Opfer
des Nazi-Regimes, das es nun zu besiegen
galt, und seine “unschuldige” Bevölkerung
insgesamt von Hitler-Schergen unterjocht.
Im abschließenden fünften Kapitel analy¬
siert Vansant Eskapismus und Entnazifi¬
zierung nach 1945 und stellt das langsame
Verschwinden des Habsburg-Mythos, aber
auch anderer österreichischer Thematiken
aus der Traumfabrik fest, weil die Prota¬
gonisten, die Exilantinnen und Exilanten,
starben.

Was Vansant nicht schreibt, ist, dass in der
deutschen Exil- und Filmforschung viel zu
lange österreichisches und Österreichisch
geprägtes Schaffen allzu großzügig in
“deutsches” integriert wurde. Gerade auch
deshalb ist Jacqueline Vansants Studie so
wichtig. Eingebettet in historische Kontex¬
te und historisch geprägte Motive arbeitet
sie nicht nur Österreich-Themen im Film¬
schaffen Hollywoods heraus, sondern auch
die Gründe dafür: Nostalgie und Abrech¬
nung, Leiden an der verlorenen Heimat und
politische Botschaften, und letztendlich der
Wunsch nach Widerstand gegen den Fa¬
schismus, der die Heimat von innen heraus
und von außen zerstörte.

Ursula Prutsch, LMU München

Jacqueline Vansant: Austria. Made in Hollywood.
Rochester, New York: Camden House 2019. 196 S.
€ 28,80

lehrer und Boxer, che er in seine Geburts¬
stadt zurückkehrte, um das Studium des
Bauingenieurwesens aufzunehmen. Seit den
frühen 1930er Jahren widmete sich Zupan
auch dem Schreiben. Nach der Zerschla¬

Juni 2021 87