Wichtig war es neben Jakob Gapp auch an andere Opfer des Na¬
tionalsozialismus aus der Gemeinde in ihrer Vielfalt zu erinnern.
Nach dem einstimmigen Beschluss des Gemeinderats konnte im
Sommer 2020 der im Herbst 2018 begonnene Prozess mit der
Verlegung von 6 Stolpersteinen zu einem ersten Abschluss ge¬
bracht werden.
Die Stolpersteine in Wattens
Die verlegten Stolpersteine sind Menschen aus verschiedenen
Opfergruppen gewidmet. Vor dem Eingang der Papierfabrik
wird an Dr. Felix Bunzl erinnert. Der aus einer jüdischen Fami¬
lie stammende Direktor der Papierfabrik konnte 1939 nach dem
Tod seiner christlichen Frau im letzten Moment in die Schweiz
flüchten. Felix Bunzl hat nicht nur als Unternehmer sondern als
großer Gönner von Vereinen und Institutionen zur Entwicklung
der Gemeinde beigetragen. Wie die Pfarrchronik berichtet, hat
er im Gegensatz zur Familie Swarovski ohne zu Zögern für die
Renovierung der Pfarrkirche in den 1930ern gespendet. Eng ver¬
bunden mit der Papierfabrik sind auch Friedrich Tannert und
seine Frau Gertrude. Friedrich Tannert war verantwortlich für
den Vertrieb des in Wattens Hergestellten im Ausland. Bereits in
der Zwischenkriegszeit wurden große Teile der Produktion ex¬
portiert. Friedrich Tannert war eng mit Felix Bunzl befreundet
und liebte die heimischen Berge. Seine Gattin war Künstlerin.
1938 zählte der Einsatz für die Firma nichts mehr. Als Juden war
im Dorf kein Platz mehr für sie. Noch 1938 gelang ihnen die
Flucht nach England. Zwei Stolpersteine in der Bahnhofsstraße
vor ihrem einstigen Wohnhaus erinnern an sie. Die Angehörigen
in England freuten sich zu erfahren, dass Friedrich und Gertrude
Tannert in Wattens nicht vergessen sind.
Am Kirchplatz erinnert vor der Laurentiuskirche ein Stein an Ja¬
kob Gapp. Hier wurde er getauft, feierte seine Primiz und hielt
im Dezember 1938 eine NS-kritische Predigt, die Anlass für
seine Flucht nach Frankreich und Spanien war. Von deutschen
Agenten ins besetzte Frankreich gelockt, wurde er nach dem
Prozess vor dem Volksgerichtshof 1943 in Berlin-Plötzensee
hingerichtet.
Vor der Raiffeisenbank, dem ehemaligen Gendarmerieposten,
erinnert ein Stolperstein an den in Hartheim ermordeten pensi¬
onierten Gendarmen Simon Bachler. Ganz bewusst wurde hier
die Inschrift „Hier arbeitete“ gewählt.
Am Vögelsbergweg direkt vor dem heutigen Eltern-Kind-Zen¬
trum und dem Weis-Bauernhof wird an Albert Troppmair ge¬
dacht. Er war der Pächter dieses Hofes. Troppmair war ein ka¬
tholisch-konservativer NS-Gegner und engagierte sich in einer
kleinen Widerstandsgruppe im Ort. Kurze Zeit war er im Inns¬
brucker Arbeitserziehungslager Reichenau inhaftiert. Im Mai
1945 wollte er gemeinsam mit einem anderen Mitglied des Wi¬
derstands verhindern, dass SS-Mitglieder das Dorf wegen wei¬
ßer Fahnen in Brand setzten. Während eines Schusswechsel im
Ort wurde er irrtümlicherweise von Kugeln der herannahenden
US-Truppen tödlich getroffen.
Ein Stein wird aktuell im Museum Wattens ausgestellt, bis es
baulich möglich ist, ihn an der Landesstraße ins Wattental beim
früheren Wohnhaus von Maria Andergassen zu verlegen. Die
Ehefrau und Mutter wurde aufgrund gesundheitlicher Probleme
ein Opfer der NS-Euthanasie. Sie wurde 1941 in Schloss Hart¬
heim ermordet.
Bei der Auswahl wurde versucht an verschiedene Opfergruppen,
soziale Milieus und Geschlechter zu erinnern.
In einem Schulprojekt setzen sich in Zusammenarbeit mit dem
Museum Wattens aktuell Schülerinnen der Neuen Mittelschule
Wattens mit Erinnerungskultur und den Lebenswegen auseinan¬
der. Im Herbst 2020 fand im Rahmen der Europäischen Mobi¬
litätswoche ein Stolpersteinspaziergang mit Interessierten statt.
Seit Frühjahr 2021 informiert ein Faltblatt über die Stolperstei¬
ne in der Gemeinde und die Schicksale der Opfer. Bei Interesse
werden Stolpersteinführungen für Schulen und Jugendgruppen
jederzeit kostenlos angeboten.
Im Frühjahr 2021 beschloss der Kulturausschuss der Gemeinde
die Verlegung eines weiteren Stolpersteins für Josef Zendron. Der
1910 in der Schweiz Geborene wuchs in Wattens auf, wo sein
Vater als Tischler beruflich tätig war. Als Werkzeugmacher war
Josef Zendron für die Papierfabrik Wattens, in weiteren Orten
Tirols und Bayerns tätig. Ab Herbst 1943 war er als Gebirgs¬
jäger in der Wehrmacht. Im September 1944 desertierte er aus
Gewissensgründen. Eine Entscheidung, die er mit seiner Frau
abgestimmt hatte. Gemeinsam mit seiner Frau Emma wurde er
Ende September 1944 im Tiroler Oberland beim Versuch, in die
Schweiz zu fliehen, verhaftet. Zum Tod verurteilt wurde er in
das KZ Buchenwald gebracht, wo er keinem Außenkommandos
zugewiesen werden durfte. Sein letzter bekannter Aufenthaltsort
ist das Lager Leitmeritz (Litom£fice ) in Tschechien. Das La¬
ger war Ziel zahlreicher Evakuierungs- und Todesmärsche. Im
April 1945 vermerkte ein Wiener Standesamt seinen Tod. Der
Stolperstein soll vor dem früheren Wohnhaus der Familie verlegt
werden. Familienangehörige sind mit diesem Anliegen an die
Marktgemeinde herangetreten.
Anstoß für weitere Stolpersteine in Tirol
Ganz bewusst möchte Wattens durch die Verlegung von Stol¬
persteinen Teil eines transnationalen Erinnerungsprozesses sein.
Die Stolpersteine in Wattens sollen weitere Gemeinden in Tirol
anregen Stolpersteine zu verlegen. Bis zum gegenwärtigen Zeit¬
punkt wehrt sich die Stadt Innsbruck gegen die Verlegung von
Stolpersteinen. Aktuell gibt es zwei weitere Stolpersteine in Tirol,
in Zell am Ziller und auf Privatgrund in Innsbruck.
Ob Stolpersteine auch die passende Form darstellen, um an über¬
lebende politische Konzentrationslagerhäftlinge aus dem katho¬
lisch-konservativen Lager zu gedenken wird gerade diskutiert.
Mit dem Drogerieangestellten Otto Plitzner und den Arbeitern
Ruppert und Anton Schmidt würde an vergessene Opfer erinnert