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fand, versuchten die Verbliebenen ihr Dasein in Österreich zu
festigen. Ging man einer geregelten Beschäftigung nach, holte
man in der Regel die Familie nach und engagierte sich oft auch in
einem der vielen Vereine, die nach und nach entstanden. So grün¬
deten Mitglieder jugoslawischer Communities in den siebziger Jah¬
ren beispielsweise Freizeitzentren, Kulturvereine, Klubs und sogar
Seelsorgeorganisationen. Darüber hinaus bemühte man sich, mut¬
tersprachlichen Unterricht für die bereits in Österreich geborenen
oder aus Jugoslawien geholten Kinder zu organisieren, Feierlichkei¬
ten zu veranstalten oder auch Räumlichkeiten für Gottesdienste
zu finden. Diese Bemühungen trugen Früchte. Bald entstand ein
überregionales, teils gar internationales Netzwerk, das stets auch in
Verbindung mit dem Heimatort stand. Schließlich war es genau
dieses Netzwerk, das es den Flüchtlingen zu Beginn der neunzi¬
ger Jahre ermöglichte, leichter in Österreich Fuß zu fassen. Häufig
wusste man bereits, an wen man sich wenden sollte, um eine (oft
noch provisorische) Unterkunft zu erhalten, sich erste Vokabel auf
Deutsch anzueignen und sich schlussendlich auch über Arbeits¬
möglichkeiten zu informieren, meist nach der Einsicht, dass der
Krieg nicht so schnell beendet sein würde und man nicht wieder
gefahrlos in die Heimat zurückkehren werde können. Gemeinsam
— jahrelang ansässige Gastarbajteri und neu angekommene Flücht¬
linge — veranstaltete man in den Klubräumlichkeiten Sammlungen
von Spenden, die immer wieder auch ihren Weg in das jeweilige
Heimatland der Community fanden. In der Tat übernahmen diese
selbst gegründeten Institutionen bis zu einem gewissen Grad auch
eine Art Heimatersatz; man hatte die Chance, sich mit Menschen
auszutauschen, die dieselbe Sprache hatten und aus dem gleichen
Ort stammten, also einen Hintergrund aufwiesen, der dem eigenen
gar nicht so fremd war. Doch auch der kulturelle Faktor darf nicht
unterschätzt werden, bestand hier immerhin die Möglichkeit, Fei¬
ern des eigenen Kulturkreises auszurichten. Könnte man nun mei¬
nen, bei diesen Communities handelte es sich stets um ein homo¬
genes und solidarisches Gebilde, so muss auch darauf hingewiesen
werden, dass dort zumindest in den frühen neunziger Jahren un¬
terschiedliche Ansichten zur Flüchtlingsankunft vorzufinden wa¬
ren. Während viele „alte, Mitglieder bereit waren, den „Neuen, in
irgendeiner Form zu helfen, sahen manche sich und das von ihnen
geschaffene Netzwerk von den Neuankömmlingen bedroht und
sehnten sich nach Möglichkeiten, den Status quo beizubehalten.
Solche Einstellungen zeigten sich insbesondere in Vorwürfen den
Geflüchteten gegenüber, wie Interviews in einer oberösterreichi¬
schen Community demonstrieren. Die Vorwürfe reichten von ver¬
einzelten Anschuldigungen, dass man mit dem Feind ohnehin un¬
ter eine Decke gesteckt hätte, bis hin zu zynischen Fragen wie zum
Beispiel, wieso man nicht in der Heimat geblieben wäre, um diese
zu verteidigen. Es gilt noch zu untersuchen, in welchem Ausmaß
diese Debatten ausgetragen wurden und inwiefern sie den Wandel
einzelner Communities beeinflussten. Es ist jedoch anzunehmen,
dass sie keine allzu große Wirkung zeigten, da sie sich — wie ich
vermute — nur in einem bestimmten Rahmen bewegten und iden¬
titätsstiftende Elemente bald eine wesentlichere Rolle einnehmen
konnten. Beispielsweise Religion. Erste Untersuchungen weisen da¬
rauf hin, dass zum Beispiel einzelne bosnische Communities nach
der Ankunft Geflüchteter aus Bosnien einen viel stärkeren Bezug
zum Islam aufwiesen als zuvor und dieser in der Entstehung einer
Gruppenidentität, neben der Herkunft, der Muttersprache sowie
etwaiger gemeinsamer Traditionen, nicht unwesentlich war. Dabei
handelte es sich stets um einen liberalen, „bosnischen“ Islam, der
bereits in der ehemaligen Teilrepublik Bosnien vorzufinden war.

18 _ ZWISCHENWELT

Diese liberale Auslegung änderte sich ersten Beobachtungen zufol¬
ge während der 2000er-Jahre. In den Mittelpunkt gerückt durch
die Anschläge vom 11. September 2001, der zweiten Intifada und
insbesondere der massiven Medialisierung sowie der steigenden
Islamfeindlichkeit fand ein kleiner Teil bosnischer Muslime und
Musliminnen zusehends eine neue Auslegung des Islam, welche
sich darin zeigte, dass bereits junge Frauen Kopftuch trugen, Bärte
bei Jung und Alt an Popularität gewannen, Paare sich nach dem
Standesamt nochmal im privaten Rahmen vom Imam trauen lie¬
ßen und örtliche Gebetsräume gut besucht wurden. Interessant ist
dabei besonders, dass es offensichtlich junge Erwachsene — oft aus
dem akademischen Milieu — sind, die sich diese neue Auslegung
des Islam zu eigen machen. Konkrete Untersuchungen dieser Hy¬
pothesen fehlen jedoch noch. Kennzeichnend kann jedenfalls ein
bestimmter Mittelweg sein: Bewusst distanziert man sich sowohl
vom liberalen Islam der Vorfahren als auch vom Islamismus und
findet für sich eine eigene, zuweilen als modern aufgefasste Inter¬
pretation, die Identität stiften kann. Ersten Betrachtungen zufolge
entfernt man sich dabei vom liberalen „Schweinefleisch essen wir
keines, aber den Schnaps brennen wir im Keller“-Islam und ori¬
entiert sich zusehends an einer Variante, die einem und einer klare
Regeln vorgibt. Gleichzeitig finden radikal-islamistische Tenden¬
zen keinen Platz in dieser Lebenswelt; selbstbewusst orientiert man
sich an demokratischen Werten, mit denen viele ja auch aufgewach¬
sen sind, und macht auch Gebrauch von dem Recht auf freie Mei¬
nungsäußerung und Religionsfreiheit.

Die gezeigten Entwicklungen jugoslawischer Communities in
Österreich sind stets im Kontext soziopolitischer Veränderungen
zu betrachten. Als wesentlicher Bestandteil der hiesigen Gesell¬
schaft finden sie mittlerweile nur noch selten Beachtung, haben
sich meist überaus gut in die jeweiligen Gemeinden, Städte und
Bezirke integriert, stehen aber nach wie vor im Austausch mit den
ehemaligen Heimatorten und deren historischen Entwicklun¬
gen, die Zabranjeno PuSenje 1997 erneut besingt. Wieder geht es
um den eingangs erwähnten Dragan. Befand er sich zehn Jahre
zuvor in seiner Wohnung, leicht angetrunken und den Tag der
Republik feiernd, findet er sich im Lied Od istorijskog AVNOJ-a
(zu Deutsch: Vom historischen AVNOJ) in einer Fliichtlingsun¬
terkunft des Roten Kreuzes wieder. Desillusioniert vom Zerfall
Jugoslawiens flüchtet er sich in seine Erinnerungen, neben ihm
seine weinende Frau und der traumatisierte Sohn.

Verwendete Literatur:

Alleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungs¬
kultur und Geschichtspolitik. München 2006.

Marie-Janine Calie: Geschichte Jugoslawiens. München 2018.
Aleksandar Jakir: Wirtschaft und Wirtschaftsreformen in den 1960er
Jahren in Jugoslawien, in: Sundhausen Holm, Grandits Hannes, Jugos¬
lawien in den 1960er Jahren. Auf dem Weg zu einem (a)normalen Staat?
Wiesbaden 2013, 83-108.

Alexander Krylov: Religiöse Identität. Individuelles und kollektives
Selbstbewusstsein im postindustriellen Raum. Berlin 2012.

Verena Lorber: Angeworben. GastarbeiterInnen in Österreich in den
1960er und 1970er Jahren. Göttingen 2017.

Reiter Margit: Die Generation danach. Der Nationalsozialismus im Fa¬
miliengedächtnis. Innsbruck/Wien 2006.

Hasan Softi¢: Another Little Bosnia — Die Entstehung und der Wandel
der bosnischen Community im oberösterreichischen Enns, in: Maria
Endreva, Alexandra Preitschopf et al.: Der Donauraum als Zivilisati¬
onsbrücke. Österreich und der Balkan. Perspektiven aus der Literatur¬
und Geschichtswissenschaft, Würzburg 2020, 233-248.